Hessisches LAG 10 Ta 434/19
Zum Rechtsweg für Streitigkeiten des Geschäftsführers einer GmbH im Zusammenhang mit seinem Anstellungsverhältnis

24.02.2021

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

Hessisches LAG
28.02.2020
10 Ta 434/19
GmbHR 2020, 1288

Leitsatz | Hessisches LAG 10 Ta 434/19

  1. War der Geschäftsführer einer GmbH bereits im Zeitpunkt der Klageerhebung als Organvertreter abberufen, greift die negative Fiktion des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG nicht ein.
  2. Wendet sich der Kläger mit seiner Kündigungsschutzklage allein gegen eine außerordentliche Kündigung, so liegt an sich ein sog. Et-et-Fall und kein Sic-non-Fall vor. Dies gilt auch dann, falls der Kläger in dem Kündigungsschutzantrag auf ein „Arbeitsverhältnis“ abstellt. Es ist regelmäßig davon auszugehen, dass sich der abberufene Geschäftsführer gegen die fristlose Beendigung in jedem Fall, also unabhängig von dem zugrundeliegenden Vertragsverhältnis wenden will.
  3. Das einer Geschäftsführerbestellung zugrunde liegende Vertragsverhältnis ist in aller Regel ein freies Dienstverhältnis und nur in einem extremen Ausnahmefall als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren (Anschluss an BAG v. 21.01.2019 – 9 AZB 23/18, NZA 2019, 490).

Sachverhalt | Hessisches LAG 10 Ta 434/19

Nachdem ein Geschäftsführer außerordentlich gekündigt und abberufen wurde, erhob dieser eine Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht. Der Kläger behauptete u.a., er sei in Wirklichkeit weisungsabhängig und fremdbestimmt tätig geworden, da er unter Kontrolle und Arbeitsverteilung der Beiratsvorsitzenden stand. In sämtlichen Klageanträgen stellte der Kläger auf ein „Arbeitsverhältnis“ ab. Die Beklagte rügte de Zuständigkeit des Arbeitsgerichts, da der Kläger kein Arbeitnehmer sei. Gegen den hierauf ergehenden negativen Beschluss legte die Beklagte sofortige Beschwerde ein, die vor dem LAG Erfolg hatte.

Entscheidung | Hessisches LAG 10 Ta 434/19

Das LAG entschied, dass es sich beim Kläger nicht um einen Arbeitnehmer und deswegen nicht um eine Streitigkeit zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b ArbGG handelt. Zur Begründung verwies das LAG einerseits auf § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG. Danach wird noch nicht abberufenen Geschäftsführern von Gesetzes wegen die Arbeitnehmereigenschaft abgesprochen. Hier wurde der Kläger jedoch schon abberufen, was aber nicht automatisch zur Folge hat, dass dieser Arbeitnehmer ist. Diese Frage ist vielmehr gemäß § 5 Abs. 1 ArbGG zu beantworten.

Aber auch hiernach liegt keine Arbeitnehmereigenschaft vor, da der Kläger dies nicht ausreichend dargelegt hätte. Die einhellige Rechtsprechung geht davon aus, dass das Anstellungsverhältnis eines Geschäftsführers mit der GmbH grundsätzlich kein Arbeitsverhältnis darstellt. Das einer Geschäftsführerbestellung zugrunde liegende Vertragsverhältnis ist in aller Regel ein freies Dienstverhältnis und nur in einem extremen Ausnahmefall als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren (Anschluss an BAG v. 21.1.2019 – 9 AZB 23/18, NZA 2019, 490).

Die bloße Behauptung der Arbeitnehmereigenschaft – so vom Kläger geschehen - reicht nach der Rechtsprechung des BAG nur dann aus, wenn ein sogenannter sic-non-Fall vorliegt, d.h. vor einem Arbeitsgericht über die Arbeitnehmereigenschaft gestritten wird. Denn dann ist die Frage der Arbeitnehmereigenschaft sowohl für die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte als auch für die Begründetheit der Klage entscheidend. Mithin kommt es jedenfalls zu einer Sachentscheidung. Dreht sich der Streit vor dem Arbeitsgericht in der Sache nicht um die Arbeitnehmereigenschaft, muss der Kläger die bestrittene Arbeitnehmereigenschaft nicht nur behaupten, sondern darüber hinaus schlüssig vortragen (sog. Et-et-Fall).

Das Vorliegen eines Sic-non-Falls hat das LAG hier mit der Begründung verneint, dass es dieser Rechtsprechung „seit jeher an Überzeugungskraft fehlte“. Dadurch, dass der Kläger bei der Formulierung seines Kündigungsschutzantrages das Wort „Arbeitsverhältnis“ verwendet, kann allein die Frage des Rechtswegs nicht entschieden werden. Denn damit hätte es der Kläger selbst vollständig in der Hand, über die Eröffnung des Rechtsweges zu disponieren, was mit dem Grundsatz des gesetzlichen Richters gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht vereinbar ist. Dementsprechend hat das LAG die Anträge des Klägers dahingehend ausgelegt, dass dieser sich lediglich gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses infolge der außerordentlichen Kündigung wenden will.

Praxishinweis | Hessisches LAG 10 Ta 434/19

Die Entscheidung des LAG steht nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des BAG. Der klagende Geschäftsführer hat ausdrücklich erklärt, die Unwirksamkeit der ihm erteilten Kündigungen nicht unabhängig vom Status des Anstellungsverhältnisses als Arbeitsverhältnis geltend machen zu wollen. Dementsprechend hat er in seiner Kündigungsschutzklage alle drei Kündigungsschutzanträge auf ein bestehendes Arbeitsverhältnis gestützt und entsprechend begründet. Dieser Vortrag reicht für die Annahme eines sic-non-Falls aus. Mithin hat das LAG die Anforderungen an den Vortrag des Klägers zu seiner Arbeitnehmereigenschaft überspannt. Nichtsdestotrotz zeigt diese Entscheidung, dass sich eine pauschale Beurteilung der Arbeitnehmereigenschaft eines Geschäftsführers verbietet und es auf die konkreten Umstände des Einzelfalls ankommt.