BGH II ZB 3/19
Zulässigkeit der Fortsetzung einer GmbH aufgrund eines Insolvenzplans

10.06.2020

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
08.04.2020
II ZB 3/19
ZRI 2020, 297

Leitsatz | BGH II ZB 3/19

  1. Ein Insolvenzplan sieht den Fortbestand einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung bereits dann i.S.d. § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG vor, wenn er die Fortsetzung der Gesellschaft als Möglichkeit darstellt.
  2. Die Fortsetzung der Gesellschaft nach § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG setzt voraus, dass noch nicht mit der Verteilung des Gesellschaftsvermögens unter den Gesellschaftern begonnen worden ist.

Sachverhalt | BGH II ZB 3/19

Eine GmbH stellt im August 2017 Eigenantrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens und durchläuft ein Insolvenzplanverfahren in Eigenverwaltung nach §§ 270 ff. InsO (als Schutzschirmverfahren gem. § 270b InsO). Die Auflösung der Gesellschaft wurde von Amts wegen ins Handelsregister eingetragen. Die Planvorlage erfolgt im Februar 2018.

Der Insolvenzplan sieht vor, dass das Vermögen zur Tilgung der Masseschulden und quotalen Verteilung auf die Insolvenzgläubiger verwendet werden soll. Ein ausdrücklicher Fortsetzungsbeschluss als Planinhalt fehlt. Er enthält lediglich die folgende Passage: „Ferner soll die Schuldnerin von ihren Schulden befreit werden und ihr hierdurch die grundsätzliche Möglichkeit gegeben werden, entsprechend ihres Geschäftszwecks weiterhin werbend tätig zu sein.“

Im Mai 2018 wird das Insolvenzverfahren nach Bestätigung des Insolvenzplans aufgehoben.

Aufgrund des Fortsetzungsbeschlusses der Alleingesellschafterin vom 29.11.2018 wird die Fortsetzung der Gesellschaft vom beurkundenden Notar zum Handelsregister angemeldet. Das Registergericht lehnt die Eintragung ab. Die Beschwerde zum OLG Celle blieb erfolglos. Das OLG Celle war wie das Registergericht der Ansicht, dass die im Insolvenzplan vorgesehene, bloß abstrakte Fortführungsmöglichkeit den Anforderungen des § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG nicht genüge.

Entscheidung | BGH II ZB 3/19

Die Rechtsbeschwerde zum BGH hat Erfolg.

Ein Insolvenzplan sehe den Fortbestand einer GmbH bereits dann i.S.d. § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG vor, wenn er die Fortsetzung der Gesellschaft als Möglichkeit darstelle. Gemäß § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG kann eine GmbH die durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen aufgelöst wurde, nur in den in § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG genannten Fällen fortgesetzt werden. Dass ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der Antragstellerin nach §§ 212, 213 InsO eingestellt oder nach § 258 Abs. 1 InsO aufgehoben wurde und der bestätigte Insolvenzplan den Fortbestand der Gesellschaft vorsieht, dürfe das Registergericht als Voraussetzungen der Eintragung prüfen.

Eine konkrete Regelung im Plan sei zwar nicht schon aufgrund der (Insolvenzplan-) Bestätigungsentscheidung des Insolvenzgerichts entbehrlich, oder weil die Schuldnerin ein Schutzschirmverfahren nach § 270b BGB durchlaufen habe. Ein Insolvenzplan setze keine Absicht zur Sanierung des Unternehmens (wobei der BGH wohl eher meint: der Gesellschaft) voraus. Und auch das Schutzschirmverfahren im Speziellen setzt – so der II. Senat – nicht die Absicht voraus, die Schuldnergesellschaft selbst zu sanieren (was wiederum deren Fortsetzung voraussetzen würde). Eine Eigenverwaltung könne daher auch angeordnet werden, wenn eine Liquidation beabsichtigt ist.

Jedoch müsse im Plan auch nicht konkret dargelegt werden, in welcher Art und Weise die Fortsetzung der Gesellschaft erfolgen solle (anders das OLG Celle als Beschwerdegericht). Es genüge vielmehr, wenn der Insolvenzplan die Fortsetzung der Gesellschaft in das Ermessen der Gesellschaft stelle. Der II. Senat führt aus, dass der Wortlaut von § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG im Ausgangspunkt offen sei. Aus der Gesetzgebungsgeschichte ergebe sich aber, dass der Insolvenzplan nur die abstrakte eines Fortbestands der Gesellschaft einräumen müsse. Besonders aber der Zweck von § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG spreche jedoch für die vom BGH vertretene Interpretation der Vorschrift. Diese diene dem Gläubigerschutz, da im Regelfall nicht zu erwarten sei, dass die Gesellschaft in den nicht in § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG geregelten Fällen nach Abschluss des Insolvenzverfahrens noch über maßgebliches Gesellschaftsvermögen verfüge, dass eine Fortsetzung der Gesellschaft ohne Gefährdung der Gläubiger rechtfertigen könnte. Werde das Insolvenzverfahren nach Bestätigung eines Insolvenzplan aufgehoben, könne jedoch davon ausgegangen werden, dass das Unternehmen unter Mitwirkung seiner Gläubiger seine Krise beseitigt habe.

Der BGH gibt schließlich noch Hinweise für das weitere Verfahren. Zunächst stellt er klar, dass die Fortsetzung einer Gesellschaft nach § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG voraussetze, dass noch nicht mit der Verteilung des Gesellschaftsvermögens begonnen worden sei. Diese Frage war vorher umstritten. Die Anwendung dieses Verbots, das für die AG in § 274 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AktG ausdrücklich geregelt sei, folge daraus, dass die Gesellschafter mit dem Beginn der Verteilung des Gesellschaftsvermögens zu erkennen geben, dass eine Fortsetzung der Gesellschaft nicht mehr beabsichtigt ist. Das Verbot der Vermögensverteilung sei daher ein notwendiger Ersatz für die ansonsten fehlende Fortsetzungskontrolle durch das Registergericht. Es sichere die Kapitalerhaltung, da das Rückzahlungsverbot des § 30 GmbHG nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens keine Anwendung finde.

Schließlich seien auch keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer wirtschaftlichen Neugründung ersichtlich. Zwar seien die Grundsätze der wirtschaftlichen Neugründung auch bei der Fortsetzung einer GmbH nach Einstellung oder Aufhebung eines Insolvenzverfahrens gem. § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG anwendbar. Die mit der wirtschaftlichen Neugründung verbundenen Gläubigerschutzprobleme bestünden auch bei Verwendung des leeren Mantels einer aus dem Insolvenzverfahren entlassenen Gesellschaft, die nicht weiter fortgeführt wurde. Jedoch fehle es vorliegend an Anhaltspunkte für die Prüfung einer wirtschaftlichen Neugründung.

Praxishinweis | BGH II ZB 3/19

Der Entscheidung ist in allen Punkten zuzustimmen. Sie bringt Klarheit in die Interpretation von § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG im Zusammenhang mit der Fortführung der Schuldnergesellschaft im Anschluss an eine erfolgreiche Sanierung im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens. Die Klarstellung, dass es der Regelung des § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG genügt, wenn der Plan nur die abstrakte Möglichkeit der anschließenden Fortsetzung der Gesellschaft vorsieht, ohne bereits (über § 225a Abs. 3 InsO mit der korrespondierenden Gruppenbildungsverpflichtung nach § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 InsO und der anschließenden Beteiligung der Gesellschafter bei der Planabstimmung gem. §§ 243, 244 InsO) einen konkreten Fortsetzungsbeschluss zu enthalten, bedeutet eine für die Praxis hilfreiche flexible Interpretation der Norm. Auf diese Weise kann im Rahmen der Plangestaltung noch offen gelassen werden, ob tatsächlich eine Fortsetzung der Gesellschaft erfolgt. Diese Entscheidung kann vielmehr in das Belieben der Gesellschafter gestellt werden, die im Anschluss an die Aufhebung des Verfahrens zunächst sondieren können, ob eine Fortsetzung der werbenden Tätigkeit der Gesellschafter nunmehr als sinnvoll erscheint.

Auch wenn dieser Teil für die notarielle Praxis weniger relevant ist, enthält die Entscheidung auch im Übrigen einige für den insolvenzrechtlich interessierten Gesellschaftsrechtler interessante Ausführungen. So stellt der Senat klar, dass ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung nach §§ 270 ff. InsO nicht zwingend auf eine Sanierung der Gesellschaft selbst ausgerichtet sein muss. Dem ist ebenfalls zuzustimmen. Das deutsche Insolvenzrecht kennt keinen Vorrang der Rechtsträgersanierung vor der (Gesamt-)Veräußerung des Schuldnerunternehmens und anschließenden Liquidation der Schuldnergesellschaft. Die Sanierung der Schuldnergesellschaft hat für sich gesehen aus insolvenzrechtlicher Perspektive keinen Mehrwert gegenüber der Sanierung des Unternehmens der Schuldnergesellschaft. Der erstrebenswerte Mehrwert für die Gläubiger folgt aus der Erhaltung des Unternehmens und der damit verbundenen Realisierung von Fortführungswerten. Ob dies im Rahmen einer Sanierung der Schuldnergesellschaft (Rechtsträgersanierung) erfolgt, oder durch Verkauf des Schuldnerunternehmens (übertragende Sanierung) und anschließender Liquidation der Schuldnerin, ist dabei aus Sicht der Gläubiger irrelevant. Dass dies im Rahmen des Eigenverwaltungsverfahrens (mit vorgeschaltetem Schutzschirmverfahrens) anders sein soll, lässt sich weder aus dem Gesetz noch dem Willen des Gesetzgebers herleiten. Auch in diesem Fall erhöht sich der Verwertungserlös, je früher der Insolvenzantrag gestellt wird. Damit adressiert das Eigenverwaltungsverfahren nach §§ 270 ff. InsO (das Schuldner zu möglichst frühen Insolvenzanträgen motivieren soll) die Rechtsträgersanierung ebenso wie die Unternehmensverwertung im Rahmen einer übertragenden Sanierung.

Auch die Bestätigung der Ausführungen des OLG Celle, dass auf die Fortsetzung nach Aufhebung eines Insolvenzplanverfahrens die Grundsätze über die wirtschaftliche Neugründung Anwendung finden, sind ebenfalls ebenso überzeugend, wie sie wenig überraschend sind.