OLG Karlsruhe 19 W 20/21
Wirksamer Verschmelzungsbeschluss in virtueller Mitgliederversammlung eines Vereins

09.09.2022

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Karlsruhe
11.01.2022
19 W 20/21
BeckRS 2022, 13796

Leitsatz | OLG Karlsruhe 19 W 20/21

Durch das Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie vom 27.3.2020 (GesRuaCOVBekG/COVMG) sind virtuelle Mitgliederversammlungen von Vereinen der Präsenzversammlung gleichgestellt. Auch umwandlungsrechtliche Beschlüsse können in einer virtuellen Mitgliederversammlung gefasst werden (im Anschluss an BGH NZG 2021, 1562).

Sachverhalt | OLG Karlsruhe 19 W 20/21

Der Antragsteller, ein eingetragener Verein, hat am 30.12.2020 seine Verschmelzung auf einen weiteren Verein (§§ 2 Nr. 1, 3 I Nr. 4 UmwG) im Vereinsregister angemeldet. Dabei hat er unter anderem das notarielle Protokoll einer als Videokonferenz abgehaltenen Mitgliederversammlung des Antragstellers vom selben Tag vorgelegt, in welchem die Zustimmung zu dem Verschmelzungsvertrag beschlossen wurde. Das AG – Registergericht – hat die Anmeldung zurückgewiesen, weil die Mitgliederversammlung virtuell abgehalten wurde. Ein in einer solchen Versammlung gefasster Verschmelzungsbeschluss sei unwirksam. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers.

Entscheidung | OLG Karlsruhe 19 W 20/21

Die Beschwerde ist zulässig und begründet und hat daher in der Sache Erfolg. Der Wirksamkeit des Verschmelzungsbeschlusses steht nicht entgegen, dass die Mitgliederversammlung, in der er gefasst wurde, per Videokonferenz abgehalten wurde.

Der Verschmelzungsbeschluss kann nach § 13 Abs. 1 S. 2 UmwG nur in einer Mitgliederversammlung gefasst werden und muss nach § 13 Abs. 3 S. 1 UmwG notariell beurkundet werden. Schon vor der Covid-19-Pandemie war es in der Rechtsprechung und der Literatur zumindest im Grundsatz anerkannt, dass die Satzung eines Vereins es ermöglichen kann, Mitgliederversammlungen per Telekommunikation (virtuell) abzuhalten (OLG Hamm NZG 2012, 189; Staudinger/Schwennicke, BGB, 2019, § 32 Rn. 49 jew. mwN). Gemäß § 5 Abs. 2  Nr. 1 COVMG kann der Vorstand abweichend von § 32 Abs. 1 S. 1 BGB auch ohne Ermächtigung in der Satzung ermöglichen, Mitgliederrechte im Wege elektronischer Kommunikation auszuüben. Hierdurch soll der Verein in die Lage versetzt werden, auch ohne Ermächtigung in der Satzung „virtuelle“ Mitgliederversammlungen durchzuführen (Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs. 19/18110, 30). Eine virtuelle Versammlung ist somit der Präsenzversammlung gleichgestellt; in ihr können wirksame Beschlüsse gefasst werden.

Das Gesetz sieht dabei keine Einschränkung bezüglich des Inhalts der in einer virtuellen Mitgliederversammlung gefassten Beschlüsse vor. Zweck des Gesetzes ist es, Unternehmen und Vereine trotz der pandemiebedingten Beschränkungen der Versammlungsfähigkeit in die Lage zu versetzen, erforderliche Beschlüsse zu fassen und handlungsfähig zu bleiben.

Insbesondere kann aus § 4 COVMG, der abweichend von § 17 Abs. 2 S. 4 UmwG Erleichterungen für die Bilanz des übertragenden Rechtsträgers vorsieht, nicht geschlossen werden, dass die übrigen Erleichterungen des Gesetzes nicht für Umwandlungsbeschlüsse gelten sollen. § 4 COVMG stellt lediglich eine Ergänzung der gesetzlichen Erleichterungen dar (Entwurfsbegründung, S. 29). Somit können auch umwandlungsrechtliche Beschlüsse in einer virtuellen Mitgliederversammlung gefasst werden.

Dass § 5 COVMG in der Entwurfsbegründung von § 4 nicht ausdrücklich erwähnt wird, ändert daran nichts. Umstrukturierungen von Vereinen haben weniger praktische Relevanz als diejenigen der dort angesprochenen Unternehmensformen. Es besteht kein Anhaltspunkt für die Annahme, dass bei Vereinen die Fassung von Verschmelzungsbeschlüssen in einer virtuellen Mitgliederversammlung nicht ermöglicht werden soll.

Auch § 13 Abs. 1 S. 2 UmwG steht der Fassung eines Verschmelzungsbeschlusses in einer virtuellen Mitgliederversammlung nicht entgegen. Diese Norm, die für alle verschmelzungsfähigen Rechtsträger und damit auch für Vereine gilt, verlangt nicht, dass die Anteilsinhaber den Verschmelzungsbeschluss in einer Versammlung mit physischer Anwesenheit fassen. Die Beschlussfassung ist auch in virtueller Versammlung – etwa im Wege der Videokonferenz – möglich, wenn die konkrete Ausgestaltung der Kommunikation eine vergleichbare Teilnahme der Anteilsinhaber und Durchführung der Versammlung wie bei einer physischen Präsenzveranstaltung ermöglicht.

Auch das Erfordernis der notariellen Beurkundung nach § 13 Abs. 3 S. 1 UmwG erzwingt keine Beschlussfassung bei physischer Anwesenheit in einer Präsenzversammlung. Ihm wird dadurch entsprochen, dass der Notar am Aufenthaltsort des Versammlungsleiters zugegen ist, sich dort von dem ordnungsgemäßen Ablauf des Beschlussverfahrens überzeugt und anschließend die Feststellung des Beschlussergebnisses durch das zuständige Vereinsorgan. Die von dem Antragsteller vorgelegte notarielle Versammlungsniederschrift vom 30.12.2020 wird diesen Anforderungen gerecht.

Praxishinweis | OLG Karlsruhe 19 W 20/21

Gemäß § 5 Abs. 2  Nr. 1 COVMG können auch Verschmelzungsbeschlüsse wirksam in einer virtuellen Mitgliederversammlung des e.V. gefasst werden. Gemäß § 7 Abs. 5 COVMG gilt dies jedoch nur noch bis zum 31.08.2022. Da die Möglichkeit der Abhaltung virtueller Mitgliederversammlungen schon vor der Covid-19-Pandemie in Rechtsprechung und Literatur grundsätzlich anerkannt waren, wird dies auch nach Ablauf des 31.08.2022 möglich sein. Hierfür muss die Möglichkeit der Durchführung einer virtuellen Mitgliederversammlung jedoch nach überwiegender Ansicht in der Vereinssatzung vorgesehen sein (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 27.09.2011 − 27 W 106/11, NJW 2012, 940). Weitere Ausführungen zu dieser Thematik finden sich in dem Aufsatz von Heckschen/Hilser, NZG 2022 (im Erscheinen).