BFH XI R 22/19
Widerruf des Verzichts auf Steuerbefreiung

13.01.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BFH
02.07.2021
XI R 22/19
DStR 2021, 2584

Leitsatz | BFH XI R 22/19

Der Verzicht auf die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG kann widerrufen werden, solange die Steuerfestsetzung für das Jahr der Leistungserbringung noch anfechtbar oder noch nach § 164 AO änderbar ist. § 9 Abs. 3 Satz 2 UStG i.d.F. des Haushaltsbegleitgesetzes 2004 regelt den Widerruf nicht.

Sachverhalt | BFH XI R 22/19

Die Klägerin, eine GmbH, erwarb am 18.05.2009 von der A Immobilien GmbH ein Grundstück. Die Veräußerin verzichtete in § 3 Abs. 1 des notariell beurkundeten Vertrags auf die Steuerbefreiung für Grundstückslieferungen. In der Umsatzsteuererklärung für 2009 gab die Klägerin Umsätze von 320.000 € an. Für diese schuldete sie nach § 13b Abs. 2 S. 1 i.V.m. Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UStG als Leistungsempfängerin Steuer i.H.v. 60.800 €, welche sie gem. § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 UStG als Vorsteuer wieder abzog. Eine Zahllast ergab sich nicht. Das Finanzamt stimmte der Erklärung zu.  

Am 01.11.2011 veräußerte die Klägerin eine Teilfläche des Grundstücks für 820.000 € ohne Verzicht auf die Steuerbefreiung. Mit notariellem Vertrag vom 23.04.2012 vereinbarten die Veräußerin und die Klägerin die Rückgängigmachung des im Grundstückskaufvertrag von 2009 erklärten Verzichts auf die Steuerbefreiung. Die Klägerin gab in ihrer Umsatzsteuererklärung für 2011 eine steuerfreie Grundstückslieferung von 820.000 € an. Eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs aus dem Erwerbsvorgang und eine Änderung der Steuererklärung von 2009 fanden nicht statt.

Im Rahmen einer Außenprüfung wurde die Rückgängigmachung des Verzichts auf die Steuerbefreiung für nicht wirksam erklärt. Der im Jahr 2009 vorgenommene Vorsteuerabzug sei nach § 15a Abs. 2 UStG im Jahr 2011 i.H.v. 30.400 € zu berichtigen. Daraufhin erließ das vormalig zuständige Finanzamt einen Umsatzsteuer-Änderungsbescheid für das Jahr 2011. Gegen diesen legte die Klägerin Einspruch ein. Das inzwischen zuständig gewordene beklagte Finanzamt wies den Einspruch als unbegründet zurück. Der Verzicht auf die Umsatzsteuerbefreiung der Lieferung eines Grundstücks könne nur in dem dieser Grundstückslieferung zugrunde liegenden notariellen Vertrag erklärt werden. Gleiches gelte für die Rückgängigmachung des Verzichts.

Das Finanzgericht Baden-Württemberg gab der Klage statt. Mit der Revision rügt das FA die Verletzung formellen und materiellen Rechts und beantragt, das FG-Urteil aufzuheben.

Entscheidung | BFH XI R 22/19

Die Revision des Beklagten wird als unbegründet zurückgewiesen. Die Veräußerin hat den Verzicht auf die Steuerbefreiung wirksam widerrufen.

Nach § 4 Nr. 9 a UStG sind Umsätze, die unter das Grunderwerbsteuergesetz fallen, steuerfrei. Der Unternehmer kann gem. § 9 Abs. 1 UStG einen Umsatz aber als steuerpflichtig behandeln, wenn der Umsatz an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt wird.

Vor Ergehen des HBeglG 2004 konnte der Verzicht auf die Steuerbefreiung nach ständiger Rechtsprechung des BFH wieder zurückgenommen werden. Der Widerruf wirkte auf das Jahr der Umsatzausführung zurück und unabhängig davon, ob er privatschriftlich oder notariell beurkundet erfolgte. Er konnte so lange erklärt werden, wie die Steuerfestsetzung für das Jahr der Leistungserbringung anfechtbar oder aufgrund eines Vorbehalts der Nachprüfung gemäß § 164 AO noch änderbar war.

Durch Art. 29 HBeglG 2004 wurde § 9 Abs. 3 S. 2 UStG eingefügt. Demnach konnte der Verzicht auf die Umsatzsteuerbefreiung der Grundstückslieferung nur in dem dieser zugrunde liegenden, gem. § 311b Abs. 1 BGB notariell zu beurkundenden Vertrag erklärt werden. Hierfür spricht der klare Wortlaut der Norm, dass ansonsten der Leistungsempfänger nicht genügend geschützt würde und die Gefahr von Steuerausfällen bestünde.

Diese zeitliche Grenze gilt aber nicht für den Widerruf des Verzichts. Dem Unionsrecht nach stellt die Erklärung der Option zur Steuerpflicht und deren Widerruf nur eine Modalität der Ausübung des Optionsrechts i.S.v. Art. 13 Teil C Satz 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG (nun Art. 137 Abs. 2 der Richtlinie 2006/112/EG) dar. Der Wortlaut des § 9 Abs. 3 Satz 2 UStG betrifft nur den auf die Steuerbefreiung begrenzten Verzicht. Der Grundsatz, dass sowohl die Option als auch der Widerruf der Option (als actus contrarius) in gleicher Weise auszuüben sind, gilt nach der Rechtslage durch das HBeglG 2004 für die zeitliche Grenze der Ausübung des Wahlrechts nicht mehr. Müsste der Widerruf des Verzichts gleichzeitig mit dem Verzicht auf die Steuerbefreiung ausgeübt werden, wäre der Widerruf faktisch ausgeschlossen. § 9 Abs. 3 Satz 2 UStG soll den Leistungsempfänger vor einem nachträglichen Verzicht des leistenden Unternehmers schützen, um eine nachträgliche Steuerschuld des Leistungsempfängers zu verhindern. Der Widerruf der Option führt hingegen zu einer Steuerbefreiung und damit nicht zu einer Belastung des Leistungsempfängers. Er steht somit dem Zweck der Norm nicht entgegen. Auch drohen keine Steuerausfälle, da nicht nur die Steuerlast beim Empfänger entfällt, sondern ggf. auch sein Recht zum entsprechenden Vorsteuerabzug.

Somit kann der Widerruf des Verzichts so lange erfolgen, wie die Steuerfestsetzung für das Jahr der Leistungserbringung anfechtbar oder aufgrund eines Vorbehalts der Nachprüfung gem. § 164 AO änderbar ist. Im Streitfall stand die Umsatzsteuererklärung 2009 einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich, § 168 S. 1 AO. Dieser Vorbehalt war zur Zeit des Widerrufs des Verzichts noch wirksam, da seine Aufhebung erst später erfolgte. Somit ging das FG zu Recht davon aus, dass der Widerruf am 23.04.2012 wirksam und rechtzeitig war.

Praxishinweis | BFH XI R 22/19

Die Option zur Umsatzsteuerpflicht kann von Vorteil sein, da der Käufer nicht durch die Umsatzsteuer belastet wird, wenn er sie als Vorsteuer wieder abziehen kann. Auch bei nicht zum Vorsteuerabzug berechtigten Käufern kann in manchen Fällen durch die Option zur Umsatzsteuerpflicht eine Kostenentlastung erreicht werden. Ohne die Optionsausübung könnte die Umsatzsteuerbefreiung zu einer echten Kostenbelastung werden, da der Verkäufer versuchen könnte, die nicht-abzugsfähige Vorsteuer über den Verkaufspreis auf den Käufer abzuwälzen.

Der BFH stellt in seinem Urteil klar, dass § 9 Abs. 3 Satz 2 UStG nicht für den Widerruf eines Verzichts auf die Umsatzsteuerbefreiung gilt. Ein solcher Verzicht kann auch nach Abschluss des Kaufvertrags und so lange zurückgenommen werden, wie die Steuerfestsetzung für das Jahr der Leistungserbringung noch anfechtbar oder nach § 164 AO änderbar ist.