BGH V ZR 30/20
Wegfall der Geschäftsgrundlage bei Grundstücksübertragungsvertrag mit Pflegeversicherung

15.04.2022

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
09.07.2021
V ZR 30/20
ZEV 2021, 771

Leitsatz | BGH V ZR 30/20

Bei einem Übertragungsvertrag mit Pflegevereinbarung unter Geschwistern ist die dauerhafte, von gegenseitigem Vertrauen der Parteien getragene Beziehung im Zweifel Geschäftsgrundlage des Vertrags. Ist das Verhältnis zwischen dem übertragenden und dem übernehmenden heillos zerrüttet, führt dies – vorbehaltlich vertraglicher Vereinbarungen – zu dem Wegfall der Geschäftsgrundlage. Der übertragende kann die Rechte aus § 313 BGB geltend machen, es sei denn, die Zerrüttung ist eindeutig ihm allein anzulasten.

Sachverhalt | BGH V ZR 30/20

Der Kläger (geboren 1944) übertrug mit notariellem Vertrag vom 20.11.2013 sein mit einem Wohnhaus bebautes Grundstück auf seine Schwester, die Beklagte. Zuvor hatte er einen Herzinfarkt erlitten. Die Beklagte bestellte dem Kläger im Gegenzug ein Wohnrecht an bestimmten Räumen und verpflichtete sich, ihn lebenslang zu betreuen und zu pflegen. Daraufhin wurde die Beklagte als Eigentümerin in das Grundbuch eingetragen und zog zusammen mit ihrem Ehemann, ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn in das Wohnhaus ein. Nachdem es in der Folgezeit zu Streitigkeiten zwischen dem Kläger und seiner Schwester kam, erbrachte diese ab Februar oder März 2014 keine Pflegeleistungen mehr. Daraufhin erklärte der Kläger im März 2014 den Rücktritt vom Vertrag. Er begründete seinen Rücktritt damit, dass die Beklagte von ihm Miete verlange und ihn bedränge und genötigt habe.

Nachdem die Klage auf Rückübertragung des Grundstücks von dem LG abgewiesen wurde und auch die Berufung keinen Erfolg hatte, legt der Kläger nun Revision ein.

Entscheidung | BGH V ZR 30/20

Die Revision ist zulässig und begründet.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts komme es auf die Erwägungen zu § 323 Abs. 1 BGB nicht an. Zwar handele es sich bei dem Vertrag um einen gegenseitigen Vertrag, sodass die §§ 320 ff. BGB anwendbar seien, für das Verlangen des Klägers sei § 323 Abs. 1 BGB jedoch trotzdem nicht einschlägig. Denn der Kläger stütze seinen Anspruch nicht auf das Ausbleiben der Pflegeleistungen in der Vergangenheit. Vielmehr bezieht er sich auf ein unzumutbares Empfangen der Leistungen in der Zukunft aufgrund eines heillosen Zerwürfnisses zwischen ihm und der Beklagten. Demnach sei der Anspruch auf Rückübertragung des Grundstückes nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 3 BGB zu prüfen. Die Auflösung des Vertrages durch Rücktritt oder Kündigung, sofern die Anpassung des Vertrages nicht mehr möglich ist, sei nicht auf Extremfälle beschränkt. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts komme ein Anspruch auf Rückübertragung nicht nur dann in Betracht, wenn dies zur Vermeidung „untragbarer, mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin unvereinbarere Folgen unabweisbar erscheint“.

Insbesondere sei der Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht allein deshalb ausgeschlossen, weil die Beteiligten die Zerrüttung zwischen den Parteien nicht als vertraglichen Rücktrittsgrund in den Übernahmevertrag mit aufgenommen haben. Daraus könne nicht die Übernahme des Risikos der Zerrüttung hergeleitet werden. Vielmehr sei anzunehmen, dass die Parteien diesen Fall erkennbar nicht bedacht haben, weshalb sie darüber keine Regelung getroffen haben.

Das Berufungsurteil muss somit insoweit aufgehoben werden, als dass es mit der Revision angegriffen wurde. Der Senat weist darüber hinaus auf Folgendes hin: Bei einem Übertragungsvertrag mit Pflegevereinbarung unter Geschwistern sei die dauerhafte, von Vertrauen geprägte Beziehung im Zweifel Geschäftsgrundlage des Vertrags. Sei das Verhältnis zwischen den Parteien heillos zerrüttet, führe dies grundsätzlich zum Wegfall der Geschäftsgrundlage. Dann könne der Übertragende Rechte aus § 313 BGB geltend machen, sofern diesem die Zerrüttung nicht eindeutig allein zuzuordnen sei. Außerdem sei die Beklagte für diesen Ausnahmefall darlegungs- und beweispflichtig. Denn wenn feststehe, dass das Verhältnis zerrüttet sei, müsse die Beklagte beweisen, dass sich der Kläger ausnahmsweise nicht auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen kann. Gelingt ihr dies nicht, müsse das Berufungsgericht noch prüfen, ob dem Beklagten ggf. eine vorrangige Vertragsanpassung zumutbar sein könne. Dies könnte zum Beispiel die Zahlung von Geld anstelle von Dienst- und Sachleistungen sein. Sollte dies nicht in Betracht kommen, könne der Kläger die Rückübertragung des zugewendeten Eigentums am Hausgrundstück verlangen.

Praxishinweis | BGH V ZR 30/20

Das Gericht hält fest, dass gerade bei einem Übertragungsvertrag mit Pflegevereinbarung zwischen Geschwistern das auf Vertrauen basierende Verhältnis zwischen den Geschwistern eine Geschäftsgrundlage des Vertrages darstellen soll. Sofern es zur heillosen Zerrüttung kommt und nicht eine Partei erkennbar allein dafür verantwortlich ist, können Ansprüche wegen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage geltend gemacht werden. Sollte ein Anspruch nach § 313 BGB geltend gemacht werden ist zu beachten, dass dieser auf das künftige unzumutbare Empfangen der Leistungen gestützt wird und nicht auf ein vergangenes Ausbleiben.