OLG Frankfurt 20 W 24/21
Wechselseitige Erbeinsetzung der Erblasserin durch Ehemann in gemeinschaftlichem Testament in Bezug auf etwaige Ersatzschlusserbeinsetzung

25.01.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Frankfurt
08.10.2021
20 W 24/21
ZEV 2022, 274

Leitsatz | OLG Frankfurt 20 W 24/21

Der Satz der allgemeinen Lebenserfahrung, nach der davon ausgegangen werden kann, dass ohne ausdrückliche Regelung ein Testierender, der eines seiner Kinder als Erben einsetzt, im Zweifel für den Fall, dass dieses wegfällt, an dessen Stelle auch dessen Abkömmlinge als Erben einsetzt, stellt kein Kriterium dar, das bei der individuellen Auslegung einer Verfügung von Todes wegen herangezogen werden könne; vielmehr ist diese Regel der Lebenserfahrung gerade in der Vorschrift des § 2069 BGB als Auslegungsregel für den Fall normiert worden, dass die individuelle Auslegung ergebnislos bleibt (Abgrenzung zu OLG Hamm v. 15.07.2003 – 15 W 178/03, BeckRS 2003, 30323297, ZEV 2004, 68 Ls.). (amtl. Ls.)

Sachverhalt | OLG Frankfurt 20 W 24/21

Der Beteiligte zu 1 (B1) ist eines der beiden Kinder der Eheleute E und M. E verstarb 2020 und M bereits im Jahr 2019. Der Beteiligte zu 2 (B2) ist der Sohn des zweiten Sohnes, welcher im Jahr 2012 verstarb. Nachdem B1 nach dem Tod des M einen Erbscheinsantrag nach gesetzlicher Erbfolge stellte, ergab sich, dass ein gemeinschaftliches handschriftliches Testament, mit Unterschriften aus den Jahren 2006 und 2010, vorhanden sei, woraufhin das Nachlassgericht am 19.12.2019 das gemeinschaftliche Testament der Eheleute eröffnete. In dem Testament haben sich die Eheleute gegenseitig als Erben eigesetzt. Außerdem sollen die Söhne nach dem Tod der Eheleute das Gesamtvermögen zu gleichen Teilen erben. Den beantragten Alleinerbenschein der E hat das Nachlassgericht am 02.01.2020 erteilt. Nach dem Tod der E reichte B1 ein offenes Schriftstück ein, wonach die E ihren Sohn als Alleinerben einsetzte. Dieses Schriftstück war mit zwei Unterschriften und Ortsangaben versehen, dem 01.08.2013 und dem 10.01.2020. B1 stellte daraufhin einen Antrag auf einen Erbschein, der ihn als Alleinerben ausweist. B2 stellte hingegen einen Antrag auf Grundlage des gemeinschaftlichen Testaments, der die Beteiligten zu je ½ als Erben ausweisen soll.

Das Nachlassgericht lehnte den Antrag des B2 ab und stellte die Voraussetzungen für die Erteilung des durch B1 beantragten Erbscheins fest. Hiergegen legte B2 Beschwerde ein, welcher das Nachlassgericht nicht abgeholfen hat.

Entscheidung | OLG Frankfurt 20 W 24/21

Die Beschwerde des B2 ist zulässig, aber unbegründet.

E habe mit dem den gesetzlichen Formvorschriften des § 2247 Abs. 1 BGB und den weiteren Anforderungen des § 2247 Abs. 2 und 3 S. 1 BGB entsprechenden Testament den B1 als ihren alleinigen Erben eingesetzt. Daran sei sie auch nicht durch das gemeinschaftliche Testament gehindert gewesen. Sie wäre lediglich daran gehindert gewesen, wenn anzunehmen sei, dass es sich im gemeinschaftlichen Testament um eine wechselbezügliche Erbeinsetzung gehandelt hat und E´s Erbeinsetzung somit durch M nicht ohne ihre Ersatzschlusserbeneinsetzung des B2 getroffen worden wäre (§ 2270 Abs. 1 BGB).

Das Nachlassgericht habe richtigerweise zuerst geprüft, ob sich eine solche wechselseitige Erbeinsetzung des B2 aus einer individuellen Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments feststellen lässt, wobei es nach § 133 BGB auf den wirklichen Willen des Testierenden ankomme. Dabei sei allein das subjektive Verständnis der vom Testierenden verwendeten Begriffe maßgeblich. Bei einem gemeinschaftlichen Testament komme es auf den übereinstimmenden Willen zum Zeitpunkt der Errichtung an. Das gemeinschaftliche Testament der Eheleute enthalte keine ausdrückliche Ersatzschlusserbeneinsetzung des B2. Weiter habe das Gericht zu Recht geprüft, ob tatsächliche Umstände vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Vater des B2 als erste Person seines Familienstamms eingesetzt worden ist. Dagegen spreche, dass die Großeltern B2 nicht im gemeinschaftlichen Testament ausdrücklich benannt haben, obwohl B2 zum Zeitpunkt der Errichtung bereits erwachsen war. Zudem spreche das Einzeltestament der E gegen einen solchen Willen der Eheleute. Für die Auslegung sei es unerheblich, ob die Eheleute zum Zeitpunkt der Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments ein Vorversterben ihres Sohnes in Betracht gezogen haben oder nicht.

Dass B1 laut Aussagen der Verfahrensbevollmächtigten des B2 „Umbauten am Haus der Verstorbenen“ mit B2 zuvor abgestimmt habe, spreche nicht überzeugend dafür, dass auch B1 davon überzeugt gewesen ist, dass nach dem Willen seiner Eltern die Stämme zu gleichen Teilen hätten erben sollen. Selbst, wenn man die Aussagen über das gute Verhältnis zwischen B2 und seinen Großeltern als wahr unterstellen würde, führe die Klage nicht zum Erfolg, da daraus nicht der Wille der Eheleute abgeleitet werden könne, dass diese den B2 auch als Ersatzschlusserben ansehen wollten. Außerdem könne der aus § 2069 BGB folgende Erfahrungssatz, dass Enkel im Falle eines vorverstorbenen Kindes Ersatzerben sein sollen, kein Kriterium der individuellen Auslegung einer Verfügung von Todes wegen darstellen. Daher habe das Nachlassgericht zu Recht eine Einsetzung des B2 ausschließlich unter Heranziehung von § 2069 BGB angenommen, welche jedoch nicht wechselbezüglich sei. Im Rahmen dessen verneint das Gericht die Wechselbezüglichkeit richtigerweise auch mit Verweis auf die unzulässige Kumulation der § 2069 BGB und § 2270 Abs. 2 BGB. Daher stehe sie auch der Einsetzung des B1 als Alleinerbe im Einzeltestament nicht entgegen. Das Gericht hat die Rechtsbeschwerde zugelassen.

Praxishinweis | OLG Frankfurt 20 W 24/21

Die Entscheidung wendet die Entscheidung des BGH vom 16.01.2002 an und den darin verankerten Grundgedanken, dass ein i.R.d. individuellen Auslegung nicht feststellbarer ausdrücklicher Wille der Wechselbezüglichkeit nicht durch eine Vermutung nach § 2270 Abs. 2 BGB hergeleitet werden kann. Es kommt somit hauptsächlich auf den Willen der Erblasser an. Eine Ersatzerbenstellung kann nicht lediglich auf eine gute familiäre Bindung zwischen den Großeltern und ihren Enkelkindern gestützt werden. Es könnte höchstens auf ein besonderes Näheverhältnis abgestellt werden. Insgesamt ist Testierenden zu empfehlen, bei einem einfachen handschriftlichen Testament die Schlusserben und ggf. Ersatzschlusserben ausdrücklich zu benennen.