BGH VIII ZR 61/15
Vorkaufsrecht des Mieters bei Realteilung

18.12.2017

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
27.04.2016
VIII ZR 61/15
BeckRS 2016, 10703

Leitsatz | BGH VIII ZR 61/15

1.     Ein Vorkaufsrecht des Mieters nach § 577 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 analog wird bei Veräußerung eines noch ungeteilten Gesamtgrundstücks und beabsichtigter Realteilung nur dann begründet, wenn der Verkäufer als Vorkaufsverpflichteter in dem mit dem Erwerber abgeschlossenen Kaufvertrag die Verpflichtung zur Aufteilung übernommen hat. Ob dies der Fall ist, ist dem Kaufvertrag im Weg der Auslegung zu entnehmen. Weiter setzt die Entstehung eines solchen Vorkaufsrechts voraus, dass die vom Vorkaufsrecht erfasste zukünftige Einzelfläche in dem Kaufvertrag bereits hinreichend bestimmt oder zumindest bestimmbar ist.

2.     § 467 S. 1 BGB sichert das Interesse des Vorkaufsberechtigten an der Ausübung seines Rechts beim Verkauf mehrerer Gegenstände, die nur zum Teil dem Vorkaufsrecht unterliegen, und schränkt damit den in § 464 Abs. II BGB Grundsatz der Vertragsidentität ein. Damit bestimmt das Vorkaufsrecht und nicht der den Vorkaufsfall auslösende Kaufvertrag, welche Gegenstände der Vorkaufsberechtigte in Ausübung seines Rechts erwerben kann.

3.     § 467 S. 1 BGB ist auf den Fall des Verkaufs eines nur teilweise mit einem Vorkaufsrecht belasteten Grundstücks entsprechend anzuwenden.

4.     Der Vorkaufsverpflichtete kann jedoch gem. § 467 S. 2 BGB (analog) verlangen, dass der Vorkauf auf alle Gegenstände bzw. auf das gesamte Grundstück erstreckt wird, wenn nach Abtrennung der vorkaufsbelasteten Gegenstände lediglich ein isoliert nicht sinnvoll nutzbarer Gegenstand verbliebe, für den sich kein adäquater Preis erzielen ließe.

Sachverhalt | BGH VIII ZR 61/15

Die Klägerin ist seit 1989 Mieterin eines Einfamilienhauses auf einem mit mehreren Gebäuden bebauten Grundstück der Beklagten. Diese veräußert das Gesamtgrundstück mit notariellem Kaufvertrag vom 14.12.2012, beigefügt ist ein Lageplan, in welchem das Grundstück in noch zu vermessenden Teilflächen dargestellt ist. Im Kaufvertrag sind Gesamtgrundstück und Grundstücksteilflächen als Kaufgegenstand aufgeführt. Die beteiligten Käufer schließen eine Vereinbarung über die Ausgestaltung ihrer Miteigentümergemeinschaft, in deren Vorbemerkung sie unter Bezugnahme des Lageplans vermerken, sie hätten den Grundbesitz „zum Eigentum zu Teilflächen“ erworben. Die Klägerin möchte bezüglich des von ihr gemieteten Einfamilienhauses das ihr, ihrer Ansicht nach, nach § 577 BGB zustehende Vorkaufsrecht ausüben und teilt dies der Beklagten fristgerecht mit. Diese stimmt dem Schreiben erst zu, ist jedoch später der Meinung, ein solches Vorkaufsrecht stehe der Klägerin nicht zu. Dem Antrag der Klägerin folgend ordnete das AG Aachen mittels einstweiliger Verfügung die Eintragung einer Vormerkung zur Sicherung des Anspruchs der Klägerin auf Auflassung und Eintragung der im beigefügten Lageplan bezeichneten, noch zu vermessenden Teilfläche mit darauf erbautem Haus, an. Die Vormerkung wurde ins Grundbuch eingetragen. Nach Vermessung der Teilflächen nimmt die Klägerin die Beklagte auf Auflassung des Grundstücks und Übertragung eines Miteigentumsanteils in Anspruch. Die Beklagte begehrt, die vom AG Aachen erlassene einstweilige Verfügung aufzuheben. Das AG Aachen gab der Klägerin Recht, das LG entsprach der Widerklage der Beklagten. 

Entscheidung | BGH VIII ZR 61/15

Der BGH folgte der Ansicht des AG Aachen und gab der Klägerin Recht. Das Berufungsgericht habe eine unzureichende Beurteilung des Sachverhalts vorgenommen und den notariellen Kaufvertrag rechtsfehlerhaft dahingehend ausgelegt, dass die Beklagte keine Verpflichtung dahingehend übernommen habe, das Gesamtgrundstück in die im Kaufvertrag beschriebenen Einzelflächen aufzuteilen. Die nach § 577 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. BGB geforderte Voraussetzung für das Entstehen eines Vorkaufsrechts im Fall der Veräußerung eines ungeteilten Grundstücks sah der BGH daher als gegeben an. Die vom Vorkaufsrecht erfasste zukünftige Wohnungseigentumseinheit war zum Zeitpunkt der Geltendmachung des Vorkaufsrechts durch die Klägerin bereits bestimmt oder zumindest bestimmbar, da alle Einheiten des Gesamtgrundstücks im Kaufvertrag zwischen der Beklagten und den ursprünglichen Käufern  durch detaillierte Regelungen und unter Bezugnahme eines Lageplans hinsichtlich ungefährer Größe, Beschaffenheit und ihrer Lage auf dem Gesamtgrundstück spezifiziert wurden.

Weiterhin wies der BGH auf eine vom Berufungsgericht abweichend vorgenommene Interpretation des § 577 Abs. 1 S. 3 BGB und § 467 BGB analog hin, wonach keine vollständige Übereinstimmung zwischen Kaufgegenstand und Mietobjekt bestehen muss. Der wesentliche Kaufgegenstand ist die mit dem von der Klägerin angemieteten Wohnhaus bebaute Teilfläche des Gesamtgrundstücks, und somit liegt lediglich bezüglich einer Gemeinschaftsteilfläche keine Kongruenz zwischen Mietsache und Kaufgegenstand. Dies würde aber nach Sicht des BGH das Zustandekommen eines Kaufvertrags zwischen Klägerin und Beklagter nicht hindern, sondern würde diesen Teil lediglich aus dem Kaufertrag zwischen den Parteien ausnehmen.

Die Beklagte hat nach Ansicht des BGH das Recht, den Vorkauf der Klägerin auf alle Kaufgegenstände zu erweitern, die dem ursprünglichen Käufer zugeordnet wurden. § 467 S. 2 BGB analog sei einschlägig, da nach Abtrennung der vorverkaufsbelasteten Gegenstände lediglich ein isoliert nicht sinnvoll nutzbarer Gegenstand (ein Miteigentumsanteil an einer Gemeinschaftsfläche) übrig bleiben würde, für den sich kein adäquater Preis erzielen ließe.

Aus Sicht des BGH hat die Klägerin ein Vorkaufsrecht an dem von ihr gemieteten Mietshaus mitsamt Grundstück und ebenso an einem Miteigentumsanteil an den gemeinsam genutzten Flächen und hat dieses auch wirksam ausgeübt. Daher ergibt sich aus § 577 Abs. 1 S. 3 BGB analog, §§ 464 Abs. 2, 433 Abs. 2 BGB ein Anspruch auf Übereignung der Kaufgegenstände. Die zur Sicherung dieses Anspruchs angeordnete Vormerkung ist nach Sicht des BGH zu Recht ergangen.

Praxishinweis | BGH VIII ZR 61/15

Der BGH setzt seine Rechtsprechung, wonach ein aus § 577 BGB resultierendes Vorkaufsrecht  nicht nur bei in Wohnungseigentum umzuwandelnde Objekten, sondern aufgrund einer vergleichbaren Interessenlage auch bei der Realteilung von unterschiedlich vermieteten Grundstücken, bestehen kann. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Realteilung bei Abschluss des Kaufvertrages bereits vollzogen wurde, sondern lediglich darauf, dass der Verkäufer eine entsprechende Verpflichtung eingegangen ist. Die jeweiligen Flächen müssen bereits zumindest bestimmbar sein. Das Entstehen eines Vorkaufsrechts wird nicht dadurch gehindert, dass kleinere Abweichungen zwischen dem Mietgegenstand und den nach der Teilung entstehenden Parzellen bestehen.