KG Berlin 6 W 7/21
Voraussetzungen der wirksamen Errichtung eines Nottestaments als Drei-Zeugen-Testament

15.05.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

KG Berlin
22.06.2022
6 W 7/21
ZErb 2022, 393

Leitsatz | KG Berlin 6 W 7/21

  1. Formelle Voraussetzungen für die Errichtung eines Nottestaments sind eng auszulegen. (nicht amtlicher Leitsatz)
  2. Es ist unschädlich, wenn ein vierter Zeuge bei der Testamentserrichtung mitgewirkt hat. Auch dann, wenn in dessen Person ein Ausschlussgrund vorliegt (z.B. wegen eigener Begünstigung) und auch dann, wenn dessen Anwesenheit die Testamentserrichtung beeinflusst haben könnte. (nicht amtlicher Leitsatz)
  3. Ist der Erblasser nur körperlich zu schwach, um ein eigenhändiges Testament zu errichten, ist der Tatbestand des § 2250 BGB nicht erfüllt, wenn die übrigen Voraussetzungen des Tatbestands nicht erfüllt sind. (nicht amtlicher Leitsatz)

Sachverhalt | KG Berlin 6 W 7/21

Die Erblasserin E verstarb am frühen Morgen des 05.11.2019 kinderlos und verwitwet. Gemeinsam mit ihrem vorverstorbenen Ehemann M hatte sie 2004 ein gemeinsames handschriftliches Testament verfasst, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt hatten. E war die alleinige Berechtigte an einem Erbbaurecht eines Grundstücks in Berlin.

Am 15.10.2019 wird E in ein Krankenhaus eingeliefert, in dem sie sich bis zu ihrem Tod in stationärer Behandlung befand. Bei ihr wurde ein organüberschreitendes Karzinom festgestellt.

Am 24.10.2019 wurde in der Klinik in Anwesenheit von drei Zeugen und dem Antragsteller zu 1 ein maschinenschriftliches Testament erstellt. Dies war ein Schriftstück, das der Antragsteller zu 1 zuvor ausgedruckt und mitgebracht hatte, es war mit „mein letzter Wille“ überschrieben. Darin werden unter Ziffer 1 beide Antragsteller zu gleichen Teilen als alleinige Erben der E bestimmt. Auf 2 Din A4 Seiten werden Erbeinsetzung, Ersatzerben, Testamentsvollstreckung, Schiedsklausel und Rechtswahl geregelt. Auf beiden Seiten ist es von E und auf Seite 2 von der Antragstellerin zu 1 und den Zeugen F und G unterschrieben. Das Schriftstück ist fälschlicherweise auf den 24.11.2019 datiert. Die Antragsteller waren die Nachbarn der E.

In einer interdisziplinären Tumorkonferenz haben die behandelnden Ärzte am 29.10.2019 festgestellt, dass E wach war und ansprechbar, sowie orientiert. E hatte einen klaren Therapiewunsch und der Tumor sei möglicherweise operabel.

Die Antragsteller haben die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins zu je ½ als Erben der E beantragt, das Testament vom 24.10.2019 sei als Nottestament errichtet worden. Alle drei Zeugen hätten gedacht dass zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung eine akute Todesgefahr für die E bestanden habe und E sei nicht mehr in der Lage gewesen das Testament selbst zu schreiben. Weiterhin seien alle Bemühungen um einen Notar vergeblich gewesen, es sei auch nach Errichtung des o.g. Testaments noch versucht worden einen Notar hinzuzuziehen, jedoch sei dies erfolglos gewesen. 20 Berliner Notare seien angerufen worden und hätten keine kurzfristige Zeit gehabt für eine Testamentsbeurkundung im Krankenhaus.

Das Nachlassgericht wies den Erbscheinsantrag zurück. Die Voraussetzungen eines Nottestaments hätten nicht vorgelegen. Weder objektiv noch subjektiv angenommen habe eine unmittelbare Todesgefahr für die E bestanden. Zudem sei dem Erfordernis der mangelnden Errichtungsmöglichkeit des Testaments vor einem Bürgermeister oder Notar nicht genüge getan.

Die Antragsteller wenden sich mit ihrer Beschwerde hiergegen und bringen hervor, dass aufgrund des kritischen Gesundheitszustands der E eine Todesgefahr bestanden habe. Weiterhin habe das Nachlassgericht nicht ausreichend gewürdigt, dass keiner der kontaktierten Notare kurzfristig einen Termin mit E wahrnehmen wollte, was sich allein durch die geringen erzielbaren Gebühren erkläre. Zudem komme das Bürgermeistertestament in einer solchen Situation in einer Großstadt wie Berlin nicht in Frage, da die Regelung eher für ländliche Gebiete gedacht sei.

Entscheidung | KG Berlin 6 W 7/21

Die Beschwerde hatte keinen Erfolg. Das KG Berlin entschied, dass das begünstigende Testament vom 24.10.2019 keine formwirksame letztwillige Verfügung darstellt, somit seien die Antragsteller keine Erben geworden und der Erbscheinsantrag wurde abgelehnt.

Vorliegend handele es sich nicht um ein ordentliches Testament § 2231 BGB. Die Antragsteller beriefen sich aber auch von Beginn an auf ein Nottestament in Form eines Notlagentestaments vor drei Zeugen § 2250 II BGB. Das KG Berlin entschied jedoch, dass die Voraussetzungen eines solchen Nottestaments nicht vorlagen. Einerseits habe keine unmittelbare Todesgefahr für die E bestanden, was sich bereits an der Einschätzung der Ärzte in der Tumorkonferenz ablesen lässt. Andererseits müssten aber auch allgemein die formellen Anforderungen an ein solches Nottestament aus § 2250 BGB eng ausgelegt werden, da dies eine besondere Ausnahmevorschrift sei. Es ist insbesondere nicht im Ermessen des Gerichts welche Voraussetzungen erfüllt werden müssen, damit ein Nottestament vor drei Zeugen errichtet werden kann, § 2250 BGB gibt hierfür strenge Formvorschriften vor.

Die Erklärung wurde zwar vor drei Zeugen errichtet, jedoch hatte die Antragstellerin zu 1 bei der Errichtung des Testaments persönlich mitgewirkt. Insbesondere hatte sie das Schriftstück selbst verfasst, den Ausdruck gefertigt und eine Zeugin organisiert. Letztlich verlas sie das Schriftstück auch selbst. Gem. § 2250 III S. 2 BGB i.V.m. § 27, 7 BeurkG war sie jedoch von der Zeugenmitwirkung an dem Testament ausgeschlossen, weil sie und ihr Ehemann durch das Testament begünstigt werden sollten. Dies führe, so das KG Berlin, jedoch nicht zur Unwirksamkeit des Testaments. Neben der Antragstellerin zu 1 seien noch drei weitere (zulässige) Zeugen anwesend gewesen, daher führe ihre Anwesenheit nicht zur Unwirksamkeit. Es sei auch unschädlich, wenn die Anwesenheit des vierten (begünstigten) Zeugen, die Testamentserrichtung beeinflussen könnte. Denn eine ordentliche Testamentserrichtung sei mit drei unabhängigen Zeugen gewährleistet.

Jedoch enthielt das Testament keine Informationen über die Umstände seiner Errichtung. Im Text wurden sie mitwirkenden Testamentszeugen nicht bezeichnet §§ 9, 10 BeurkG und auch keine Angaben zur Testierfähigkeit der E oder deren Todesgefahr oder der Unerreichbarkeit von Notaren und/oder Bürgermeister gemacht. Um ein Nottestament unter drei Zeugen wirksam zu errichten, braucht es eine Niederschrift, die von den Zeugen unterschrieben werden muss §§ 2250 III S. 1, S. 2 BGB i.V.m. § 13 III BeurkG und § 2249 I S. 5 BGB. Diese Niederschrift soll die inhaltliche Übereinstimmung zwischen der abgegebenen und der niedergelegten Erklärung des Erblassers nachweisen und auch die formellen Voraussetzungen und damit die Umstände der Errichtung des Testaments nachweisen. Das Fehlen dieser Informationen in der Niederschrift führe aber noch nicht zur Unwirksamkeit des Testaments.

Der Wirksamkeit des Testaments stehe es auch nicht entgegen, dass die Antragstellerin zu 1 eine Vorlage aus dem Internet nutzte und die E ihren Willen nicht mündlich mitgeteilt hat. Gem. § 2250 II BGB sei der letzte Wille mündlich erklärt. Wenn der Testamentsentwurf von einem Testamentszeugen auf Grundlage früherer Aussagen des Erblassers schriftlich formuliert wird und dann die Verlesung der Niederschrift und die Genehmigung des Nottestaments gemeinsam geschehen. Dass die E zusätzlich zugunsten der Kriegsgräberfürsorge und der Kirche eine Verfügung treffen wollte, die nun in das Nottestament keinen Eingang fand, sei irrelevant für die Wirksamkeit. Der E sei das Testament vorgelesen worden und sie antwortete laut der Zeugenaussagen mit „Ja, das ist so richtig“ und somit habe sie dem Nottestament in dieser Form zugestimmt.

Allerdings habe sich die E nicht in so unmittelbarer Todesgefahr i.S.v. § 2250 II BGB befunden, als da seine Testamentserrichtung vor einem Notar oder dem Bürgermeister nicht möglich gewesen sei. Eine drohende Testierunfähigkeit kann einer Todesgefahr dann gleichstehen, wenn sie voraussichtlich durchgängig bis zu Tod des Erblassers andauert. Dabei müsse die Gefahr des Todes bzw. der Testierunfähigkeit objektiv vorliegen oder bei allen Zeugen die Besorgnis über das Vorliegen dieses Umstands bestehen. Zu dem Erfordernis der Todesgefahr aus § 2250 II BGB führte das KG Berlin weiter aus, dass es maßgeblich sei, ob der Tod des Erblassers aufgrund konkreter Umstände vor dem Eintreten eines Notars oder des Bürgermeisters zu befürchten sei. Dass die E als Erblasserin aufgrund ihrer unheilbaren Krankheit nur noch kurze Zeit zu leben hatte sei nicht ausreichend. Die E verstarb 12 Tage nach Testamentserrichtung, somit zumindest nicht in zeitlich engem Zusammenhang mit dem Nottestament. Eine objektive Todesgefahr habe nicht vorgelegen. Auch eine übereinstimmende Überzeugung der drei Zeugen von der nahen Todesgefahr habe nicht vorgelegen. Die Besorgnis müsse auch ob der tatsächlichen Sachlage als gerechtfertigt angesehen werden, was vorliegend nicht der Fall sei. Die Antragstellerin selbst sagte aus, dass die Testamentserrichtung auch am 25. Oder 26.10.2019 hätte stattfinden können und die Zeugen sagten auch nicht einheitlich aus, dass sie zum Zeitpunkt der Errichtung von einer Todesgefahr überzeugt gewesen seien. Ganz im Gegenteil zeigten sich die Zeugen z.T. sehr überrascht von dem plötzlichen Tod der E. Dafür, dass keine Todesgefahr oder Notsituation i.S.d. § 2250 BGB vorgelegen habe, spreche auch die Vorbereitung des Testaments. Die Antragstellerin hatte vorher noch recherchiert und das Schriftstück maschinenschriftlich verfasst und ausgedruckt. Weder die Ärzte, noch die Zeugen hatten eine unmittelbare Todesgefahr für die E angenommen zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung.

Das Nottestament wurde am 24.10.2019 im Krankenhaus errichtet, die E verstarb am 05.11.2019 und am 04.11.2019 hatten die Antragsteller noch einmal versucht einen Termin zur Beurkundung mit einem Notar zu vereinbaren. Es hätte jedoch am 24.10. oder am 25.10. ein Notar hinzugezogen werden können, so das KG. Insbesondere war das Testament um 16.00 Uhr errichtet worden, also während der üblichen Öffnungszeiten von Notariaten. In Berlin habe es 2013 ca. 1000 Notare gegeben und Beurkundungen im Krankenhaus vornehmen könnten. Dies würde auch nicht selten geschehen. Ein öffentliches Testament § 2232 BGB habe damit errichtet werden können. Dass die Antragsteller am 24.10. und auch später versucht haben Notare zu erreichen sei hier unbeachtlich. Die eidesstattliche Erklärung der Zeugin G ergibt, dass am 05.11.2019 auch ein Notar in das Krankenhaus kam. Weiterhin würden Notare ihre notariellen Dienstpflichten verletzen, wenn sie eine solche Anfrage bei Todesgefahr ablehnen würden. Es hätte ein Berliner Notar hinzugezogen werden können für die Beurkundung, spätestens bis zum 05.11.2019.

Wenn der Erblasser nur körperlich zu schwach sei, um ein Testament eigenhändig errichten zu können, so sei der Tatbestand des § 2250 BGB bei Fehlen der restlichen Voraussetzungen nicht erfüllt. Auch sei das Bürgermeistertestament nicht nur für den ländlichen Raum geschaffen, sondern sei auch allgemein relevant. Seine Bedeutung ergebe sich bereits aus dem Wortlaut des § 2250 II BGB, in dem die Vorrangigkeit dessen geregelt ist. Dabei sei auch nicht auf die Erreichbarkeit des Bürgermeisters von Berlin abzustellen, sondern des Ortsbürgermeisters und vorliegend war bereits nicht vorgetragen worden, dass versucht wurde den Bürgermeister oder seinen Vertreter zu kontaktieren § 2249 BGB.

Praxishinweis | KG Berlin 6 W 7/21

Objektive Anzeichen für eine Todesgefahr sind z.B. kleinere Organausfälle oder beginnendes Organversagen. Ist die Dauer einer unheilbaren Krankheit noch ungewiss, dann liegen die Voraussetzungen des § 2250 BGB nicht vor. Eine drohende anhaltende Testierunfähigkeit steht der Todesgefahr allerdings gleich (z.B. wegen einer schweren Demenz). Verstirbt der Erblasser wider Erwarten nicht, ist das Nottestament drei Monate lang gültig. Stirbt der Erblasser kurz nach Errichtung des Nottestaments, so kann dies ein nachträgliches Indiz für dessen Notwendigkeit sein. Überlebt der Erblasser, so kann von ihm auch in einer Großstadt wie Berlin gefordert werden, die übrigen formellen Voraussetzungen des § 2250 einzuhalten und entweder einen Notar aufzusuchen oder den Bürgermeister zu kontaktieren.