LG München II 13 O 2044/20
Volle Miete trotz Corona

29.03.2021

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

LG München II
06.10.2020
13 O 2044/20
BeckRS 2020, 34263

Leitsatz | LG München II 13 O 2044/20

  1. Behördlich angeordnete Betriebsschließungen im Zusammenhang mit der SARS-CoV-2 Pandemie führen nicht zu einem Mietmangel. (Rn. 19)
  2. Auch die Voraussetzungen der Unmöglichkeit liegen bei einer Betriebsschließung aufgrund der Corona-Pandemie nicht vor. (Rn. 20)
  3. Da das Risiko, die Mietsache wirtschaftlich nutzen zu können, dem Mieter zugewiesen ist, kommt auch eine Anpassung des Vertrages nach § 313 BGB nicht in Betracht, zumal der Gesetzgeber in Art. 240 § 1 IV Nr. 1 EGBGB hierzu keine Regelungen vorgenommen hat. (Rn. 21, 22)

Sachverhalt | LG München II 13 O 2044/20

Die Beklagte betreibt ein Einzelhandelsgeschäft für Textilien. Dafür mietete sie seit 2009 die Geschäftsräume bei der Klägerin für 5.758,89 €/Monat (Mietzins, Betriebskostenvorauszahlung und Umsatzsteuer in Höhe von 19 %) an. Aufgrund der Corona-Pandemie erließen die Bayrischen Staatsministerien für Gesundheit und Pflege, und für Familie, Arbeit und Soziales eine Allgemeinverfügung, welche die Schließung von Einzelhandelsgeschäften vorsah. Das Geschäft der Beklagten fiel nicht unter die Ausnahmeregelung dieser Verfügung, weshalb die Beklagte ihr Geschäft am 18.03.2020 schließen musste. Die Allgemeinverfügung lief am 31.03.2020 aus. Das Verbot der Geschäftstätigkeit von Einzelhandelsgeschäften wurde aber durch die erste und zweite Bayrische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung aufrechterhalten. Deshalb konnte die Beklagte erst am 27.04.2020, unter Auflage von strengen Hygienemaßnahmen, wieder öffnen.

Die Beklagte hat die Miete und den Betriebskostenvorschuss für den Monat April 2020 nicht gezahlt. Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Beklagte trotz der Schließung aufgrund der Corona-Pandemie, den Mietzins vom 18.03.2020 bis zum 27.04.2020 zu entrichten habe. Das wirtschaftliche Risiko der Nutzung der Mietsache liege bei der Beklagten. Daher verlangt die Klägerin die Zahlung des Mietzinses seit dem 08.04.2020 von 5.758,89 € nebst Zinsen in Höhe von 9 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz.

Die Beklagte hat die Ansprüche der Klägerin im Urkundsverfahren anerkannt, sich jedoch die Geltendmachung von Rechten im Nachverfahren vorbehalten. Aufgrund dieses Anerkenntnisses wurde die Beklagte am 29.07.2020 verurteilt. Am 03.08.2020 beantragte die Beklagte die Durchführung des Nachverfahrens, um das Urteil vom 29.07.2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Beklagte sei aufgrund der Corona-Pandemie in eine wirtschaftlich kaum noch tragbare Lage geraten. Der erhebliche Umsatzrückgang führte dazu, dass ihr die Mietzahlung für den April 2020 nicht möglich gewesen sei. Die Beklagte ist der Ansicht die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie berechtigen sie zu einer Mietminderung wegen eines Mangels. Hilfsweise sei sie zur Anpassung des Mietvertrags aufgrund des Wegfalls der Geschäftsgrundlage berechtigt.

Die Klägerin beantragt im Nachverfahren, das Anerkenntnis-Vorbehaltsurteil im Urkundsprozess des LG München II vom 29.07.2020 für vorbehaltlos zu erklären. Der Rechtsstreit um den Mietzins nebst Zinsen für Mai 2020 wurde außergerichtlich erledigt.

Entscheidung | LG München II 13 O 2044/20

Die zulässige und begründete Klage hat Erfolg. Damit ist das Vorbehaltsurteil vom 29.07.2020 für vorbehaltslos erklärt. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von Mietzins in Höhe von 5.758,89 € nach § 535 II BGB.

Die, aufgrund der Corona-Pandemie, zwanghafte Schließung des Geschäfts, ist kein Mangel der Mietsache nach § 536 I BGB. Behördliche und gesetzliche Anordnungen, die den Gebrauch der Mietsache beeinträchtigen, führen erst zu einem Mangel nach § 536 I BGB, wenn ein unmittelbarer Zusammenhang mit der Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage der Mietsache vorliegt. Hoheitliche Maßnahmen, ohne unmittelbaren Zusammenhang zur Mietsache, liegen im Risikobereich des Mieters. Die Corona-Pandemie steht in keinem Zusammenhang mit der Mietsache. Die Maßnahmen zur Schließung von Einzelhandelsgeschäften betreffen schließlich auch ganz Bayern.

Der Anspruch auf Zahlung des Mietzinses nach § 535 II BGB entfällt auch nicht wegen Unmöglichkeit nach §§ 326 I, 275 I BGB, weil die Hauptleistungspflicht der Klägerin im Überlassen der Mietsache liegt, welche unstreitig erfüllt wurde.

Eine Anpassung des Mietvertrags nach § 313 I BGB kommt nicht in Betracht, weil § 313 I BGB nicht anwendbar ist. Das Risiko der Verwendung der mangelfrei überlassenen Mietsache liegt nach § 537 I BGB bei der Beklagten. Etwas anderes kommt nur in Betracht, wenn sich aufgrund unvorhergesehener Umstände der Geschäftsbetrieb nicht aufrechterhalten lässt und der Mieter dadurch in eine wirtschaftliche Notlage gerät. In Anbetracht des seit 2009 bestehenden Mietverhältnisses handelt es sich bei der Schließung von 5 Wochen um einen überschaubaren Zeitraum. Außerdem war die Schließung nur vorübergehend, weil die Beklagte am 27.04.2020 wieder öffnete. Der Umsatzausfall ist auch immer zur bisherigen wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens zu betrachten. Nach den gesetzlichen Regelungen zum Kurzarbeitergeld werden die Lohnkosten der Beklagten hinreichend ausgeglichen. Daher lag keine wirtschaftliche Notlage vor. Die vorübergehende Schließung der Filialen hatte nichts mit der Geschäftsgrundlage des Mietvertrags zu tun.

§ 313 I BGB wird zudem noch von dem, extra für die Corona-Pandemie geschaffenen Art. 240 EGBGB verdrängt, welcher vorsieht, dass ein Vermieter den vom 01.04.2020 bis 30.06.2020 in Verzug geratenen Mieter nicht allein aus diesem Grund kündigen darf. Eine Reduzierung der Miete wird dagegen vom Gesetzgeber nicht vorgesehen, um an der Pflicht zur Mietzahlung festzuhalten.

Die Beklagte ist verpflichtet, den Mietzins nebst Verzugszinsen für die Monate März und April an die Klägerin zu leisten.

Praxishinweis | LG München II 13 O 2044/20

Im nächstinstanzlichen Beschluss kommt das OLG München zwar zum selben Ergebnis, begründet aber anders als das LG München II. Die Anpassung des Mietvertrags nach § 313 I BGB ist aufgrund einer pandemiebedingten Einschränkung des Geschäftsbetriebs grundsätzlich möglich. § 313 I BGB ist anwendbar, denn man geht davon aus, dass die Vorstellung, dass es während der Vertragslaufzeit nicht zu einer weltweiten, betriebsbeschränkenden Pandemie kommt, Teil der Geschäftsgrundlage ist. Art. 240 EGBGB entfaltet keine Sperrwirkung bezüglich der Anwendbarkeit des § 313 I BGB. Die gesetzliche Risikoverteilung des Mietvertrags steht der Anwendung von § 313 I BGB nicht entgegen, denn das Risiko, ein Geschäft in der Mietsache zu betreiben, liegt nicht allein beim Mieter. Man geht von der gemeinsamen Vorstellung aus, das Öffnen eines Ladengeschäfts zu ermöglichen. Das vom Mieter zu tragende Verwendungsrisiko umfasst nicht auch das Risiko von Änderungen der großen Geschäftsgrundlage, welche Kriege, Revolutionen, aber auch Katastrophen wie eine weltweite Pandemie miteinschließt.

Der Vertrag der Parteien wäre in dem Wissen um die pandemiebedingte Betriebsuntersagung mit einem anderen Inhalt geschlossen worden. Nach § 313 I BGB werden aber nur erhebliche Grundlagenstörungen umfasst, dazu zählt die Corona-Pandemie.

Das Festhalten am Vertrag müsste für eine Vertragspartei unzumutbar sein. Diese Unzumutbarkeit liegt für keine der Vertragsparteien vor. Der Staat hat grundsätzliche Möglichkeiten zu Unterstützungsleistungen geschaffen. Die Beklagte trägt nicht vor, ob sie zum Beispiel Leistungen aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfond beantragt hat. Außerdem ist nicht ersichtlich, weshalb die Zahlung einer Monatsmiete zu einem untragbaren Ergebnis führen würde.

In einem sehr ähnlich gelagerten Fall stellte das OLG Dresden die Notwenigkeit der Anpassung der Geschäftsgrundlage nach § 313 I BGB für den Zeitraum der Schließung des Geschäftsbetriebs aufgrund der Coronapandemie, fest. Ähnlich zur Entscheidung des OLG München, ist § 313 I BGB anwendbar. Außerdem liegt auch hier eine Störung der großen Geschäftsgrundlage vor, aufgrund dessen die Parteien, bei Wissen um die Corona-Pandemie, den Mietvertrag gar nicht oder mit einem anderen Inhalt geschlossen hätten.

Jedoch stellte das OLG Dresden eine Unzumutbarkeit des Festhaltens am bisherigen Mietvertrag für den Mieter fest. Es kommt hier zu einer Äquivalenzstörung zwischen Leistung und Gegenleistung. Da es sich bei einem Mietvertrag um ein Dauerschuldverhältnis handelt, wäre es unverhältnismäßig eine Äquivalenzstörung auf die gesamte Vertragssauer zu beziehen. Daher wird die Äquivalenzstörung nur innerhalb des Zeitraums für eine Mietzinszahlung betrachtet (hier ein Monat). Die Vertragsanpassung besteht dann aber auch nur für diesen Zeitraum. Aufgrund der staatlichen Schließungsanordnung musste der Betrieb des Mieters über einen Monat ruhen, weshalb, in Anbetracht der vertraglichen Risikoverteilung, der vertraglich vereinbarte Mietzweck nicht wahrgenommen werden konnte. Aufgrund dessen bejahte das OLG Dresden die Äquivalenzstörung für den Monat der Schließung.

Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass § 313 I BGB in diesen Fällen anwendbar ist. Das Zünglein an der Waage stellt die Frage über die Zumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag dar, welche immer innerhalb einer Einzelfallbetrachtung ermittelt werden muss. Deshalb ist davon auszugehen, dass es vergleichbar mit dem OLG München und dem OLG Dresden, weiterhin zu unterschiedlichen Entscheidungen in ähnlichen Fällen kommen wird.