Kammergericht 9 W 50/19
Vertretungsmacht des handelnden Geschäftsführers einer GmbH, negative Registerpublizität

16.11.2022

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

Kammergericht
21.07.2020
9 W 50/19
GmbHR 2022, 1093

Leitsatz | Kammergericht 9 W 50/19

  1. Jedenfalls bei einem Beurkundungsauftrag i.S.v. § 29 Nr. 1 GNotKG kann sich ein Notar bezüglich der Vertretungsmacht des handelnden Geschäftsführers einer GmbH auf die negative Registerpublizität des § 15 Abs. 1 HGB berufen.
  2. Die eine Berufung auf die negative Registerpublizität ausschließende Kenntnis i.S.v. § 15 Abs. 1 HGB setzt positive Kenntnis der einzutragenden Tatsache voraus. Fahrlässige Unkenntnis im Sinne eines Kennenmüssens reicht nicht aus. Zu Nachforschungen ist der Dritte nicht verpflichtet.
  3. Die Bestellung eines weiteren Geschäftsführers lässt die als konkrete Vertretungsregelung in Spalte 4 unter b) im Handelsregisterblatt eingetragene Einzelvertretungsberechtigung des bisherigen Alleingeschäftsführers regelmäßig nicht entfallen.

 

Sachverhalt | Kammergericht 9 W 50/19

Die Antragstellerin ist eine GmbH. Die Antragsgegnerin ein Notariat. Im Zusammenhang mit der Übertragung der Geschäftsanteile der Antragstellerin durch einen Geschäftsanteilskauf- und Abtretungsvertrag (UR Nr. 275/2016) des Notars E) wurde der frühere Geschäftsführer G der Antragstellerin abberufen. Die Abberufung stand dabei unter der aufschiebenden Bedingung der Zahlung des Kaufpreises aus dem Anteilskauf-/Abtretungsvertrag. Zudem wurde mit sofortiger Wirkung Dr. A als weiterer Geschäftsführer neben dem G bestellt.

Kurz darauf gerieten die Vertragsparteien darüber in Streit, ob der Kaufpreis in voller Höhe gezahlt worden sei. Die Verkäuferseite erklärte mit Schreiben vom 2.11.2016 ihren Rücktritt von dem Vertrag. Zudem ordnete das LG Wiesbaden mit Beschluss vom 17.11.2016 im Wege der einstweiligen Verfügung die Zuordnung eines Widerspruchs zur Gesellschafterliste der Antragstellerin im Handelsregister an.

Mit dem von der Antragsgegnerin beurkundeten Vertrag UR Nr. 275/2016 kaufte die Antragstellerin ein Grundstück in Berlin. Im Zuge der Finanzierung dessen beauftragte G als Vertreter der Antragstellerin die Antragsgegnerin damit, die Bestellung der Grundschuld zu beurkunden. Die Antragstellerin, handelnd durch den neuen Geschäftsführer Dr. A wies die Antragsgegnerin darauf hin, dass der Kaufpreis aus dem Anteilskauf-/Abtretungsvertrag vollständig bezahlt worden sei und damit der G als Geschäftsführer wirksam abberufen worden sei. Sie forderten deshalb die Antragsgegnerin dazu auf, die Erklärungen des G nicht zu beurkunden.

Am 29.11.2016 beurkundete die Antragsgegnerin die Bestellung der Grundschuld durch den G und belehrte den G vorher über die Folgen der fehlenden Vertretungsmacht. Dabei erklärte G ihm seien die Umstände und Folgen bekannt, es bestünde jedoch weiterhin Uneinigkeit über die Wirksamkeit der Abtretung der Geschäftsanteile.

Zu diesem Zeitpunkt enthielt das Handelsregisterblatt der Antragstellerin in Spalte 4 unter a) folgende Eintragung: „Ist nur ein Geschäftsführer bestellt, so vertritt er die Gesellschaft allein. Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, so wird die Gesellschaft durch zwei Geschäftsführer oder durch einen Geschäftsführer gemeinsam mit einem Prokuristen vertreten.“ In Spalte 4 unter b) war G als einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer eingetragen.

Nach der Beurkundung am 29.11.2016 sandten die Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin eine Kopie der einstweiligen Verfügung des LG Wiesbaden an das Notariat, durch die dem G die Ausübung jeglicher Geschäftsführertätigkeiten für die GmbH untersagt worden war. Daraufhin informierte die Antragsgegnerin die Verfahrensbevollmächtigten über die Beurkundung der Grundschuldbestellung. Die Antragsgegnerin berechnete insg. Kosten von 5.004,31 € für die Grundschuldbestellung. Auf den Antrag der Antragstellerin hat das LG Berlin die Kostenberechnung der Antragstellerin aufgehoben, Hiergegen richtete sich die Beschwerde der Antragsgegnerin.

Entscheidung | Kammergericht 9 W 50/19

Das KG entschied, dass die Rechnung der Antragsgegnerin nicht zu beanstanden sei.

Weiterhin ist die Antragstellerin die Kostenschuldnerin der beurkundeten der Grundschuld, weil ihr früherer Geschäftsführer G in ihrem Namen den Beurkundungsauftrag § 29 Nr. 1 GNotKG erteilt hat und sie sich gegenüber der Antragsgegnerin gem.  § 15 I HGB so behandeln lassen muss als hätte der G mit Vertretungsmacht gehandelt. Das Handeln des G muss die GmbH gegen sich gelten lassen, erteilt ein Vertreter den Auftrag iSd § 29 Nr. 1 GNotKG, so ist nur der Vertretene der Kostenschuldner. Es kann hier offenbleiben, ob der G zum Zeitpunkt der Beurkundung der Grundschuld noch Geschäftsführer war oder nicht und dementsprechend, ob er mit Vertretungsmacht für die GmbH handeln konnte oder nicht. Ursprünglich war G „einzelvertretungsberechtigt“. Die einstweilige Verfügung des LG Wiesbaden diene vorliegend nicht als Beweis, dass der Kaufpreis bezahlt worden ist und damit die aufschiebende Bedingung für die Abberufung des G als Geschäftsführer eingetreten ist. Aus dem Urteil kann nur abgelesen werden, dass die Antragstellerinnen die Erfüllung des Kaufpreises glaubhaft gemacht hätten, nicht dass dieser auch tatsächlich bezahlt worden sei. Jedoch, so das KG, brauche der Umstand ob die Bedingungen der Abberufung des G vorgelegen haben, auch nicht weiter aufgeklärt werden wegen der negativen Registerpublizität des § 15 I HGB. Auf eben jene könne sich die Antragsgegnerin bezüglich der Vertretungsmacht des G berufen. Nach § 15 Abs. 1 HGB kann eine in das Handelsregister einzutragende Tatsache von demjenigen, in dessen Angelegenheiten sie einzutragen war, einem Dritten nicht entgegengesetzt werden, solange diese nicht eingetragen und bekannt gemacht ist, es sei denn, sie war diesem bekannt. Ein Dritter darf also darauf vertrauen, dass eine in das Register einzutragende Tatsache eingetragen wird und erfolgt dies nicht, kann er sich auf den Eintragungsstand berufen. Eine der Bedingungen hierfür ist, dass die Kenntnis der einzutragenden Tatsache für das Rechtsverhältnis eine Bedeutung haben konnte – ob der Dritte also möglicherweise unter Kenntnis der wahren Umstände zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre. In diesem Sinne ist § 15 I HGB auch auf § 29 Nr. 1 GNotKG anwendbar. Der Begriff „Geschäftsverkehr“ aus § 15 IV HGB umfasst dabei auch rechtlich erhebliche Beziehungen, wozu auch die Beziehung zu einem Notar gehört. Vor allem aber vertraut ein Notar auf die Kenntnis bestimmter Tatsachen, die dem Handelsregister zu entnehmen sind. Er hätte sein Handeln auf die Eintragung einrichten können und wäre zu einer anderen Entscheidung gekommen, wenn er die wahren einzutragenden Tatsachen gekannt hätte. Die Abberufung des G war zum Zeitpunkt der Beurkundung der Grundschuld noch nicht eingetragen, so dass nach § 15 I HGB die Antragstellerin der Antragsgegnerin nicht entgegenhalten könne, dass G nicht mehr ihr Geschäftsführer gewesen sei.

Jedoch kann sich die Antragsgegnerin nicht auf § 15 I HGB berufen, wenn ihr die einzutragende Tatsache bekannt ist. Dies erfordert positive Kenntnis der einzutragenden Tatsache, eine fahrlässige Unkenntnis im Sinne eines Kennenmüssens reiche nicht aus. Weiterhin ist der Dritte auch nicht zu Nachforschungen verpflichtet.

Zudem, so das KG, ändert der Umstand, dass neben dem G noch der Dr. A als Geschäftsführer bestellt worden war, nichts an Gs Einzelvertretungsberechtigung. Ist eine besondere Vertretungsregelung die von den allgemeinen Regelungen abweicht vereinbart und eingetragen, wie vorliegend die Einzelvertretungsberechtigung, so muss diese auch explizit geändert werden, wenn sie nicht mehr gewollt ist. Der Fakt, dass neben dem G nun auch Dr. A Geschäftsführer werden sollte, ändere nichts an der Einzelvertretungsberechtigung des G. Demnach genügt es auch nicht, dass die Antragsgegnerin wusste, dass ein weiterer Geschäftsführer bestellt worden war, um § 15 I HGB auszuschließen.

Praxishinweis | Kammergericht 9 W 50/19

Die negative Registerpublizität schützt auch Notare.

Die Kenntnis nach § 15 HGB setzt eine positive Kenntnis voraus, eine fahrlässiges Unkenntnis iSd Kennenmüssens genügt nicht.

Insbesondere ist der Dritte nicht zu Nachforschungen verpflichtet.

Eine spezielle Vertretungsregelung wie eine Einzelvertretungsvollmacht muss immer explizit verändert oder widerrufen werden, das bloße Berufen eines weiteren Geschäftsführers genügt nicht, um die Einzelvertretungsvollmacht des ersten Geschäftsführers zu widerrufen.