BVerfG 1 BvL 5/18
Verfassungswidrigkeit von Regelungen zum Versorgungsausgleich / externe Aufteilung

31.05.2020

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BVerfG
26.05.2020
1 BvL 5/18
juris

Leitsatz | BVerfG 1 BvL 5/18

Der Versorgungsausgleich kann verfassungswidrig sein, wenn bei der verpflichteten Person eine Kürzung des Anrechts erfolgt, ohne dass sich dies entsprechend im Erwerb eines selbständigen Anrechts für die berechtigte Person auswirkt. Transferverluste aufgrund externer Teilung können zur Zweckverfehlung der Kürzung des Anrechts und damit zu deren Verfassungswidrigkeit führen.

Art. 14 Abs. 1 GG schützt bei dem Versorgungsausgleich neben der ausgleichspflichtigen Person auch die ausgleichsberechtigte Person selbst. Transferverluste aufgrund externer Teilung sind auch an ihrem Eigentumsgrundrecht zu messen.

Bei der gerichtlichen Festsetzung des für die externe Teilung nach § 17 VersAusglG maßgeblichen Ausgleichswerts ist neben den Grundrechten der ausgleichsberechtigten und der ausgleichspflichtigen Person das Interesse des Arbeitgebers in die Abwägung einzustellen, extern teilen zu können, zugleich aber im Rahmen der externen Teilung lediglich aufwandsneutralen Kapitalabfluss hinnehmen zu müssen.

Das Grundgesetz steht auch solchen Regelungen entgegen, die neutral formuliert und auch nicht verdeckt auf Benachteiligung ausgerichtet sind, jedoch tatsächlich ganz überwiegend Frauen benachteiligen. Von nachteiligen Effekten externer Teilung sind wegen der überwiegenden Aufteilung von familienbezogener und berufsbezogener Tätigkeit zwischen den Ehepartnern weit mehr Frauen als Männer betroffen. Solche faktischen Benachteiligungen können nur gerechtfertigt werden, wenn dafür hinreichend gewichtige Gründe bestehen.

Es ist Aufgabe der Gerichte, bei Durchführung des Versorgungsausgleichs im Wege externer Teilung nach § 17 VersAusglG den als Kapitalbetrag zu zahlenden Ausgleichswert so festzusetzen, dass die Grundrechte aller beteiligten Personen gewahrt sind.

(amtliche Leitsätze)

Sachverhalt | BVerfG 1 BvL 5/18

Das Vorlageverfahren des OLG Hamm betrifft § 17 des Gesetzes über den Versorgungsausgleich (VersAusglG). Hiernach kann unter bestimmten Voraussetzungen bei Ehescheidung der Ausgleich der betrieblichen Altersvorsorge auch ohne Zustimmung der berechtigten Person mittels externer Teilung erfolgen. Nach § 17 VersAusglG kann der Versorgungsträger auch gegen den Willen der ausgleichsberechtigten Person, entgegen des Grundsatzes der internen Teilung beim Versorgungsausgleich eine externe Teilung vornehmen. Bei der internen Teilung überträgt das Familiengericht ein Anrecht bei dem Versorgungsträger, bei dem dem Ausgleichspflichtige Anrechte zustehen. Umfasst sind Anrechte aus einer Direktzusage oder einer Unterstützungskasse, soweit sie im Rahmen der Beitragsbemessungsgrenze bestehen. Im Gegensatz zur internen Teilung werden bei der externen Teilung Anrechte bei einem anderen Versorgungsträger begründet.

Je nach Berechnungsmethode können Transferverluste entstehen. Dies bedeutet, dass bei der Übertragung des Kapitalwertes von einem Versorgungsträger auf den anderen im Rahmen der externen Teilung ein Kapitalverlust entsteht. Im Rahmen des Vorlagebeschlusses ist nun zu klären, ob eine § 17 VersAusglG verfassungswidrig ist. Die Übertragung erfolgt durch Zahlung eines Ausgleichswerts vom Versorgungsträger des Ausgleichspflichtigen an den Versorgungsträger des Ausgleichsberechtigten. Grundlage für die Berechnung des Ausgleichswerts ist der aktuelle Kapitalwert. Dieser wird durch Abzinsung des Gesamtbeitrags der voraussichtlich zukünftig zu erbringenden Versorgungsleistungen auf den Zeitpunkt der Bewertung. Dabei kann es aufgrund unterschiedlicher Kalkulation zu einer Differenz im Zinssatz zwischen den unterschiedlichen Versorgungsträgern kommen. In der Folge werden bei dem externen Versorgungsträger des Ausgleichsberechtigten unter Umständen weniger Anrechte begründet, als bei einer internen Teilung begründet worden wären. Insoweit hat der Ausgleichsberechtigte gegebenenfalls um den Kapitalabfluss geringere Versorgungsleistungen zu erwarten. Überwiegend negativ betroffen sind hier Ehefrauen und nicht die Ehemänner.

Entscheidung | BVerfG 1 BvL 5/18

Da BVerfG kommt zu dem Schluss, dass § 17 VersAusglG nicht verfassungswidrig ist, sondern verfassungskonform angewendet werden kann. Im Fall der verfassungskonformen Anwendung durch die Gerichte ist § 17 VersAusglG mit den Eigentumsgrundrechten der ausgleichspflichtigen und der ausgleichsberechtigten Person vereinbar und wahrt die verfassungsrechtlichen Grenzen der faktischen Benachteiligung von Frauen. Die Gerichte müssen den Ausgleichswert bei der externen Teilung so bestimmen, dass die ausgleichsberechtigte Person keine unangemessene Verringerung ihrer Versorgungsleistungen zu erwarten hat. Den Gerichten steht ausreichend Entscheidungsspielraum im Rahmen der Gesetze zu, dass eine Ausgleichswert für die externe Teilung so angepasst werden kann, dass ein Transferverlust minimiert wird. Dabei kann das Gericht übermäßige und somit verfassungsrechtlich unzulässige Transferverluste verhindern. § 17 VersAusglG schafft für den Arbeitgeber die Möglichkeit, einen aufgedrängten Vertragsschluss mit einer weiteren Person, hier der bis dato nicht betroffenen ausgleichsberechtigten Person zu verhindern, indem die zukünftigen Versorgungsleistungen an diese Person von einem anderen Versorgungsträger durchgeführt werden. Bei der Durchführung der Berechnung sind somit die gegenläufigen Grundrechtsbelange der beteiligten (Arbeitgeber/Versorgungsträger, ausgleichspflichtige Person und ausgleichsberechtigte Person) in ein angemessenes Verhältnis zu bringen, indem ein verfassungsrechtlich vertretbarer Ausgleich geschaffen wird. Für die ausgleichsberechtigte Person entsteht in der Auswahl eines anderen, externen Versorgungsträgersin der Regel kein spürbarer Nachteil. Insoweit ist dies zumutbar. Allein, dass die Berechnung auf Grundlage des Gesetzes nach § 14 Abs. 4 VersAusglG erfolgt und der zu zahlende Kapitalbetrag durch Abzinsung anhand des BilMoG-Zinssatzes (§ 253 Abs. 2 HGB) berechnet oder – in Fällen kongruent rückgedeckter Anrechte – nach dem Deckungskapital der Rückdeckungsversicherung bestimmt wurde, rechtfertigt damit verbundene Transferverluste allerdings nicht ausreichend. Auch wenn der Berechnungsmodus im Grundsatz legitim ist, kann nicht jede Höhe des Transferverlustes zu Lasten des Ausgleichsberechtigten dadurch gerechtfertigt werden, zumal die externe Teilung ohne seine Zustimmung vorgenommen wird. Es muss vielmehr ein angemessenes Verhältnis zwischen den Vorteilen, die der Versorgungsträger des Ausgleichspflichtigen aus der einseitigen Bestimmung der externen Teilung und dem Transferverlust den der Ausgleichsberechtigte hinnehmen muss, geschaffen werden. Die Höhe der hinzunehmenden Transferverluste ist nicht genau festzulegen. Das hier vorlegende Oberlandesgericht Hamm hat die Grenze bei einer Abweichung der Zielversorgung von der Ausgangsversorgung um mehr als 10 % gesehen. Da auch bei einer internen Teilung gemäß § 13 VersAusglG aufgrund der Kostenregelung beidseitige Kapitaleinbußen, sofern diese angemessen sind, bei den Anrechten der Ehepartner entstanden wären, ist eine Begrenzung auf 10 % als Ausgleich zwischen den eigentumsrechtlich geschützten Interessen der vorherigen Ehepartner und eine möglichen Benachteiligung der Ehefrau verfassungskonform. Zudem wird das Interesse des Versorgungsträgers des Ausgleichspflichtigen an einer Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge und dem Umstand, dass dieser seine Vertragspartner selbst auswählen können möchte, hinreichend Rechnung getragen. Soweit der vom Versorgungsträger nach den gesetzlichen Grundlagen berechnete Ausgleichsbetrag Transferverluste im konkreten Fall, jenseits des Zumutbaren zur Folge hat, obliegt es dem Familiengericht den Ausgleichsbetrag entsprechend anzupassen und die Transferverluste insoweit auf ein verfassungsrechtlich konformes Maß zu reduzieren. Ausreichend ist hier, dass aus dem vom Arbeitgeber vorgeschlagenen Ausgleichswert bei dem von der ausgleichsberechtigten Person gegebenenfalls gewählten Zielversorgungsträger oder bei der gemäß § 15 Abs. 5 Satz 2 VersAusglG aufnahmeverpflichteten Versorgungsausgleichskasse oder – sofern die Anrechtsbegründung dort möglich ist – bei der gesetzlichen Rentenversicherung eine verfassungsrechtlich ausreichende Versorgung begründet werden kann. Muss das Familiengericht in verfassungskonformer Anwendung des § 17 VersAusglG den Ausgleichswert korrigieren und neu festsetzen, so ist dem Versorgungsträger des Ausgleichspflichtigen wiederum zumutbar, in die interne Teilung auszuweichen, soweit nur unter diesen Voraussetzungen die Teilung nahezu aufwandsneutral erfolgen kann. Die verfassungskonforme Anwendungsmöglichkeit durch das Familiengericht und der gerichtlich im Zweifel zu schaffende Ausgleich steht der Verfassungswidrigkeit des § 17 VersAusglG per se entgegen.

Inwiefern der Halbteilungsgrundsatz Anwendung findet, kann offenbleiben; daraus ergeben sich hier keine weitergehenden Anforderungen. Die Frage der hälftigen Aufteilung von Anrechten zwischen den Geschiedenen betrifft allein deren Verhältnis, nicht aber den in § 17 VersAusglG angelegten Interessenausgleich im Verhältnis zwischen ausgleichsberechtigter Person und Versorgungsträger.

Die Ungleichbehandlung von Inhabern der von § 17 VersAusglG erfassten Anrechte gegenüber Inhabern der nicht in § 17 VersAusglG genannten Arten betrieblicher Versorgungsanrechte und gegenüber den Inhabern besonders hochwertiger Versorgungsanrechte verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz. Die Differenzierung zwischen internen und externen Durchführungswegen bezweckt zum einen, Arbeitgeber, die eine Zusage auf eine betriebliche Altersversorgung in einem unmittelbaren Durchführungsweg erteilt haben, davor zu schützen, betriebsfremde Personen in ihr Versorgungssystem aufnehmen zu müssen. Die Entlastung der Versorgungsträger fördert zum anderen die mit dem Gesetz über den Versorgungsausgleich verfolgte sozialpolitische Zielsetzung der Verbreitung der betrieblichen Altersvorsorge als zweiter Säule der Altersvorsorge hier in Form der Direktzusage und der unterstützungskassengedeckten Zusage. Sofern sich die zu erwartenden Transferverluste aufgrund externer Teilung in den bereits durch Art. 14 Abs. 1 GG gebotenen Grenzen halten, ist auch die in § 17 VersAusglG getroffene Unterscheidung zwischen unterschiedlichen Arten betrieblicher Anrechte gerechtfertigt und mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.

Praxishinweis | BVerfG 1 BvL 5/18

Weiterhin obliegt es dem Arbeitgeber einen Ausgleichswert für die externe Teilung festzulegen. Soweit der Kapitalabfluss zukünftiger Versorgungsleistungen, genauer der Transferverlust bei Übertragung der Versorgung auf einen externen Versorgungsträger des Ausgleichberechtigten allerdings über einen nicht mehr tragbaren Wert hinausgeht, ist es Aufgabe des Gerichts den Ausgleichswert entsprechend anzupassen, um eine verfassungskonforme Versorgung des Berechtigten zu gewährleisten und Transferverluste die in keinem Verhältnis zu den Vorteilen der externen Teilung stehen, zu verhindern. Dem Arbeitgeber steht es weiterhin offen, in der Folge die interne Teilung zu wählen, auf die Vorteile der externen Teilung entsprechend zu verzichten und mit dem Ausgleichsberechtigten einen zusätzlichen Vertragspartner zu erhalten.