OLG Stuttgart 11 UF 39/22
Vaterschaft für das Kind einer mit einer Frau verheirateten Mutter

22.11.2022

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Stuttgart
07.04.2022
11 UF 39/22
NJW 2022, 2050

Leitsatz | OLG Stuttgart 11 UF 39/22

Es bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Feststellung der Vaterschaft gegen den Willen der mit einer Frau verheirateten Mutter bei Zeugung eines Kindes mittels Samenspende (sog. Becherspende).

Sachverhalt | OLG Stuttgart 11 UF 39/22

Die Antragsgegnerin und ihre jetzige Ehefrau lebten seit 2009 in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft und schlossen im Jahr 2018 durch Umwandlung dieser Lebenspartnerschaft die Ehe. Mitte 2018 fassten der Antragsteller, die Antragsgegnerin und deren Ehefrau den Entschluss, mittels einer Samenspende des Antragstellers ein Kind zu zeugen. Bei einem Treffen im Januar 2019 übergab der Antragsteller der Antragsgegnerin in einem Becher eine Samenspende.

Die Beteiligten waren sich einig, dass das Kind bei der Antragsgegnerin und deren Ehefrau aufwachsen sollte. Die weiteren Absprachen sind streitig. Der Antragsteller behauptet, es sei vereinbart worden, dass er die Vaterschaft anerkennen und die Vaterrolle übernehmen solle. Nach der Geburt habe sich die Meinung der Antragsgegnerin geändert und sie habe die Adoption des Kindes durch ihre Ehefrau angestrebt. Die Antragsgegnerin hingegen trägt vor, dass klar abgesprochen gewesen sei, dass ihre Ehefrau das Kind adoptieren werde.

Der Antragsteller hat das Kind bis Januar 2020 einige Male gesehen. Seither stellen sich die Antragsgegnerin und deren Ehefrau gegen einen Kontakt des Antragstellers zu dem Jungen. Der Antragsteller hat einen Umgangsantrag gestellt, der vom Familiengericht in einem separaten Verfahren geführt wird. Außerdem ist beim Familiengericht ein Verfahren auf Ersetzung der Einwilligung des Antragstellers zur Adoption anhängig.
Nach Einholung eines Abstammungsgutachtens hat in vorliegendem Verfahren das AG zuletzt die Vaterschaft des Samenspenders festgestellt.

 

Entscheidung | OLG Stuttgart 11 UF 39/22

Das OLG Stuttgart wies die Beschwerde der Antragsgegnerin zurück. Das AG habe die Vaterschaft des Samenspenders zu Recht festgestellt. Der Antrag sei nach §§ 1600d Abs. 1, 1592 Nr. 3 BGB zulässig. Die Vaterschaftsfeststellung sei nicht gem. § 1600d Abs. 4 BGB ausgeschlossen. Dieser gelte nur, wenn das Kind durch eine ärztlich unterstützte künstliche Befruchtung in einer Einrichtung der medizinischen Versorgung im Sinne von § 1 a Nr. 9 des TransplantationsG unter heterologer Verwendung von Samen gezeugt, der vom Spender einer Entnahmeeinrichtung im Sinne von § 2 Abs. 1 S. 1 des SamenspenderregisterG zur Verfügung gestellt worden sei. Eine private Becherspende falle nicht darunter.

Das AG habe zu Recht entschieden, dass die Vaterschaftsfeststellung auch nicht nach §§ 1600d Abs. 1 iVm 1592 Nr. 1 BGB ausgeschlossen sei. In einer gleichgeschlechtlichen Ehe könne die Ehefrau der Kindsmutter weder in direkter noch in analoger Anwendung des § 1592 Nr. 1 BGB Mit/Co-Mutter des Kindes werden. Hiergegen bestünden entgegen des Vortrags der Antragsgegnerin auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Das zurzeit beim BVerfG anhängige Normenkontrollverfahren zu § 1592 Nr. 1 BGB sei mit dem vorliegenden Entscheidung nicht zu vergleichen, da in dem einen Fall das Kind durch eine offizielle Samenspende gezeugt worden sei und ggf. die zweite Elternstelle frei bleiben müsse, im anderen Fall handele es sich um eine anonyme Embryonenspende.

Eine Aussetzung des Verfahrens sei nicht gem. § 21 FamFG gerechtfertigt. Es fehle am wichtigen Grund. Die im Koalitionsvertrag angesprochene Gesetzesänderung, auf die sich die Antragsgegnerin beziehe, rechtfertige keine Aussetzung. Eine solche sei im Hinblick auf ein zu erwartendes Gesetz oder Gesetzesänderung im Regelfall nicht zulässig. Eine Aussetzung der Entscheidung bis zum Inkrafttreten einer eventuell auch anhängige Verfahren betreffenden Gesetzesänderung würde den Rechtsgewährungsanspruch des Antragstellers verletzen. Der Antragsteller habe einen Anspruch darauf, dass das Verfahren innerhalb angemessener Zeit unter Geltung der jetzigen Rechtslage entschieden werde. Dies gelte insbesondere nachdem aufgrund des Abstammungsgutachtens außer Zweifel stehe, dass der Samenspender der Kindsvater sei.

Praxishinweis | OLG Stuttgart 11 UF 39/22

Die in der Praxis bei Zwei-Mütter-Familien häufig vorkommende Becherspende ist nicht vom § 1600d Abs. 4 BGB erfasst, weshalb die Vaterschaftsfeststellung des privaten Samenspenders nicht ausgeschlossen ist. Es ist höchst fraglich, ob eine solche kraft vertraglicher Vereinbarung wirksam ausgeschlossen werden kann (MüKoBGB/Wellenhofer, 8. Aufl. 2020, BGB § 1600d Rn. 100 m.w.N.).
Der Deutsche Juristinnenbundes geht davon aus, dass die geltende Rechtslage so nicht nur Zwei-Mütter-Familien diskriminiere, sondern auch private Samenspender in einer Konstellation wie der vorliegenden privilegiere (s. hierzu ausf. den Fachbeitrag zur geplanten Änderung des Abstammungsrechts auf unserer Homepage).