OGH 6 Ob 55/18h
Unzulässigkeit von „Geschlechterklauseln“ in Gesellschaftsverträgen

02.10.2019

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OGH
24.01.2019
6 Ob 55/18h
NZG 2019, 904

Leitsatz | OGH 6 Ob 55/18h

Differenzierungen nach dem Geschlecht in Gesellschaftsverträgen sind jedenfalls insoweit unzulässig, als dadurch der Zugang zur Ausübung unternehmerischer Tätigkeit eingeschränkt wird. (Leitsatz der Redaktion – NZG 2019, 904)

Sachverhalt | OGH 6 Ob 55/18h

Streitgegenständlich war die Wirksamkeit von sogenannten „Geschlechterklauseln“ im Gesellschaftsvertrag, durch welche für den Fall des Ablebens eines Gesellschafters die Rechtsnachfolge ausschließlich männlichen Nachkommen vorbehalten sein sollte.

Der verstorbene Kläger war Komplementär einer in Österreich ansässigen KG, die durch Gesell-schaftsvertrag im Jahre 1963 begründet wurde. Darin war die Regelung enthalten, dass die Fortführung der Gesellschaft mit weiblichen Nachfolgerinnen der Zustimmung der übrigen Gesellschafter bedarf.

Der Kläger, der durch testamentarische Verfügung seine Tochter sowie Ehefrau als Nachfolgerinnen eingesetzt hatte, begehrte nun die Feststellung der Nichtigkeit dieser Klauseln.

Entscheidung | OGH 6 Ob 55/18h

Durch Urteil des OGH wurden die vorinstanzlichen Entscheidungen aufrechterhalten, wonach derartige Klauseln unwirksam sind.

Grundsätzlich stehe Personengesellschaften im Rahmen der Gestaltung ihrer vertraglichen Regelungen ein weitgehender Spielraum zu. Diese Vertragsfreiheit sei Ausdruck der Privatautonomie und unterliege nicht unmittelbar der Einschränkung durch die Verfassung. Schranken ergäben sich lediglich infolge einfachgesetzlicher Regelungen.

Einzelne Vertragsklauseln können danach unter dem Gesichtspunkt der Sittenwidrigkeit nichtig sein. Eine solche ergäbe sich hier aus dem Umstand der Ungleichbehandlung im Sinne einer wirtschaftlichen Benachteiligung von Frauen gegenüber Männern.

Zur Konkretisierung der „Sittenwidrigkeit“ seien die allgemeinen Wertvorstellungen heranzuziehen, die sich aus den Grundrechten ergeben. Sodann könne eine vertragliche Regelung, die diesen grundrechtlichen Wertungen widerspreche, nur zulässig sein, wenn zwingende Interessen der Gegenseite ersichtlich sind.

Derartige Gründe hätten die Beklagten hier nicht vorgebracht. Ebenso wenig sei eine sachliche Rechtfertigung der in den Nachfolgeregelungen enthaltenen Differenzierungen vorgebracht worden, sodass dem sich aus dem Gleichbehandlungsgesetz ergebenden Diskriminierungsverbot Vorrang zu gewähren sei.

Selbst wenn es bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit auf die Umstände zur Zeit des Vertragsschlusses ankommt, unterlägen die anzuwendenden Maßstäbe dem Wandel der Zeit und seien an die gegenwärtig geltenden gesellschaftlichen Wertvorstellungen anzupassen. Eine vertragliche Regelung, die hinsichtlich potenzieller Nachfolger Differenzierungen nach dem Geschlecht trifft, sei demnach nicht mehr zeitgemäß und damit unzulässig.

Praxishinweis | OGH 6 Ob 55/18h

Die hier dargelegte Entscheidung setzt ein deutliches Zeichen hinsichtlich der Gleichstellung im Rahmen gesellschaftsrechtlicher Vertragsgestaltung.

Auch wenn die österreichische Judikatur hier gegenüber dem herrschenden Meinungsstand in der deutschen Rechtsprechung und Literatur als Vorreiter angesehen werden kann, ist hier gleichwohl mit einem Wandel zu rechnen.

Die Relevanz der Entscheidung ergibt sich insofern insbesondere daraus, dass sich eine Unzulässigkeit nicht nur auf künftige Regelungen bezieht, sondern die Gleichbehandlungsaspekte auch auf Altverträge anwendbar sind, wodurch in der Praxis für Beratungsbedarf gesorgt sein dürfte.