16.05.2022
Notizen zur Rechtsprechung
Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:
OLG Köln
22.04.2021
24 U 77/20
ZEV 2021, 698
(nicht amtl. Leitsätze)
Ein britischer Staatsangehöriger, welcher bis zu seinem Tod mehr als 50 Jahre in Deutschland lebte, entscheid sich in seinem Testament für die Anwendung von britischem Recht, welches keinen Pflichtteilsanspruch kennt. Der Kläger, testamentarisch nicht bedachter Adoptivsohn des Erblassers, begehrt Auskunft über Bestand und Wert des Nachlasses für die Bestimmung seines Pflichtanteils nach deutschem Erbrecht.
Kann ein britischer Erblasser durch die testamentarische Wahl britischen Rechts einen nach deutschem Recht bestehenden Pflichtanteil vermeiden?
Ungeachtet der nach Art. 22 Abs. 1 EuErbVO freien Rechtswahl von Todes wegen hat der Kläger einen Auskunfts- und Wertermittlungsanspruch gemäß § 2314 Abs. 1 BGB.
Da das vom Erblasser gewählte englische Recht überhaupt kein Pflichtteilsrecht kennt und auch die Regelungen des Inheritance Act 1975 weder vom Werteverständnis noch in Tatbestand und Höhe der verfassungsrechtlich in Art. 14 Abs. 1 S. 1 iVm Art. 6 Abs. 1 GG verbürgten Erbrechtsgarantie entsprechen, müsse gemäß Art. 35 EuErbVO zur Gewährleistung einer dem deutschen ordre public entsprechenden Regelung auf die Vorschriften des deutschen Pflichtteilsrechts zurückgegriffen werden.
Die Frage, ob die Versagung des Pflichtteils durch die testamentarische Wahl englischen Rechts einen Verstoß gegen den deutschen ordre public darstellt, ist höchstrichterlich bislang nicht geklärt. Für Österreich hat der OGH Wien (v. 25.02.2021 – 2 Ob 214/20i, ZEV 2021, ZEV 2021 S. 722) entschieden, dass das Nichtbestehen von Pflichtteilsansprüchen bei Anwendbarkeit des englischen Rechts nicht zu einem Verstoß gegen den österreichischen ordre public führt.
Weiter lässt das Urteil offen, auf welche Person(en) für die Anwendung des deutschen ordre public abzustellen ist, ab wann ein Verstoß offensichtlich ist und ob der deutsche ordre public unionsrechtlich einzuschränken ist.
Es ginge aber zu weit, bis zur Klärung der offenen Fragen auf die Rechtswahl einer Erbrechtsordnung mit geringerem oder fehlendem Pflichtteilsrecht zu verzichten. Entscheidend ist, ob es dem Erblasser wichtiger ist, den Berechtigten mit dem Versuch der Pflichtteilsvermeidung abzuschrecken oder ob er sich für Rechtssicherheit und Streitvermeidung entscheidet. Jedenfalls ist auf die mangelnde Rechtssicherheit hinzuweisen.