OLG Köln 24 U 77/20
Unvereinbarkeit des englischen Rechts mit dem deutschen ordre public bei Wegfall von Pflichtteilsansprüchen

16.05.2022

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Köln
22.04.2021
24 U 77/20
ZEV 2021, 698

Leitsatz | OLG Köln 24 U 77/20

  1. Der Umstand, dass die englische Rechtsordnung nahen Verwandten keine Pflichtteils- oder Noterbrechte am Nachlass zugesteht, führt i.d.R. zu einem mit dem deutschen ordre public unvereinbaren Ergebnis. Gegenüber dem durch die Nichtanwendung englischen Rechts entstehenden „Rechtsvakuums“, setzt sich gemäß Art. 35 EuErbVO deutsches Recht durch.
  2. Die Einsetzung als „executor“ nach englischem Recht führt bzgl. eines Pflichtteilsanspruchs nicht zu einer Passivlegitimation. Zwar kommt in Betracht, diese Einsetzung in die Anordnung einer Testamentsvollstreckung umzudeuten. Auch in einem solchen Fall könnten Pflichtteilsansprüche einschließlich des vorbereitenden Auskunftsanspruchs wegen § 2213 Abs. 1 S. 3 BGB indes nur gegen den Erben geltend gemacht werden.

(nicht amtl. Leitsätze)

Sachverhalt | OLG Köln 24 U 77/20

Ein britischer Staatsangehöriger, welcher bis zu seinem Tod mehr als 50 Jahre in Deutschland lebte, entscheid sich in seinem Testament für die Anwendung von britischem Recht, welches keinen Pflichtteilsanspruch kennt. Der Kläger, testamentarisch nicht bedachter Adoptivsohn des Erblassers, begehrt Auskunft über Bestand und Wert des Nachlasses für die Bestimmung seines Pflichtanteils nach deutschem Erbrecht.

Kann ein britischer Erblasser durch die testamentarische Wahl britischen Rechts einen nach deutschem Recht bestehenden Pflichtanteil vermeiden?

Entscheidung | OLG Köln 24 U 77/20

Ungeachtet der nach Art. 22 Abs. 1 EuErbVO freien Rechtswahl von Todes wegen hat der Kläger einen Auskunfts- und Wertermittlungsanspruch gemäß § 2314 Abs. 1 BGB.

Da das vom Erblasser gewählte englische Recht überhaupt kein Pflichtteilsrecht kennt und auch die Regelungen des Inheritance Act 1975 weder vom Werteverständnis noch in Tatbestand und Höhe der verfassungsrechtlich in Art. 14 Abs. 1 S. 1 iVm Art. 6 Abs. 1 GG verbürgten Erbrechtsgarantie entsprechen, müsse gemäß Art. 35 EuErbVO zur Gewährleistung einer dem deutschen ordre public entsprechenden Regelung auf die Vorschriften des deutschen Pflichtteilsrechts zurückgegriffen werden.

Praxishinweis | OLG Köln 24 U 77/20

Die Frage, ob die Versagung des Pflichtteils durch die testamentarische Wahl englischen Rechts einen Verstoß gegen den deutschen ordre public darstellt, ist höchstrichterlich bislang nicht geklärt. Für Österreich hat der OGH Wien (v. 25.02.2021 – 2 Ob 214/20i, ZEV 2021, ZEV 2021 S. 722) entschieden, dass das Nichtbestehen von Pflichtteilsansprüchen bei Anwendbarkeit des englischen Rechts nicht zu einem Verstoß gegen den österreichischen ordre public führt.

Weiter lässt das Urteil offen, auf welche Person(en) für die Anwendung des deutschen ordre public abzustellen ist, ab wann ein Verstoß offensichtlich ist und ob der deutsche ordre public unionsrechtlich einzuschränken ist.

Es ginge aber zu weit, bis zur Klärung der offenen Fragen auf die Rechtswahl einer Erbrechtsordnung mit geringerem oder fehlendem Pflichtteilsrecht zu verzichten. Entscheidend ist, ob es dem Erblasser wichtiger ist, den Berechtigten mit dem Versuch der Pflichtteilsvermeidung abzuschrecken oder ob er sich für Rechtssicherheit und Streitvermeidung entscheidet. Jedenfalls ist auf die mangelnde Rechtssicherheit hinzuweisen.