OLG Köln 18 U 133/20
Treuwidrige Stimmrechtsausübung des Aktionärs

08.09.2021

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Köln
06.05.2021
18 U 133/20
ZIP 2021, 1319

Leitsatz | OLG Köln 18 U 133/20

  1. Zur Verpflichtung des einzelnen Aktionärs, der Auflösung einer Gesellschaft zuzustimmen bzw. sie nicht durch Ablehnung zu verhindern, wenn die Erreichung des Gesellschaftszwecks dauerhaft unmöglich geworden ist.
  2. Stellt sich die Lage einer Gesellschaft in Ermangelung einer realistischen Fortführungs- und Ertragsprognose bei Beschlussfassung so dar, dass etwaig vorhandene Vermögenswerte bei einer Verzögerung der Auflösung und Liquidation weiter abschmelzen und sinnlos aufgezehrt würden, kann sich wegen der damit letztlich drohenden Verschlechterung der Zerschlagungswerte die Stimmrechtsausübung durch einen ablehnenden Aktionär als rechtsmissbräuchlich erweisen.

(amtliche Leitsätze)

Sachverhalt | OLG Köln 18 U 133/20

Die Klägerin ist eine von drei Aktionären der Beklagten. Das Grundkapital der Beklagten (= 75.000 €) ist in 75.000 Stückaktien zu einem Nennwert von jeweils 1 €  eingeteilt. Die Aktionäre halten dabei jeweils 25.000 Aktien.

In der Hauptversammlung der Beklagten wurde mit den Stimmen der beiden Aktionäre A und B ein Liquidationsbeschluss gefasst. Am Ende der Versammlung teilte der Versammlungsleiter mit, dass er die Gegenstimmen der Klägerin nicht bei der Auszählung berücksichtigt habe, da sie treuwidrig gewesen seien. Die Klage gegen den Beschluss blieb ohne Erfolg.

 

Entscheidung | OLG Köln 18 U 133/20

Auch die Berufung bleibt erfolglos. Der Liquidationsbeschluss ist weder nichtig noch anfechtbar.

Es liegen keine Nichtigkeitsgründe i.S.d. § 241 AktG vor. Weder verstößt der Beschluss gegen die guten Sitten, noch liegt ein Verstoß gegen Vorschriften, die im öffentlichen Interesse sind, vor.
Der Beschluss ist darüber hinaus auch nicht anfechtbar. Er wurde mit der erforderlichen Stimmenmehrheit von drei Vierteln des vertretenen Grundkapitals gefasst, denn die Gegenstimmen der Klägerin durften unberücksichtigt bleiben. Dies folgt aus der treuwidrigen Stimmabgabe der Klägerin. Zwar sind die Aktionäre in ihrer Stimmabgabe grundsätzlich frei. Ausnahmen können sich aber dann ergeben, wenn das Abstimmungsermessen auf Null reduziert ist oder die Ablehnung des Beschlusses selbst treuwidrig ist. Dies alles ist Ausfluss der gesellschafterlichen Treuepflicht.

Hierbei können die vom BGH aufgestellten Anforderungen zur Beschränkung der Stimmrechtsausübung im GmbH-Recht herangezogen werden. Danach muss im Sinne der gesellschafterlichen Treuepflicht in einer bestimmten Art und Weise abgestimmt werden, wenn „die zu beschließende Maßnahme zur Erhaltung wesentlicher Werte, die die Gesellschafter geschaffen haben, oder zur Vermeidung erheblicher Verluste, die die Gesellschaft bzw. die Gesellschafter erleiden könnten, objektiv unabweisbar erforderlich und den Gesellschaftern unter Berücksichtigung ihrer eigenen schutzwürdigen Belange zumutbar ist, also wenn der Gesellschaftszweck und das Interesse der Gesellschaft gerade diese Maßnahme zwingend gebieten und der Gesellschafter seine Zustimmung ohne vertretbaren Grund verweigert. (BGH v. 12.04.2016 – II ZR 275/14)“

Zwar gelten diese Anforderungen vornehmlich für Geschäftsführungsmaßnahmen und Satzungsänderungen. Es wäre jedoch nicht sachgerecht, die Anwendung auf Gesellschaften, für welche sich die Notwendigkeit einer Auflösung aus einer wirtschaftlichen Krise heraus ergibt, einzuschränken. Somit finden auch hier die Grundsätze Anwendung mit der Folge, dass sich aus der Treuepflicht die Rechtspflicht zum Ergreifen der erforderlichen Maßnahmen ergibt. Die Pflicht zur Abstimmung zur Auflösung der Gesellschaft besteht danach insbesondere dann, wenn der Gesellschaftszweck nicht erreicht werden kann, dauerhafter Misserfolg vorliegt, Substanzverzehr droht, sich die Zerschlagungswerte zu verschlechtern drohen oder ein Mitgesellschafter nur versucht, den anderen zu schaden.

Im hier zu entscheidenden Fall waren die Gegenstimmen der Klägerin rechtsmissbräuchlich, sodass sie bei der Stimmauszählung nicht zu berücksichtigen waren. Schon bei Beschlussfassung war offensichtlich, dass die Fortführung des Unternehmensgegenstands, mithin die Erreichung des Gesellschaftszwecks unmöglich war, was sich daraus ergab, dass die Gesellschaft ihren Betrieb faktisch eingestellt und der Wert der Aktien nachhaltig negativ war. 

Praxishinweis | OLG Köln 18 U 133/20

Die vom BGH zunächst für das GmbH-Recht entwickelten Anforderungen bezüglich der Stimmrechtsausübungsfreiheit sind grundsätzlich ohne Weiteres auf das Aktienrecht übertragbar. Auch wenn hiervon eigentlich nicht die Auflösung der Gesellschaft umfasst sein soll, ist es doch sachgerecht, im Falle der wirtschaftlichen Krise auch hier eine besondere gesellschafterliche Treuepflicht anzunehmen.