BFH IX R 10/20
Steuerrecht: Zur Berechnung des Zehnjahreszeitraums nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG bei Erteilung einer sanierungsrechtlichen Genehmigung

24.12.2021

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BFH
25.03.2021
IX R 10/20
BeckRS 2021, 20285

Leitsatz | BFH IX R 10/20

Eine "Anschaffung" bzw. "Veräußerung" i. S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG liegt vor, wenn die übereinstimmenden rechtsgeschäftlichen Verpflichtungserklärungen beider Vertragspartner innerhalb der Zehn-Jahres-Frist bindend abgegeben worden sind (Anschluss an BFH-Urteil vom 10.2.2015 – IX R 23/13, BFHE 249, 149, BStBl II 2015, 487).

Sachverhalt | BFH IX R 10/20

Der Kläger und seine Ehefrau gaben am 20.12.2002 ein Angebot zum Erwerb einer Eigentumswohnung in X ab, welches der Veräußerer am 07.01.2003 annahm (beide Erklärungen wurden notariell beurkundet). Die Käufer erwarben das Immobilienobjekt, welches sich in einem förmlich festgelegten Sanierungsgebiet gemäß § 142 BauGB befand, zur Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung.

Am 27.12.2012 veräußerten der Kläger und seine Ehefrau die Immobilie mit notariell beurkundetem Kaufvertrag. Der Kaufpreis sollte binnen zehn Tagen fällig sein, nachdem den Vertragsparteien die Mitteilung des Notars zugegangen ist, dass die sanierungsrechtliche Genehmigung zum Kaufvertrag nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 BauGB vorliege. Diese wurde am 05.02.2013 erteilt und ist für die Eigentumsumschreibung erforderlich. Der Gewinn, den der Kläger und seine Ehefrau durch die Veräußerung im Streitjahr (2013) erzielen, beträgt 203.390 Euro.

Das Finanzamt (Beklagter) legte daraufhin im Einkommenssteuerbescheid für 2013 unter Anrechnung von 97 Euro Verlustvortag sonstige Einkünfte des Klägers in Höhe von 203.293 Euro fest. Dagegen legte der Kläger erfolglos Einspruch ein, mit der Begründung, er habe das Objekt nach Ablauf der Haltefrist von zehn Jahren veräußert. Hiergegen richtete sich die Klage des Klägers, welche mit Urteil vom 07.11.2019 abgewiesen wurde. Der Kläger legt Revision ein.

Entscheidung | BFH IX R 10/20

Die Revision wird als unbegründet zurückgewiesen, da der Tatbestand des privaten Veräußerungsgeschäfts gemäß § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG erfüllt sei.

Zu einem steuerpflichtigen privaten Veräußerungsgeschäft zählen bei Grundstücken solche, bei denen der Zeitraum zwischen der Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zehn Jahre beträgt. Nach ständiger Rechtsprechung seien für die Berechnung der Zeiträume grundsätzlich die Zeitpunkte maßgebend, in denen die obligatorischen Verträge abgeschlossen wurden. Damit sei erforderlich, dass die Vertragserklärungen beider Vertragsparteien innerhalb der Veräußerungsfrist bindend abgegeben worden sind.

Zwar wurden die Erklärungen innerhalb der Frist bindend abgegeben. Das Fehlen der sanierungsrechtlichen Genehmigung mache das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft und das dingliche Verfügungsgeschäft jedoch schwebend unwirksam. Das Erfordernis für beide Geschäfte ergebe sich aus § 144 Abs. 2 Nr. 1 BauGB und nach § 144 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 1 BauGB. Es handele sich bei der Norm damit um einen umfassenden Genehmigungsvorbehalt für rechtsgeschäftliche Grundstücksübertragungsgeschäfte in Sanierungsgebieten.

Auch wenn das Fehlen der Genehmigung die Entstehung von Erfüllungsansprüchen verhindert, sei die Bindungswirkung des schwebend unwirksamen Vertrages ausreichend, um die steuerrechtlichen Rechtsfolgen eines privaten Veräußerungsgeschäfts eintreten zu lassen. Dies sei der Fall, sofern sich die Parteien innerhalb der Haltefrist über den Vertragsinhalt dergestalt geeinigt haben, dass sich keine Partei mehr einseitig vom Vertrag lösen könne. Die sanierungsrechtliche Genehmigung beziehe sich nicht auf die inhaltliche Ausgestaltung des Vertrages oder die Wirksamkeit der Willenserklärungen, weshalb sie auf die Bindungswirkung keinen Einfluss habe.

Eine bloß einseitige Bindung reiche für § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG nicht aus. Dies liege im Streitfall jedoch nicht vor, da die Parteien während der Schwebezeit zur gegenseitigen Rücksichtnahme verpflichtet sind, alles zu unternehmen, um die Genehmigung herbeizuführen. Unerheblich ist dabei, dass die Parteien sich grundsätzlich einvernehmlich vom Vertrag lösen könnten.

Im Anbetracht der vorangegangenen Ausführungen liege damit ein steuerpflichtiges privates Veräußerungsgeschäft i.S.d. § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG vor. Die Anschaffung am 07.01.2003 und die Veräußerung am 27.12.2012 liegen innerhalb der zehnjährigen Haltefrist. Dass die Erteilung der sanierungsrechtlichen Genehmigung am 05.02.2013 erteilt wurde und damit außerhalb der Haltefrist liegt, sei unerheblich.

Praxishinweis | BFH IX R 10/20

Für die Frist, in der die private Veräußerung eines Grundstücks für den Veräußerer steuerpflichtig wird, kommt es lediglich auf die zivilrechtliche Bindungswirkung der Vertragserklärungen an. Jegliche öffentlich-rechtlichen Genehmigungen, die sich nicht auf den Vertragsinhalt beziehen, sind für die Berechnung der Frist nicht von Bedeutung. Anders liegt die Beantwortung der Frage, wenn die Genehmigung auf den Inhalt des Vertrages derart Bezug nimmt, dass dieser als nicht bindend vereinbart angesehen werden kann bis die Genehmigung erteilt wurde. Es ist anzuraten mit der notariellen Beurkundung der Vertragserklärungen sicherheitshalber bis zum Ablauf der Frist abzuwarten (falls möglich), um eine Steuerpflicht zu vermeiden.