EuGH C-405/18
Steuerfolgen der Sitzverlegung einer Gesellschaft

26.08.2020

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

EuGH
27.02.2020
C-405/18
IStR 2020, 267

Leitsatz | EuGH C-405/18

  1. Art. 49 AEUV ist dahin auszulegen, dass sich eine nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründete Gesellschaft, die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, ohne dass die Sitzverlegung ihre Eigenschaft als nach dem Recht des ersten Mitgliedstaats gegründete Gesellschaft berührt, auf diesen Artikel berufen kann, um dagegen vorzugehen, dass ihr in dem anderen Mitgliedstaat die Übertragung der vor der Sitzverlegung angefallenen Verluste verwehrt wird.
  2. Art. 49 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, der zufolge es einer Gesellschaft, die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz und damit ihre Steueransässigkeit in diesen Mitgliedstaat verlegt hat, verwehrt ist, einen steuerlichen Verlust geltend zu machen, der vor der Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes in einem anderen Mitgliedstaat, in dem sie ihren satzungsmäßigen Sitz beibehält, angefallen ist.

(amtliche Leitsätze)

Sachverhalt | EuGH C-405/18

Die Klägerin (AURES Holdings) gründete sich in den Niederlanden, dort war sie steueransässig. Für das Steuerjahr 2017 erlitt sie einen Verlust von über 2,7 Mio €. Am 01.01.2008 gründete die Klägerin eine Zweigniederlassung in der Tschechischen Republik, am 01.01.2009 verlegte sie ihren tatsächlichen Verwaltungssitz und ihre Steueransässigkeit dorthin.

Die Klägerin beantragte bei den tschechischen Steuerbehörden, von der für das Steuerjahr 2012 geschuldete Körperschaftssteuer den ihr im Steuerjahr 2007 in den Niederlanden entstandenen Verlust abziehen zu dürfen. Dem entsprach das tschechische Finanzamt nicht und beschied die Körperschaftssteuer für 2012 ohne Verlustabzug.

Das Oberste Verwaltungsgericht hielt es für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits für erforderlich, auf die Niederlassungsfreiheit einzugehen und beschloss, das Verfahren auszusetzen und dem EuGH folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

  1. Lässt sich unter den Begriff der Niederlassungsfreiheit im Sinne von Art. 49 AEUV ohne Weiteres auch die bloße Verlegung des Ortes der Geschäftsleitung von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat subsumieren?
  2. Falls die erste Frage bejaht wird, steht es im Widerspruch zu den Art. 49, 52 und 54 AEUV, wenn einem Steuerpflichtigen aus einem anderen Mitgliedstaat bei der Verlegung des Ortes der Ausübung seiner Geschäftstätigkeit bzw. bei der Verlegung des Ortes der Geschäftsleitung in die Tschechische Republik nach den nationalen Rechtsvorschriften das Recht auf Geltendmachung des steuerlichen Verlusts, der in diesem anderen Mitgliedstaat angefallen ist, verwehrt wird?

Entscheidung | EuGH C-405/18

Der EuGH erkannte für Recht, dass die Niederlassungsfreiheit auch in Steuerfragen gilt und eine Gesellschaft, die in einem anderen Mitgliedstaat gegründet wurde, sich auch auf Art. 49 AEUV berufen kann, wenn sie in diesem Mitgliedsstaat Verluste macht, bevor sie ihren Verwaltungssitz und ihre Steueransässigkeit auf einen anderen Mitgliedsstaat überträgt und diese Verluste dort geltend macht. Der Anwendungsbereich der Vorschrift sei eröffnet.

Zur Geltendmachung alter Verluste stellte das Gericht zunächst fest, dass es sich hierbei um einen Steuervorteil handelt, der zu einer Ungleichbehandlung für Inländer führen kann. Im Hinblick auf die Rechtfertigung jedoch erkannte der EuGH das legitime Ziel der tschechischen Regelung, durch die Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten die Gefahr eines doppelten Verlustabzugs zu vermeiden. Somit sei die Niederlassungsfreiheit durch die tschechische Regelung nicht verletzt worden.

Nicht hingegen käme es auf die Vergleichbarkeit mit den Umständen an, die dem Urteil des Gerichts vom 12.06.2018 – C 650/ 16 (Rs. Bevola und Jens W. Trock) zugrunde lagen. Dort war ein Eingriff in die Niederlassungsfreiheit bei der Übernahme finaler Verluste bejaht worden. Vorliegend handele es sich jedoch weder um eine Betriebsstätte, noch um einen Fall der Wegzugsbesteuerung.

Praxishinweis | EuGH C-405/18

Soweit ersichtlich beschäftigte sich der EuGH in diesem Urteil erstmalig mit der Frage, ob und inwiefern ein steuerlicher Verlusttransfer zwischen den Mitgliedstaaten nach Verlegung des Verwaltungssitzes möglich ist. Obwohl hierbei die Niederlassungsfreiheit betroffen sein kann, verdeutlichte das Gericht gleichzeitig, dass diese keine steuerneutrale Sitzverlegung garantiert. Im Gegenteil: ein Aufnahmemitgliedstaat ist nicht wegen der Niederlassungsfreiheit allein dazu verpflichtet, Verluste die außerhalb seiner Steuerhoheit entstanden sind, zu berücksichtigen.