BGH II ZR 141/19
Sorgfaltsmaßstab des Geschäftsführers einer Komplementär-GmbH

28.04.2021

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
22.09.2020
II ZR 141/19
NZG 2020, 1343

Leitsatz | BGH II ZR 141/19

  1. Die vorbehaltlose Entlastung der Komplementärin einer GmbH & Co. KG durch ihre Mitgesellschafter bewirkt zugleich die Entlastung des Geschäftsführers der Komplementär-GmbH im Verhältnis zur Kommanditgesellschaft.
  2. Der Geschäftsführer der Komplementärin einer personalistisch strukturierten GmbH & Co. KG hat bei der Führung der Geschäfte der Gesellschaft auch dann die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden, wenn er Gesellschafter der Kommanditgesellschaft ist.

(amtliche Leitsätze)

Sachverhalt | BGH II ZR 141/19

Die Beteiligten sind Gesellschafter einer GmbH & Co. KG. Der Kläger sowie die Bekl. zu 1-4 sind Kommanditisten und die Bekl. zu 5, eine GmbH deren einzige Aufgabe die Geschäftsführung der Kommanditgesellschaft ist, ist einzige Komplementärin. Die Gesellschaft bestand seit 1993 und handelte mit Immobilien. Der Kläger und der Bekl. zu 1 waren zunächst Geschäftsführer der Bekl. zu 5, ehe der Kläger sein Amt 2008 niederlegte. Es wurden keine Anstellungsverträge mit den Geschäftsführern geschlossen.

1999 wurde ein Verwalter zur Verwaltung der Immobilien beauftragt. Diesem wurde 2006 die Finanzbuchhaltung und eine Vollmacht für das Bankkonto erteilt. Im Jahr 2015 stellte sich heraus, dass der Verwalter seit 2007 einen erheblichen Betrag an Geldern der Gesellschaft veruntreut hat. Am 21.10.2015 gab der Verwalter gegenüber der Gesellschaft ein notarielles Schuldanerkenntnis in Höhe von 523.315 € ab, wovon die Gesellschaft noch keine Zahlung erhielt. Eine vom Bekl. zu 3 beauftragte Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungskanzlei stellte bei der Ermittlung des Schadens einen wesentlichen Mangel im internen Kontrollsystem fest, weil keine Funktionstrennung zwischen der Kassenführung bzw. der Bankvollmacht und der Buchhaltung vorlag.

2016 erhob der Kläger für die KG Klage gegen den Bekl. zu 1 wegen eines Anspruchs nach der Geschäftsführerhaftung in Höhe von 486.735,02 € und begehrte zudem die Feststellung, dass der Bekl. zu 1 verpflichtet sei die KG vor weiteren Schäden freizustellen.

Der Bekl. zu 1 wendet ein, dass eine Inanspruchnahme nicht möglich sei, weil er von der Gesellschafterversammlung der KG bis 2013 entlastet sei. Für die Geschäftsjahre 2013 und 2014 hat er die Einreichung der Entlastungsbeschlüsse in die Gesellschafterversammlung angekündigt. Der Kläger klagt auch gegen die Entlastungsbeschlüsse.

Bei der Abstimmung der Beschlüsse stimmten die Bekl. 2-4 für die Entlastung des Bekl. zu 1 für die Geschäftsjahre 2014, 2015 und die Zeiträume zwischen 2000-2008 und 2009 bis 2013. Der Kläger stimmte gegen die Entlastung ab 2009. Der Bekl. zu 1 war aufgrund seiner eigenen Entlastung nicht stimmberechtigt, ebenso wie der Kläger in dem Zeitraum von 2000-2008.

§ 8 II des Gesellschaftsvertrags der Kommanditgesellschaft (im Folgenden: GV) lautet:

„Soweit in zwingenden gesetzlichen Bestimmungen oder diesem Gesellschaftsvertrag nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist, bedürfen Gesellschafterbeschlüsse, durch die der Gesellschaftsvertrag geändert oder ergänzt, die Gesellschaft aufgelöst wird oder Immobilien veräußert oder erworben werden, der Zustimmung aller Gesellschafter, sonstige Gesellschafterbeschlüsse der Mehrheit aller nach dem Gesellschaftsvertrag vorhandenen, stimmberechtigten Stimmen.“

Entscheidung | BGH II ZR 141/19

Die Revision der Bekl. hatte Erfolg, weil die Entlastungbeschlüsse für die Jahre 2000-2015 ordnungsgemäß zustande gekommen sind. Das Berufungsgericht hatte die Beschlüsse vom 25.11.2016 und vom 8.3.2017 noch als nichtig betrachtet, weil die Bekl. 2-4 treurechtswidrig abgestimmt hätten. Aufgrund der gravierenden Pflichtverletzung des Bekl. zu 1 als Geschäftsführer und dem daraus resultierenden erheblichen Schaden von circa 500.000 €, sei keine andere Entscheidung als die Versagung des Entlastungsbeschlusses denkbar.

Der BGH hingegen, geht nicht davon aus, dass die Entlastungsbeschlüsse aufgrund einer treurechtswidrigen Stimmrechtsausübung der Bekl. zu 2-4 nichtig sind. Mit der Entlastung der Bekl. zu 5 folgt auch eine Entlastung des Bekl. zu 1.

Grundsätzlich haftet für Schäden der GmbH & Co. KG aus einer Verletzung von Geschäftsführungspflichten, neben der Komplementärin, auch der Geschäftsführer der GmbH, wenn diese als wesentliche Aufgabe die Geschäftsführung der KG hat. Dabei ist irrelevant, ob der Geschäftsführer einen Geschäftsführerdienstvertrag hatte oder keine Vergütung für seine Tätigkeit erhielt. Allein die Bestellung zum Geschäftsführer und das damit einhergehende Organverhältnis zur Komplementär-GmbH sind ausschlaggebend.

Bei der Entlastung der Komplementär-GmbH durch Beschluss der GmbH & Co. KG wird auch der Geschäftsführer der Komplementär-GmbH entlastet, weil in dem Beschluss eine Billigung der Amtsführung liegt, welche zwingenderweise durch den Geschäftsführer der GmbH erfolgt. Wenn dieser Übergriff auf den Geschäftsführer der GmbH nicht gewollt ist, dann muss der Beschluss der KG einen entsprechenden Vorbehalt vorsehen.

Der Entlastungsbeschlüsse sind formell rechtmäßig zustande gekommen, weil nach Auslegung des § 8 II GV lediglich eine einfache Mehrheit für die Entlastung des Geschäftsführers notwendig ist, welche mit den Stimmen der Bekl. zu 2-4 jeweils vorlag. Eine materielle Unwirksamkeit des Entlastungsbeschlusses, aufgrund einer treupflichtwidrigen Ausübung der Mehrheitsmacht der Gesellschafter der GmbH & Co. KG, lag jedoch nicht vor.

Bei der Bestimmung der Treuwidrigkeit des pflichtwidrigen Verhaltens des Bekl. zu 1 als Geschäftsführer ist die Sorgfalt des ordentlichen Geschäftsmannes nach 43 I GmbHG anzuwenden ist, auch wenn diese Person Geschäftsführer der Komplementär-GmbH und Gesellschafter der KG ist. Eine Anwendung von § 708 BGB in welcher der Gesellschafter nur die Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten anzuwenden hat, kommt für den BGH nicht in Betracht.

Dieser Sorgfaltsmaßstab nach § 43 I GmbHG ist auch auf den Fall der GmbH & Co. KG anzuwenden, deren Geschäftsführer eine Komplementär-GmbH ist, denn bei der Geschäftsführung der Komplementär-GmbH ist ohnehin § 43 I GmbHG anzuwenden. Daher ist es nur folgerichtig den gleichen Maßstab anzuwenden, wenn die Komplementär-GmbH ihrerseits ausschließlich zur Geschäftsführung der KG besteht.

Neben dem Sorgfaltsmaßstab richtet sich auch der Haftungsmaßstab nach 43 I GmbHG; sowohl zwischen der Komplementär-GmbH und der KG als auch zwischen der Komplementär-GmbH und ihrem Geschäftsführer. Die Komplementär-GmbH ist, als persönlich haftende Gesellschafterin, aus dem Gesellschaftsverhältnis der KG zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung verpflichtet. Diese Geschäftsführung wird denklogisch durch ihren Geschäftsführer vorgenommen. Daher kann die Komplementär-GmbH darauf vertrauen, dass ihr Geschäftsführer die gleiche Sorgfalt bei der Geschäftsführung der KG walten lässt, wie bei der Geschäftsführung der GmbH. Auch die KG und deren Kommanditisten sind auf die Sorgfalt des Geschäftsführers der Komplementär-GmbH angewiesen, denn sie haben keine Möglichkeit unmittelbar in die Geschäftsführung einzugreifen.

Dieser Umstand ist unabhängig davon zu betrachten, es sich um eine personalistisch strukturierte Gesellschaft handelt, oder ob der Geschäftsführer der GmbH zudem Kommanditist der KG ist. Im Falle einer Gesellschafterstellung des GmbH- Geschäftsführers in der KG wird ein niedriger Sorgfaltsmaßstab nicht dadurch gerechtfertigt, dass sich der Geschäftsführer bei einer Pflichtverletzung selbst schädigt.

Das Berufungsgericht hat sich bei der Beweislastverteilung von den Grundsätzen des Organhaftungsprozesses leisten lassen. Jedoch richtet sich die Beweislast danach, wer sich auf einen Verstoß beruht, hier also der Kläger. Aufgrund der partiellen Beweislastumkehr im Innenhaftungsprozess hatte die Gesellschaft in der Berufung nur darzulegen, dass und inwieweit ihr ein Schaden durch möglicherweise pflichtwidriges Verhalten des Geschäftsführers entstanden ist. Der Geschäftsführer hingegen musste darlegen, dass er seinen Sorgfaltspflichten nachgekommen ist bzw. ihn kein Verschulden trifft. Dadurch dass es sich aber nicht um einen Haftungsprozess handelt, sondern der Kläger lediglich die Feststellung der Unwirksamkeit der Entlastungsbeschlüsse begehrt, muss dieser auch die Beweislast für die Unwirksamkeit tragen.

Ein Entlastungsbeschluss ist nur anfechtbar, wenn keine andere Entscheidung als die Versagung denkbar und die Entlastung missbräuchlich ist. Das ist insbesondere der Fall, wenn dem Geschäftsführer schwere Pflichtverletzungen vorzuwerfen sind und der Gesellschaft ein erheblicher Schaden zugefügt wurde. Ein Entlastungsbeschluss ist gerade dann treuwidrig, wenn die Gesellschafter zwar von einer Pflichtverletzung wissen, aber noch nicht beurteilen können, ob ein Schaden vorliegt. Aufgrund der Einholung des Gutachtens und dem notariellen Schuldanerkenntnis des Verwalters vor dem Entlastungsbeschluss, war den Gesellschafter durchaus bekannt, dass die Gesellschaft einen Schaden erlitten hat. Ein verfrühter Entlastungsbeschluss kommt daher nicht in Betracht.

Praxishinweis | BGH II ZR 141/19

Der Geschäftsführer einer Komplementär-GmbH hat sowohl bei der Geschäftsführung der GmbH als auch in seiner Tätigkeit für die KG die Sorgfalt des ordentlichen Kaufmannes anzuwenden, auch wenn er gleichzeitig Kommanditist der KG ist. Eine Entlastung der Komplementär-GmbH führt in der Regel auch zur Entlastung ihres Geschäftsführers. Wegen des weiten Ermessensspielraums der Gesellschafter kommt eine Treuwidrigkeit der Gesellschafter bei einem Entlastungsbeschluss nur in Betracht, wenn keine andere Entscheidung als die Versagung denkbar und die Entlastung missbräuchlich ist. Im Gegensatz zu einem Haftungsprozess muss der Kläger bei der Feststellung der Unwirksamkeit eines Entlastungsbeschlusses die Beweislast tragen.