BGH XII ZB 20/17
Sittenwidrigkeit eines Ehevertrages mit einem von der Ausweisung bedrohten Ausländer

06.03.2018

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
17.01.2018
XII ZB 20/17
BeckRS 2018, 1591

Leitsatz | BGH XII ZB 20/17

Zu den objektiven und subjektiven Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit eines Ehevertrags mit einem von der Ausweisung bedrohten Ausländer aufgrund einer Gesamtschau der zu den Scheidungsfolgen getroffenen Regelungen (Fortführung von Senatsurteil vom 22. November 2006, XII ZR 119/04, FamRZ 2007, 450 und von Senatsbeschluss vom 17. Mai 2006, XII ZB 250/03, FamRZ 2006, 1097).

Sachverhalt | BGH XII ZB 20/17

Vor der Eheschließung beurkundeten die Beteiligten 1997 einen notariellen Ehevertrag, in welchem sie Gütertrennung vereinbarten, den Versorgungsausgleich ausschlossen und für den Fall der Scheidung gegenseitig und vollständig auf nachehelichen Unterhalt verzichteten. Der Vertrag enthielt außerdem eine salvatorische Klausel. Die Ehefrau erhielt, obwohl sie der deutschen Sprache zu diesem Zeitpunkt nicht mächtig war, vor Beurkundung keinen (übersetzten) Vertragsentwurf und an der Beurkundung nahm nur ein ungeeigneter Dolmetscher teil.

Der Ehemann (geb. 1963) ist deutscher Staatsangehöriger mit einer abgeschlossenen Ausbildung und einem Studienabschluss. Er ist im öffentlichen Dienst vollzeitbeschäftigt und Eigentümer einer Immobilie. Die Ehefrau (geb. 1971) kam 1994 als Bürgerkriegsflüchtling aus Bosnien nach Deutschland. Sie hat eine Ausbildung zur Verkäuferin abgeschlossen und arbeitete in Vollzeitbeschäftigung als Gebäudereinigerin. Vor der Eheschließung war gegen sie bereits eine Abschiebeverfügung ergangen. Im Jahr 2002 ist aus der Ehe eine Tochter hervorgegangen. Nach der Geburt hatte die Ehefrau eine zweijährige Berufspause eingelegt. Danach war sie als Verkäuferin in einer geringfügigen, sozialversicherungsfreien Beschäftigung angestellt. Mittlerweile besitzt sie die deutsche Staatsangehörigkeit.

2014 wurde die Scheidung beantragt. Die Ehefrau klagte im Scheidungsverbundverfahren u.a. auf Auskunft zum End- und Trennungsvermögen des Ehemannes zwecks Berechnung des Zugewinnausgleichs (sog. Stufenantrag). Während das Amtsgericht den Antrag abwies, verpflichtete das Oberlandesgericht Hamburg den Ehemann zur Auskunft, da der Ehevertrag wegen Verstoßes gegen die guten Sitten unwirksam sei. Der Ehemann ging in Rechtsbeschwerde, um die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils zu erreichen.

Entscheidung | BGH XII ZB 20/17

Der BGH wies die Rechtsbeschwerde des Ehemannes zurück. Der Ehevertrag sei nichtig, da er sich in der Gesamtwürdigung der getroffenen Abreden als insgesamt sittenwidrig gem. § 138 BGB erweise.

Grundsätzlich seien die gesetzlichen Regelungen über nachehelichen Unterhalt, Zugewinn- und Versorgungsausgleich zwar disponibel, allerdings dürfen sie nicht beliebig unterlaufen werden. Es sei dabei entscheidend, ob schon im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses eine derartige einseitige Lastenverteilung für den Scheidungsfall offenkundig sei. Dies ergebe sich aus einer Gesamtwürdigung der individuellen Verhältnisse beim Vertragsschluss, insbesondere aus den Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Ehegatten, den geplanten oder bereits verwirklichten Zuschnitt der Ehe sowie den Auswirkungen auf die Ehegatten und auf ihre Kinder. Außerdem müsse eine subjektiv Imparität des benachteiligten Ehegatten hinzutreten, diese liege insbesondere vor, wenn die Umstände auf eine soziale oder wirtschaftliche Abhängigkeit, intellektuelle Unterlegenheit oder eine Ausnutzung einer Zwangslage hindeuten.

Vorliegend benachteilige der Ehevertrag sowohl objektiv als auch subjektiv lediglich die Ehefrau. Objektiv handle es sich um einen „Globalverzicht“ zu Lasten der Ehefrau. Die Regelungen dienten allein dem Interesse des Ehemannes, dem wirtschaftlich Stärkeren. Es sei vorhersehbar gewesen, dass die einkommensschwächere Ehefrau die Aufgaben der Kindesbetreuung und Haushaltsführung übernehmen würde. Auch wenn zwischen den Beteiligten strittig sei, ob bei Vertragsschluss schon ein konkreter Kinderwunsch bestand, sei dieser aufgrund des Alters nicht von vornherein auszuschließen gewesen und habe sich ja dann später auch verwirklicht. Damit hätte allein die Ehefrau bei Geltung des Ehevertrages erhebliche ehebedingte vermögensrechtliche Nachteile zu tragen. Im Ergebnis sei dies unvereinbar mit dem Gebot der ehelichen Solidarität. Subjektiv befand sich die von der Ausweisung bedrohte Ehefrau in einer Zwangslage und war damit in einer deutlich schlechteren Verhandlungsposition. Um ihren Lebensplan, nämlich in Deutschland bleiben und arbeiten zu können, zu verwirklichen, musste sie die ehevertraglichen Regelungen akzeptieren. Erschwerend komme die benachteiligende Gestaltung des Beurkundungsverfahrens dazu. An der Gesamtnichtigkeit könne die salvatorische Klausel ebenso nichts ändern.

Praxishinweis | BGH XII ZB 20/17

In einer weiteren Entscheidung (zuvor zu Unternehmereheverträgen: BGH v. 15.03.2017 - XII ZB 109/16) macht der BGH deutlich, dass Eheverträgen immer in einer Gesamtschau zu betrachten sind. Auch wenn ehevertragliche Einzelregelungen bei isolierter Betrachtungsweise durchaus zulässig sind, folgt daraus nicht grundsätzlich, dass der Vertrag insgesamt wirksam ist. Der Notar sollte zudem sicherstellen, dass beide (zukünftigen) Ehepartner in die Vertragsgestaltung und Beurkundung eingebunden werden.