BGH XII ZB 450/20
Rücktritt vom Erbvertrag durch Erklärung gegenüber einem Vorsorgebevollmächtigten zulässig

21.04.2021

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
27.01.2021
XII ZB 450/20
BeckRS 2021, 3387

Leitsatz | BGH XII ZB 450/20

  1. Zur Beschwerdeberechtigung eines Dritten gegen die Ablehnung einer Betreuung, der geltend macht, zur Ausübung eines materiellen Rechts gegenüber dem Betroffenen auf die Betreuerbestellung angewiesen zu sein (Fortführung des Senatsbeschlusses vom 19. Januar 2011 XII ZB 326/10, FamRZ 2011, 465).
  2. Dass der andere Vertragschließende geschäftsunfähig geworden ist, schließt den vertraglich vorbehaltenen Rücktritt vom Erbvertrag ihm gegenüber nicht aus.
  3. Der Rücktritt vom Erbvertrag kann bei Geschäftsunfähigkeit des anderen Vertragschließenden jedenfalls grundsätzlich wirksam gegenüber dessen Vorsorgebevollmächtigtem erfolgen.

(amtliche Leitsätze)

Sachverhalt | BGH XII ZB 450/20

Die Betroffene und der Beteiligte zu 3 schlossen 2006 vor ihrer Heirat einen notariellen Erbvertrag, in dem sie sich jeweils gegenseitig mit Vermächtnissen bedachten. Der Erbvertrag enthielt einen Rücktrittsvorbehalt.

Im Jahr 2015 erteilte die Betroffene ihren beiden Kindern, den Beteiligten zu 1 und zu 2, eine umfassende Vorsorgevollmacht.

Mit notarieller Urkunde vom 15. April 2020 erklärte der Beteiligte zu 3 den Rücktritt vom Erbvertrag. Die Zustellung der Urkunde erfolgte an die Betroffene und die Beteiligte zu 1.

Der vorherige Antrag des Beteiligten zu 3 auf Bestellung eines Betreuers für die Betroffene zur Entgegennahme der Rücktrittserklärung war vom Amtsgericht mit der Begründung abgelehnt worden, dass eine Betreuung mit Blick auf die Vorsorgevollmacht nicht erforderlich sei.

Hiergegen richtete sich die Beschwerde und sodann die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 3.

Beide Rechtsmittel blieben ohne Erfolg.

Entscheidung | BGH XII ZB 450/20

Der BGH wies die zulässige Rechtsbeschwerde als unbegründet zurück und bestätigte damit die Entscheidung der Vorinstanz.

Der Beteiligte zu 3 sei zwar grundsätzlich gem. § 59 Abs. 1 FamFG beschwerdeberechtigt, da nicht von vornherein auszuschließen sei, dass er durch die Ablehnung der Betreuerbestellung gegebenenfalls dauerhaft an der Rechtsausübung gegenüber der Betroffenen gehindert und damit in seinen Rechten beeinträchtigt sein könnte.

Die Rücktrittserklärung sei aufgrund der umfassenden Vorsorgevollmacht der Beteiligten zu 1 jedoch in entsprechender Anwendung des § 131 Abs. 1 BGB mit dem Zugang an sie wirksam geworden, sodass die Bestellung eines Betreuers für die Betroffene im vorliegenden Fall nicht erforderlich war.

Im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des Senats ist der Kläger eines Rechtsstreits hinsichtlich der Entscheidung, mit der das Betreuungsgericht die von ihm angeregte Bestellung eines Betreuers für den prozessunfähigen Beklagten ablehnt, grundsätzlich beschwerdebefugt.

Dies folge aus dem Grundsatz effektiven Rechtsschutzes. Ist die gegnerische Partei prozessunfähig, so hat der Kläger regelmäßig ein rechtlich geschütztes Interesse an der Bestellung eines Betreuers, da die gerichtliche Durchsetzung seiner Forderung anderenfalls im Rahmen der Zulässigkeit mangels ordnungsgemäßer Vertretung an der fehlenden Prozessfähigkeit der gegnerischen Partei scheitert.

Ebenso verhält es sich nach Auffassung des Senats, wenn ein Dritter geltend macht, dem Betroffenen gegenüber eine materiell-rechtliche Willenserklärung abgeben zu wollen und für die Wirksamkeit dieser Erklärung wegen der krankheitsbedingten Geschäftsunfähigkeit des Betroffenen auf die Bestellung eines gesetzlichen Vertreters angewiesen zu sein.

Im vorliegenden Fall war die Bestellung eines Betreuers gem. § 1896 Abs. 2 BGB jedoch nicht erforderlich, da die Rücktrittserklärung – so die Entscheidung des BGH - auch gegenüber der Vorsorgebevollmächtigten erfolgen konnte.

Gem. § 2296 Abs. 2 S. 1 BGB erfolgt der Rücktritt vom Erbvertrag durch Erklärung gegenüber dem anderen Vertragsschließenden. Die Rücktrittserklärung als empfangsbedürftige Willenserklärung wird grundsätzlich gem. § 130 Abs. 1 BGB in dem Zeitpunkt wirksam, in dem sie dem Erklärungsempfänger oder bei Geschäftsunfähigkeit des Erklärungsempfängers gem. § 131 Abs. 1 BGB dessen gesetzlichem Vertreter zugeht.

Die Geschäftsunfähigkeit des anderen Vertragsschließenden stehe nach der Rechtsprechung und weit überwiegenden Teilen der Literatur weder einem Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen noch dem Rücktritt von einem Erbvertrag entgegen. Mit der Regelung in § 2298 Abs. 2 S. 2 BGB habe der Gesetzgeber eine klare zeitliche Zäsur für das Erlöschen des Rücktrittsrechts geschaffen. Erst der Tod des anderen Vertragsschließenden rechtfertigt den Ausschluss des Rücktrittsrechts, insbesondere da mit dem Erbfall der erbrechtliche Erwerb des vertraglich Bedachten einhergeht.

Sowohl nach dem Gesetzeswortlaut als auch nach dessen Zweck muss den Vertragsparteien bis zum Tod des jeweils anderen die Möglichkeit eröffnet sein, sich von der erbrechtlichen Bindung zu lösen.

Die fehlende Möglichkeit des Geschäftsunfähigen, auf die mit dem Rücktritt veränderte erbrechtliche Lage mittels letztwilliger Verfügung zu reagieren, sei dabei lediglich Ausdruck des allgemeinen Risikos der Testierunfähigkeit und rechtfertige keine andere Wertung.

Dies gelte insbesondere bei einem erbvertraglichen Rücktrittsvorbehalt.

Die Frage, ob der Rücktritt vom Erbvertrag bei Geschäftsunfähigkeit des Erklärungsgegners auch einem von diesem wirksam rechtsgeschäftlich Bevollmächtigten zugehen kann, sei zwar höchstrichterlich bislang nicht entschieden worden, im vorliegenden Falle jedoch zu bejahen.

Die Zulässigkeit der rechtsgeschäftlichen Stellvertretung im Hinblick auf den Empfang der Rücktrittserklärung folge zum einen aus § 164 Abs. 3 BGB und zum anderen aus dem Umkehrschluss zu § 2296 Abs. 1 BGB, wonach es sich bei der Entgegennahme der Rücktrittserklärung im Gegensatz zu deren Abgabe nicht um eine höchstpersönliche Angelegenheit handelt.

Da die Vorsorgevollmacht vorliegend nicht dem Zurücktretenden, sondern einer dritten Person erteilt worden war, und dadurch weder die Gefahr des Missbrauchs noch einer Interessenkollision bestand, konnte die Angelegenheit der Betroffenen ebenso gut durch die Vorsorgebevollmächtigte wie durch einen vom Gericht bestellten Betreuer besorgt werden (vgl. § 1896 Abs. 2 S. 2 BGB).

 

Praxishinweis | BGH XII ZB 450/20

Die Entscheidung des BGH bestärkt das Instrument der Vorsorgevollmacht als Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts der Betroffenen. Mit der Erteilung einer Vorsorgevollmacht sollen gerade die mit einer Betreuung nach §§ 1896 ff. BGB verbundenen staatlichen Eingriffe vermieden werden.

Nichtsdestotrotz ist mit der gewillkürten Stellvertretung im Rahmen des § 2296 Abs. 2 S. 1 BGB für einen noch testierfähigen Vertretenen allgemein ein höheres Risiko verbunden als mit einer gesetzlichen Vertretung durch einen Betreuer. Hierauf weist der Senat in seiner Entscheidungsbegründung ausdrücklich hin.

Dieses Risiko könnte sich etwa dadurch realisieren, dass der andere Vertragsschließende als zugleich vom Verbot der Selbstkontrahierung befreiter Bevollmächtigter wirksam den Rücktritt erklärt und der Vertretene mangels Kenntnis vom Rücktritt hierauf nicht reagieren kann.