BGH V ZB 148/19
Rückendeckung vom BGH für Vorsorgevollmachten durch Betreuungsbehörden

03.01.2022

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
12.11.2020
V ZB 148/19
RNotZ 2021, 348

Leitsatz | BGH V ZB 148/19

  1. Die Beglaubigung von Unterschriften auf Vorsorgevollmachten durch die Urkundsperson bei der Betreuungsbehörde gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 BtBG genügt den Anforderungen des § 29 GBO. (Rn. 8)
  2. Eine Vorsorgevollmacht im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 BtBG liegt auch dann vor, wenn sie im Außenverhältnis unbedingt erteilt worden ist und lediglich im Innenverhältnis nur für den Fall gelten soll, dass der Vollmachtgeber betreuungsbedürftig geworden ist. (Rn. 10)
  3. Die Beglaubigungsbefugnis der Urkundsperson bei der Betreuungsbehörde nach § 6 Abs. 2 Satz 1 BtBG erstreckt sich auch auf Vorsorgevollmachten, die über den Tod hinaus gültig sein sollen. (Rn. 25)

(amtliche Leitsätze)

Sachverhalt | BGH V ZB 148/19

Der Eigentümer eines Grundbesitzes errichtete vor seinem Tod im September 2016 eine Vollmacht für die Beteiligten 1 und 2, die er selbst als „Vorsorgevollmacht“ bezeichnete. Danach sollten die Beteiligten zu 1 und zu 2 jeweils einzeln dazu berechtigt sein, den Eigentümer in Fragen der Gesundheitsfürsorge, vertraglichen Angelegenheiten und Rechtsstreitigkeiten zu vertreten. Die Vollmacht sollte auch nach seinem Tod Geltung haben. Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 Betreuungsbehördengesetz (BtBG) wurde die Echtheit der Vollmacht durch die zuständige Betreuungsbehörde beglaubigt.

Im September 2019 übertrug die Beteiligte zu 1 im Namen des Verstorbenen sämtlichen Grundbesitz unentgeltlich an die Beteiligte zu 2. Die Eigentumsumschreibung wurde notariell beglaubigt. Das Grundbuchamt forderte die Beteiligten jedoch mit Zwischenverfügung im Oktober 2019 auf, die Genehmigung der Erben nebst Erbnachweis vorzulegen. Dagegen legte die Beteiligte zu 2 zunächst Beschwerde ein. Die Beschwerde blieb erfolglos und sie begehrte vor dem BGH per Rechtsbeschwerde Aufhebung der Zwischenverfügung.

Das Beschwerdegericht lehnte die Beschwerde ab, da die beglaubigte Vorsorgevollmacht nicht den Anforderungen des § 29 GBO standhalten würde. Diese hätte zwar dieselbe rechtliche Wirkung wie eine öffentliche Beglaubigung. Jedoch würde nach wie vor zwischen der öffentlichen Beglaubigung nach § 129 BGB und der Beglaubigung durch die Urkundsperson bei der Betreuungsbehörde differenziert werden. Dies folge letztlich auch aus dem verfassungsrechtlich garantierten Rechtsstaatsprinzip. Im Ergebnis sei die Betreuungsbehörde gar nicht zuständig gewesen für die Beglaubigung einer Vorsorgevollmacht. In Ermangelung einer Beglaubigungsbefugnis wäre die Zwischenverfügung also berechtigt.

Entscheidung | BGH V ZB 148/19

Die Rechtsbeschwerde ist erfolgreich. Der BGH lehnt die Rechtsansicht des Beschwerdegerichtes ab. Nach Auffassung des Revisionsgerichts ist die Vorsorgevollmacht des Eigentümers durchaus dazu geeignet, die nach § 29 GBO erforderliche Vertretungsberechtigung nachzuweisen.

Dazu geht der BGH zunächst auf die jüngere Entstehungsgeschichte der einschlägigen Beglaubigungsvorschrift § 6 Abs. 2 Satz 1 BtBG ein. Der urspr. Wortlaut vom 21. April 2005 enthielt zwar nicht das Wort „öffentlich“. Die Vorschrift wurde durch Art. 11 des Gesetzes zur Änderung des Zugewinnausgleichs- und Vormundschaftsrechts vom 6. Juli 2009 (BGBl. I S. 1696 ff.) jedoch dahingehend präzisiert, dass es § 6 Abs. 2 Satz 1 BtBG einen Beglaubigungstatbestand darstellte.

Gegen die Annahme des Beschwerdegerichtes, demnach es sich um eine rein amtliche Beglaubigung handele, spräche laut BGH außerdem ein Blick auf die inzwischen aufgehobene Vorschrift des § 11 Abs. 7 Melderechtsrahmengesetz (MRRG). Danach konnte die Vertretungsberechtigung gegenüber meldepflichtigen Personen auch durch die Beglaubigung nach § 6 Abs. 2 BtBG erfüllt werden. Damit handele es sich seinem Zweck nach um eine gleichwertige Alternative zur öffentlichen Beglaubigung nach § 129 BGB.

Sodann geht das oberste Gericht auf den Umstand ein, dass die Vorsorgevollmacht im Außenverhältnis unbeschränkt gelten sollte, also darauf angelegt war, unabhängig vom Betreuungsfall den Beteiligten zu 1 und zu 2 Vertretungsberechtigung zuzuweisen. Die im Innenverhältnis auferlegte Beschränkung auf den Eintritt des Vorsorgefalls berühre die Wirksamkeit im Außenverhältnis jedoch nicht. Denn der Zweck des Instrumentes einer Vorsorgevollmacht läge v. a. darin, eine bürgernahe und kostengünstige Alternative gegenüber gerichtlich angeordneten Betreuungsverhältnissen zu schaffen. Dieses Anliegen könne jedoch aus Praktikabilitätsgründen nur umgesetzt werden, wenn die Beschränkungen auf den Vorsorgefall im Außenverhältnis keine Anwendung finden. Die Schwelle zum Betreuungsfall sei in der Realität fließend und könne nicht immer festgestellt werden. Eine Beschränkung hätte damit erheblichen Einfluss auf die Sicherheit des Rechtsverkehrs. Im Geschäftsverkehr würden Beteiligte eine bedingt erteilte Vollmacht im Zweifel nicht akzeptieren. Folglich würde der § 6 Abs. 2 BtBG erheblich an Bedeutung verlieren und das gesetzgeberische Ziel einer flächendeckenden Verbreitung, insbesondere im Bankverkehr, wäre verfehlt.

Anschließend befindet der BGH über die umstrittene Frage, ob auch über den Tod hinausgehende Vollmachten vom Tatbestand des § 6 Abs. 2BtBG erfasst sind (sogenannte transmortale Vollmacht). Der BGH bejaht dies. Die Richter räumen zwar ein, dass eine verstorbene Person im wörtlichen Sinne nicht mehr „betreut“ werden könne. Lehnte man eine Beglaubigungskompetenz des Betreuungsamtes jedoch ab, wäre dessen Vollmacht einer notariell beglaubigten Vollmacht deutlich unterlegen. In der Praxis würde das Ziel einer stärkeren Anwendung und Verbreitung gefährdet werden.

Ebenso wären Geschäftspartner nicht immer in Kenntnis, ob der Betroffene noch lebt oder inzwischen verstorben ist. Dies würde zu Rechtsunsicherheiten und gegebenenfalls Ablehnung unter Geschäftspartnern führen.

Schließlich sei eine auf das Leben verkürzte Vollmacht auch für die zu betreuende Person nicht interessengerecht. Verpflichtungen wirken häufig über den Tod hinaus und der Betroffene hat das Bedürfnis, für dessen Wahrnehmung eine vertrauenswürdige Person auszuwählen.

Am Schluss geht der BGH noch auf die verfassungsrechtlichen Bedenken detaillierter ein. Erachtete das Beschwerdegericht die Schaffung einer zusätzlichen Beglaubigungskompetenz bei den Betreuungsbehörden als rechtsstaatswidrig, vertritt das oberste Gericht die Auffassung, dass der Staat durchaus Aufgaben auf den Verwaltungsapparat übertragen dürfe.

Zwar seien Notare als unabhängige Träger eines öffentlichen Amtes bestellt (vgl. § 1 BNotO). Dies schließe aber nicht aus, Beglaubigungskompetenzen zusätzlich einer Behörde zuzuweisen. Der Vorwurf einer willkürlichen Übertragung sei von der Hand zu weisen, da sich der Vorgang auf eng begrenzte Fälle beschränke und im Anliegen der Verbreitung des Institutes auch ein rechtfertigendes Interesse bestände.

Praxishinweis | BGH V ZB 148/19

Durch die Entscheidung könnte die bislang spärlich verbreitete Vorsorgevollmacht an Popularität gewinnen. Dies würde mittelfristig zu einer Entlastung von Gerichten führen, die für Betreuungsfragen zuständig sind.

Für einen Betreuungsbedürftigen und dessen Angehörige ist die Entscheidung richtungsweisend. Durch Stellungnahme des obersten Gerichtes in Fragen einer Beschränkung im Innenverhältnis und postmortalen Wirksamkeit wurde die Reichweite des § 6 Abs. 2 BtBG erheblich erhöht. Damit wurde das Ziel einer behördlichen Beglaubigungskompetenz verfestigt. Dies stärkt das Vertrauen des Rechtsverkehrs in künftige Vorsorgevollmachten.