AAP Madrid n 32/2020
Rechtliche Grenzen der Missbrauchskontrolle von Zustimmungsbeschlüssen zu grenzüberschreitenden Strukturmaßnahmen

18.10.2021

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

AAP Madrid
14.02.2021
n 32/2020
Aranzadi Insignis AC 2020\160; dazu Deck, NZG 2021, 629

Leitsatz | AAP Madrid n 32/2020

Der mit Wirksamwerden einer grenzüberschreitenden Verschmelzung eintretende Bestandsschutz umfasst über die Verschmelzung hinaus auch die damit im Zusammenhang stehenden Gesellschafterbeschlüsse.

Die Beschlussfassung unterliegt grundsätzlich dem jeweiligen nationalen Recht der betroffenen Gesellschaft. Ausnahmsweise ist eine materielle Beschlusskontrolle durch ein statutfremdes Gericht möglich, wenn die im Einzelfall festzustellenden konkreten Konditionen der geplanten Verschmelzung, hier die Aus- oder Neugestaltung der Satzung der aufnehmenden Gesellschaft, im Einzelfall die Beschlussanfechtung nach den Maßstäben des Gesellschaftsstatuts der jeweils betroffenen Gesellschaft rechtfertigen können.

Die vorzunehmende Missbrauchskontrolle unterliegt den Voraussetzungen, dass die angefochtenen Gesellschaftsbeschlüsse von der Mehrheit durchgesetzt wurden und dass sie missbräuchlich zustande gekommen sind, weil sie zum besonderen Vorteil der Mehrheitsaktionäre gefasst wurden und die gefassten Gesellschaftsbeschlüsse nicht einem vernünftigen Bedürfnis der Gesellschaft entsprochen haben.

Sachverhalt | AAP Madrid n 32/2020

Das spanische Unternehmen A wollte grenzüberschreitend auf die niederländische B-Gesellschaft verschmelzen. Die Verschmelzung verfolgte den Zweck, einen auf globaler Ebene wettbewerbsfähigen paneuropäischen Medienkonzern unter Errichtung einer Holdingstruktur unter Leitung der B-Gesellschaft zu schaffen.

Die aufnehmende Gesellschaft B beschloss die Zustimmung der Verschmelzung. Sie beschloss zugleich auch eine Neufassung der Satzung. Diese sah zugunsten des Alleingesellschafters der B-Gesellschaft, der italienischen C-Gesellschaft, der nach der geplanten Verschmelzung die Rolle des Hauptaktionärs zugekommen wäre, zahlreiche Instrumente vor.

Die Satzung sah nach ihrer Neufassung unter anderem die Zuteilung von loyalty-shares in einer Weise vor, welche zu einem überproportionalen Zuwachs an Stimmrechten des italienischen Hauptaktionärs geführt und diesem innerhalb kürzester Zeit eine Stimmrechtsmehrheit verschafft hätte. Nach der Neufassung der Satzung hätten Vorschläge zur Bestellung neuer Verwaltungsratsmitglieder nur mit einer qualifizierten Mehrheit von 2/3 abgelehnt werden können. Die Kompetenz zur Bestellung und Abberufung der Mitglieder des Verwaltungsrats wurde diesem selbst eingeräumt und die B-Gesellschaft stellte dort die Mehrheit. Eine weitere Regelung sah die Pflicht zum öffentlichen Verkauf von Aktien vor, sobald ein Aktionär über Stimmrechte innerhalb eines Rahmens von 25- 30 % verfügte.

Mit der vorliegenden Klage des Minderheitsaktionärs D wurde u.a. beantragt, den Zustimmungsbeschluss der Gesellschafterversammlung des A-Unternehmens zu deren grenzüberschreitender Verschmelzung auf die B-Gesellschaft aufzuheben. Die Klage hatte in allen Instanzen Erfolg. Das von dem A-Unternehmen eingelegte Rechtsmittel wurde zurückgewiesen und die angefochtene Entscheidung des Handelsgerichts Madrid bestätigt.

Entscheidung | AAP Madrid n 32/2020

Das Handelsgericht Madrid stellte zunächst fest, dass es das für den Rechtsstreit zuständige Gericht nach Art. 24 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 sei. Es führte des Weiteren dazu aus, dass bei einer grenzüberschreitenden Fusion unterschiedliche Rechtssysteme berührt seien, nämlich die der verschiedenen fusionierenden Unternehmen. Dies führe dazu, dass man weder ausländisches Recht bewerten noch in die Zuständigkeit der Gerichte anderer Länder eingreifen dürfe, sondern eine Analyse der umstrittenen Abkommen aus einer globaleren Perspektive vornehmen müsse. Eine inhaltliche Überprüfung des Zustimmungsbeschlusses der aufnehmenden Gesellschaft und deren Satzungsänderung erfolge daher nicht, sondern eine Bewertung unter dem Gesichtspunkt der Missbrauchskontrolle.

Das Gericht führte weiterhin aus, dass die gefassten Beschlüsse gegen Artikel 204 Abs. 1 der LSC verstießen, sofern die angefochtenen Gesellschaftsbeschlüsse von der Mehrheit durchgesetzt worden und sie missbräuchlich zustande gekommen seien. Die Missbräuchlichkeit läge vor, wenn die Beschlüsse zum besonderen Vorteil der Mehrheitsaktionäre gefasst worden seien und die gefassten Gesellschaftsbeschlüsse nicht einem vernünftigen Bedürfnis der Gesellschaft entsprächen.

Das Handelsgericht in erster Instanz sowie im Rahmen der dagegen eingelegten Beschwerde auch das OLG gingen nach summarischer Prüfung davon aus, dass die Satzungsgestaltung bei der aufnehmenden B- Gesellschaft maßgeblich dazu gedient hätte, den Minderheitsaktionär D treuwidrig zu benachteiligen. Dies ergebe sich aus dem Gesamtbild, dass die strukturellen Veränderungen anscheinend gleichzeitig darauf abzielten, die Rechte von D zu schwächen, ohne jede Möglichkeit, grundlegende Aktionärsrechte auszuüben.

Dieses Gesamtbild ergebe sich daraus, dass die Vorschläge zur Bestellung neuer Verwaltungsratsmitglieder nur mit einer qualifizierten Mehrheit von 2/3 hätten abgelehnt werden können, so dass es keinen Platz für von der Minderheit vorgeschlagene Direktoren geben würde. Zudem würden die Loyalitätsmaßnahmen zu einem überproportionalen Zuwachs an Stimmrechten der italienischen C-Gesellschaft führen und dieser innerhalb kürzester Zeit eine Stimmrechtsmehrheit verschaffen. Die Regelung zur Pflicht zum öffentlichen Verkauf von Aktien träfe aufgrund der derzeitigen Anteilsverhältnisse auch lediglich den französischen Minderheitsaktionär D.

Die gefassten Beschlüsse entsprächen zudem aufgrund der nicht überzeugend dargelegten zu erwartenden Wettbewerbsherausforderungen keinem vernünftigen Bedürfnis der Gesellschaft.

Der Zustimmungsbeschluss der Gesellschafterversammlung des A-Unternehmens zu deren grenzüberschreitender Verschmelzung auf die B-Gesellschaft wurde daher per einstweiliger Anordnung aufgehoben.

Praxishinweis | AAP Madrid n 32/2020

De lege ferenda tritt durch die Umsetzung der GesRRL n.F. und die vorgesehene präventive Missbrauchskontrolle keine Änderung der materiellen Prüfungskompetenzen ein, da die präventive Missbrauchskontrolle die inhaltlichen Grenzen einer Missbrauchskontrolle nicht berührt, sondern nur die Verbesserung des Minderheitenschutzes in verfahrensrechtlicher Hinsicht bezweckt.

Es sollte daher von extremen Satzungsgestaltungen der aufnehmenden Gesellschaft Abstand genommen werden, da auch das Recht der übertragenden Gesellschaft Anwendung finden kann und eine inhaltliche Prüfungskompetenz in Bezug auf Anfechtungsgründe nach dieser Rechtsordnung möglich bleibt.