EuGH C-558/16 (Doris Mahnkopf)
Qualifizierung des § 1371 Abs. 1 BGB als erbrechtliche Norm durch den EuGH

02.08.2018

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

EuGH
01.03.2018
C-558/16 (Doris Mahnkopf)
NotBZ 2018, 223

Leitsatz | EuGH C-558/16 (Doris Mahnkopf)

Artikel 1 Absatz I der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.7.2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses ist dahin auszulegen, dass eine nationale Bestimmung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, wonach beim Tod eines Ehegatten ein pauschaler Zugewinnausgleich durch Erhöhung des Erbteils des überlebenden Ehegatten vorzunehmen ist, in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt (amtlicher Leitsatz).

Sachverhalt | EuGH C-558/16 (Doris Mahnkopf)

Die Eheleute E und M, beide deutsche Staatsangehörige, waren im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft verheiratet und hatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Berlin. Beim Ableben des E gehörte zum Nachlass auch ein hälftiger Miteigentumsanteil an einem Grundstück in Schweden. Er hinterließ neben seiner Ehefrau M noch einen Sohn (S). Es existierte weder ein Ehevertrag noch eine Verfügung von Todes wegen.

M begehrt die Ausstellung eines europäischen Nachlasszeugnisses (ENZ), nach der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 in welchem M und S je zur Hälfte als Erben eingetragen sind. Das AG Schöneberg lehnte die Ausstellung des Zeugnisses jedoch mit der Begründung ab, dass nur ein Viertel des Erbes auf erbrechtlichen Regelungen beruhe, während sich das restliche Viertel nach güterrechtlichen Bestimmungen gemäß § 1371 Abs. 1 BGB richte. Diese wären nach herrschender Meinung nicht zum Erbrecht sondern zum ehelichen Güterrecht zuzuordnen und fallen somit nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung. Ein Zeugnis, dass beide Erben zu je ein Halb ausweist, könne demnach nicht ausgestellt werden.

Entscheidung | EuGH C-558/16 (Doris Mahnkopf)

Entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes und der herrschenden Meinung in der Literatur kam der Europäische Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die Norm als Hauptaufgabe nicht die Aufteilung der Vermögenswerte der Ehegatten und damit nicht die Abwicklung eines Güterstandes zum Zweck habe. Vielmehr regele sie die Rechte des überlebenden Ehegatten an den Gegenständen, die zum Nachlass gehören. Sie bestimme damit das Verhältnis des Erbteils des überlebenden Ehegatten zu den anderen Erben. Damit sei § 1371 Abs. 1 BGB als erbrechtliche Norm nach Art. 23 Abs. 2 b EuErbVO zu qualifizieren.

Das Ziel des ENZ sei es, alle Informationen zu Ansprüchen aller Erben korrekt auszuweisen. Dieses Ziel wäre verfehlt. Darüber hinaus wären die Funktionsfähigkeit des Zeugnisses und die Gutglaubens- und Vermutungswirkung nicht mehr gewährleistet, wenn das durch den pauschalen Zugewinn dem Ehegatten zustehenden Viertel nicht mit aufgenommen würde.

Verweisen die Kollisionsnormen der EuErbVO (Art. 22 und 23) auf deutsches Erbrecht und lebten die Ehegatten im Güterstand der Zugewinngemeinschaft, müsse die Erhöhung des Erbteils um das zusätzliche Viertel im ENZ aufgenommen werden.

Praxishinweis | EuGH C-558/16 (Doris Mahnkopf)

Problematisch sind die Fälle, in denen die Ehegatten zwar nach deutschem Güterrecht in Zugewinngemeinschaft leben, aber das Erbrecht eines anderen Staates Anwendung findet. In dieser Konstellation wäre die deutsche Norm, die nunmehr als erbrechtliche Norm qualifiziert wird, nicht anwendbar, mit der Folge, dass sich der Erbteil des überlebenden Ehegatten nicht pauschal erhöht.

Als Lösung dafür wird vorgeschlagen, dem überlebenden Ehegatten einen Anspruch auf den tatsächlichen, rechnerischen Zugewinn nach §§ 1371 Abs. 2 und 1372 BGB auch dann zu ermöglichen, wenn dieser die Erbschaft nicht ausschlägt und damit diese Paragraphen teleologisch zu reduzieren.

Als weiteres, bisher ungeklärtes Problem ergibt sich, wenn zwar deutsches Erbrecht, aber ausländisches Güterrecht Anwendung findet.

Um Problemen vorzubeugen empfiehlt sich, zumindest bei allen Ehen, insbesondere bei aktuell vorliegendem Auslandsbezug, einen Erbvertrag aufsetzen zu lassen, der durch eine Rechtswahlklausel die Parallelität zwischen dem Ehegüter- und Erbrecht soweit wie möglich gewährt.