BGH V ZB 25/21
Prüfungspflicht des Notars im Rahmen seiner Vollzugstätigkeit nach § 53 BeurkG

15.03.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
09.12.2021
V ZB 25/21
DNotZ 2022, 271

Leitsatz | BGH V ZB 25/21

  1. Die Beschwerde nach § 15 Abs. 2 Satz 1 BNotO kann auf neue Tatsachen gestützt werden (§ 65 Abs. 3 FamFG i. V. mit § 15 Abs. 2 Satz 3 BNotO). Unabhängig davon hat das Beschwerdegericht die Beschwerde wie ein Erstgericht auf alle Gründe zu prüfen, die ihr zum Erfolg verhelfen können (§ 68 Abs. 3 Satz 1 i. V. mit § 15 Abs. 2 Satz 3 BNotO); dabei hat es auch nach der Entscheidung des Notars bekannt gewordene Umstände zu berücksichtigen.
  2. Bescheide oder Gutachten über den Wert eines verkauften Grundstücks sind grundsätzlich ungeeignet, die evidente Unwirksamkeit eines über das Grundstück geschlossenen Kaufvertrages unter dem Gesichtspunkt eines wucherähnlichen Rechtsgeschäfts gegenüber dem Notar zu belegen; er muss sie daher im Rahmen seiner Vollzugstätigkeit nach § 53 BeurkG nicht prüfen. Entsprechendes gilt für das Beschwerdegericht, das im Rahmen einer Beschwerde nach § 15 Abs. 2 BNotO nur zu entscheiden hat, ob der Notar pflichtwidrig handelt.

Sachverhalt | BGH V ZB 25/21

Beteiligte 1 verkaufte mit notariellem Vertrag ein Grundstück an den Beteiligten 2. Die Beteiligten erklärten die Auflassung, die Verkäuferin bewilligte die Eintragung einer Vormerkung, welche der Käufer auch beantragte. Die Beteiligten beauftragten daraufhin die beurkundende Notarin mit dem Vollzug der Urkunde. Die Verkäuferin teilte der Notarin mit, dass ihr der Käufer bei Vertragsabschluss zugesichert habe, er würde ihr eine Eigentumswohnung suchen und bei einem Umzug helfen. Ihre Bitte, dies schriftlich festzulegen, habe er abgelehnt.

Mit Vorbescheid vom 22.04.2020 hat die Notarin angekündigt, die Urkunde nicht weiter zu vollziehen. Es sei wahrscheinlich, dass eine nicht beurkundete Nebenabrede vorliege, die nach § 311b BGB zur Nichtigkeit des Kaufvertrags führe. Nachdem sich der Käufer dagegen gewendet hatte, sagte die Notarin zu, die Urkunde weiter zu vollziehen. Hiergegen legte die Verkäuferin Beschwerde ein und stützte sie im Lauf des Verfahrens erstmals darauf, dass ein wucherähnliches Geschäft vorliege. Diese Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde möchte die Verkäuferin die Wiederherstellung der Entscheidung der Notarin vom 22.04.2020 erreichen.

Entscheidung | BGH V ZB 25/21

Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Zutreffend nimmt das Beschwerdegericht an, dass die Notarin gemäß § 53 BeurkG verpflichtet ist, den Vollzug der Kaufvertragsurkunde weiter zu betreiben.
Im Rahmen einer Beschwerde ist nach § 15 Abs. 2 BNotO zu prüfen, ob der Notar pflichtwidrig handelt. Allerdings ist es nicht Aufgabe des Notars, über die materiell rechtliche Wirksamkeit einer beurkundeten Willenserklärung zu befinden. Er hat auch dann die Pflicht, vollzugsreife Urkunden beim Grundbuchamt einzureichen, wenn ein Beteiligter die Wirksamkeit der zu vollziehenden Erklärungen mit beachtlichen Gründen bestreitet. Denn solche Einwendungen können mit Aussicht auf Erfolg nur beim Prozessgericht geltend gemacht werden. Von dem Vollzug einer notariellen Urkunde hat der Notar nur dann abzusehen, wenn die Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts für ihn evident ist.

Eine Nichtigkeit des Vertrags wegen fehlender Beurkundung der Nebenabrede nach § 125 S. 1 BGB ist nicht evident. Der Käufer gibt an, sein Versprechen allein aus Freundschaft, ohne Rechtsbindungswillen gemacht zu haben. Der soweit streitige Vortrag kann nur vor den Zivilgerichten geklärt werden.

Auch liegt keine evidente Nichtigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB vor. Zwar ist der diesbezügliche Einwand der Verkäuferin ungeachtet dessen zu berücksichtigen, dass er erstmals mit der Beschwerde vorgebracht worden ist. Die Beschwerde kann zum einen auf neue Tatsachen gestützt werden, zum anderen hat das Beschwerdegericht sie wie ein Erstgericht auf alle Gründe zu prüfen, die ihr zum Erfolg verhelfen können. Dabei sind auch nach der Entscheidung des Notars bekanntgewordene Umstände zu berücksichtigen.

Aus dem von der Verkäuferin eingeholten Verkehrswertgutachten ist aber nicht klar erkennbar, dass ein wucherähnliches Rechtsgeschäft vorliegt. Für ein solches reicht ein objektives Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung nicht. Vielmehr muss der Vertrag bei Gesamtbetrachtung aller subjektiven und objektiven Merkmale als sittenwidrig erscheinen. Dies ist v.a. anzunehmen, wenn eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten vorliegt. Ist das Missverhältnis besonders grob, ist der Schluss auf eine solche Gesinnung möglich. Allerdings stellt dies nur eine Vermutung dar, die widerlegt werden kann. Auch belegt das Gutachten für den Notar nicht zweifelsfrei den Verkehrswert, da nicht eindeutig ist, dass die Werteinschätzung stimmt. Gegenüber dem Notar sind Wertgutachten daher ungeeignet, um ein wucherähnliches Rechtsgeschäft evident zu belegen; er muss sie im Rahmen seiner Vollzugstätigkeit nach § 53 BeurkG nicht prüfen. Entsprechendes gilt für das Beschwerdegericht, das im Rahmen der Beschwerde gerade nur zu entscheiden hat, ob der Notar pflichtwidrig handelt.

Praxishinweis | BGH V ZB 25/21

Im Rahmen einer Beschwerde ist von dem Beschwerdegericht nach § 15 Abs. 2 BNotO nur zu prüfen, ob der Notar pflichtwidrig handelt. Hierbei kann die Beschwerde auch auf Umstände gestützt werden, die nach der Entscheidung des Notars bekanntgeworden sind. Das Beschwerdegericht prüft wie ein Erstgericht alle Gründe, die der Beschwerde zum Erfolg verhelfen können.

Der Notar kann nur dann von dem Vollzug einer notariellen Urkunde absehen, wenn die Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts für ihn evident ist. Insbesondere die Klärung streitiger Parteivorträge erfolgt allein vor den Zivilgerichten.