BFH IX R 8/20
Privates Veräußerungsgeschäft nach unentgeltlicher Übertragung ist grundsätzlich kein Gestaltungsmissbrauch

25.12.2021

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BFH
23.04.2021
IX R 8/20
DStR 2021, 2003

Leitsatz | BFH IX R 8/20

  1. § 23 Abs. 1 S. 3 EStG ist eine Missbrauchsverhinderungsvorschrift iSv § 42 Abs. 1 S. 2 AO; damit ist die Annahme eines Missbrauchs rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten gemäß § 42 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 AO für den Fall der Veräußerung nach unentgeltlicher Übertragung grundsätzlich ausgeschlossen.
  2. Hat der Steuerpflichtige die Veräußerung eines Grundstücks angebahnt, liegt ein Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten grundsätzlich nicht vor, wenn er das Grundstück unentgeltlich auf seine Kinder übertr.gt und diese das Grundstück an den Erwerber veräußern; der Veräußerungsgewinn ist dann bei den Kindern nach deren steuerlichen Verhältnissen zu erfassen.

Sachverhalt | BFH IX R 8/20

Die Klägerin erwarb im Jahr 2011 mit notariell beurkundetem Vertrag ein Grundstück. Ihr Eigentum an dem Grundstück übertrug sie im darauffolgenden Jahr unentgeltlich jeweils zu hälftigem Miteigentum auf ihren volljährigen Sohn und ihre volljährige Tochter (Beigeladene zu 1 und 2). Am selben Tag verkauften die Beigeladenen das Grundstück mit notariell beurkundetem Vertrag an Z. Der Kaufpreis wurde laut Vertrag je zur Hälfte an die Beigeladenen ausgezahlt, wobei die Verkaufsverhandlungen mit Z allein von der Klägerin geführt worden waren.

Die Klägerin erklärt in ihrer Steuererklärung für das Streitjahr 2021 keinen Gewinn aus einem privaten Veräußerungsgeschäft. Daraufhin rechnete das Finanzamt (Beklagte) den Veräußerungsgewinn der Klägerin zu, da es in der Schenkung an die Beigeladenen einen Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten gemäß § 42 AO sah. Die Beklagte setzte daher im Einkommenssteuerbescheid für das Streitjahr sonstige Einkünfte aus einem privaten Veräußerungsgeschäft in Höhe von 97.591 Euro an, wogegen die Klägerin erfolglos Einspruch einlegte.

Die von der Klägerin erhobene Klage wies das Finanzamt mit Urteil vom 21.03.2019 als unbegründet ab. Die Klägerin legt Revision ein.

Entscheidung | BFH IX R 8/20

Die Revision der Klägerin hat Erfolg. Die Vorentscheidung wird aufgehoben und der Klage wird stattgegeben.

Die Klägerin habe kein privates Veräußerungsgeschäft im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG vorgenommen, da sie das Grundstück verschenkt, und nicht veräußert habe. Dadurch sei ihr kein, für die Erfüllung des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG, erforderlicher Veräußerungsgewinn entstanden.

Ebenfalls liege kein Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten gemäß § 42 AO vor. Entgegen der Ansicht des Finanzgericht sei die Vorschrift des § 42 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 AO nicht anwendbar, da der Sachverhalt von der speziellen Missbrauchsverhinderungsvorschrift des § 23 Abs. 1 S. 3 EStG erfasst ist. Nach dieser Vorschrift ist für den Fall des unentgeltlichen Erwerbs dem Einzelrechtsnachfolger für die Zwecke des § 23 EStG die Anschaffung oder die Überführung des Wirtschaftsguts in das Privatvermögen durch den Rechtsvorgänger zuzurechnen. Dadurch soll das private Veräußerungsgeschäft bei demjenigen besteuert werden, der die Veräußerung vorgenommen und den Veräußerungserlös tatsächlich erhalten hat. Die Vorschrift soll verhindern, dass ein steuerverstricktes Wirtschaftsgut aufgrund einer unentgeltlichen Übertragung nicht in den Anwendungsbereich des § 23 Abs. 1 S. 1 EStG fällt und daher nicht versteuert würde. Es handele sich auch mit Blick auf die frühere Rechtsprechungspraxis um eine spezielle Missbrauchsverhinderungsvorschrift.

Auch sei der Tatbestand des § 23 Abs. 1 S. 3 EStG im Streitfall erfüllt. Die Klägerin habe das Grundstück unentgeltlich auf die Beigeladenen übertragen. Diese haben es weiterveräußert und den Veräußerungsgewinn hälftig erhalten. Der Veräußerungsgewinn sei mithin nach § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG bei den Beigeladenen entstanden und zu erfassen.

Allein das Vorliegen einer geringeren Steuerlast der Kinder könne nicht zur Annahme eines Rechtsmissbrauchs im Sinne von § 42 Abs. 2 S. 1 AO führen. Vielmehr sei es einem Steuerpflichtigen nicht verwehrt, eine geringere Steuerlast zu bestreben. Dies mache eine Gestaltung nicht unangemessen.

Damit habe die Klägerin weder den Tatbestand eines privaten Veräußerungsgeschäfts verwirklicht, noch sei ihr die von den Beigeladenen verwirklichte Veräußerung persönlich zurechenbar.

Praxishinweis | BFH IX R 8/20

Das Steuerrecht verwehrt es dem Steuerpflichtigen grundsätzlich nicht, die rechtlichen Verhältnisse so zu gestalten, dass sich eine geringere steuerliche Belastung ergibt. Das Gesetz soll jedoch verhindern, dass sich durch die Gestaltung ein Steuervorteil ergibt, der sich sonst nicht ergeben hätte. In einem Fall wie dem Vorliegenden liegt mithin keine Umgehung der Steuerpflichtigkeit vor, wenn das Wirtschaftsgut infolge einer unentgeltlichen Übertragung und Weiterveräußerung bei derjenigen Partei entsteht, die das Wirtschaftsgut erhalten, weiterveräußert und mithin den Veräußerungserlös erhalten hat. Dass die Steuerlast bei dieser Partei geringer ist als bei dem Rechtsvorgänger, macht die Gestaltung nicht rechtsmissbräuchlich.