BFH IX R 28/21
Privates Veräußerungsgeschäft bei unentgeltlicher Überlassung einer Wohnung an nicht nach § 32 EStG berücksichtigungsfähige Kinder

22.03.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BFH
24.05.2022
IX R 28/21
DStR 2022, 2430

Leitsatz | BFH IX R 28/21

Eine Wohnung, die der Steuerpflichtige unentgeltlich an (leibliche) Kinder überlässt, die im maßgeblichen Zeitraum des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 Alt. 2 EStG nicht (mehr) nach § 32 EStG berücksichtigungsfähig sind, wird nicht „zu eigenen Wohnzwecken“ genutzt.

Sachverhalt | BFH IX R 28/21

Die Kläger haben im April 2010 eine Wohnung erworben. Diese Wohnung wurde ab Erwerb von den 1989 geborenen Söhnen der Kläger A und B bewohnt. Das dritte Zimmer ist von dem 1991 geborenen Sohn C erst nur an den Wochenenden, ab 10.2013 dauerhaft bewohnt worden.

Am 14.12.2016 veräußerten die Kläger die Wohnung. Das Finanzamt nahm an, dass damit der Tatbestand eines privaten Veräußerungsgeschäfts gem. § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EstG erfüllt sei. Zwar ist die Befreiungsvorschrift des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 EStG für eine „Nutzung zu eigenen Wohnzwecken“ auch einschlägig, wenn der Steuerpflichtige die Wohnung einem Kind, für das er einen Anspruch auf Kindergeld hat, unentgeltlich zu Wohnzwecken überlässt. Die unentgeltliche Überlassung an andere, auch unterhaltsberechtigte Angehörige, stellt indes keine Nutzung in diesem Sinne dar. Für die Söhne A und B hätten die Kläger lediglich bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres im Mai 2014 einen Anspruch auf Kindergeld gehabt. Ab Juni 2014 sei die Wohnung nicht mehr iSd Befreiungsvorschrift des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 EStG zu eigenen Wohnzwecken genutzt worden, auch wenn die Kläger hinsichtlich des dritten Sohnes C noch bis Ende 2016 kindergeldberechtigt gewesen seien.

Die Kläger vertreten die Auffassung, dass der Wohnungsverkauf nach § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 EStG von der Besteuerung ausgenommen sei. Die Unterhaltsverpflichtung der Kläger und die Nutzung der Immobilie durch die eigenen Kinder – auch im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG – führe zur tatbestandlichen „Eigennutzung“, ohne dass es auf eine Kindergeldberechtigung ankomme. Ersatzweise ist entweder die Steuerbefreiung des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 EStG anteilig für die Jahre bis 2014 zu gewähren, oder die Steuer aus Billigkeitsgründen abweichend festzusetzen.

Entscheidung | BFH IX R 28/21

Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen. Das FG hat zu Recht angenommen, dass die Klägerin den Tatbestand eines privaten Veräußerungsgeschäfts i.S.d. § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 1 EStG erfüllt hat. Die Wohnung wurde im maßgeblichen Zeitraum nicht zu „eigenen Wohnzwecken“ genutzt; die Veräußerung ist daher nicht gem. § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 EStG von der Besteuerung befreit.

Die Klägerin hat im Streitjahr § 22 Nr. 2 iVm § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 1 EstG verwirklicht, da sie eine Wohnung verkauft hat und zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zehn Jahre lagen.
Eine Besteuerung ist gem. § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 EstG ausgeschlossen, wenn die Wohnung ausschließlich oder im Veräußerungsjahr und den beiden vorangegangenen Jahren zu „eigenen Wohnzwecken“ genutzt wurde. Eine solche Nutzung liegt auch vor, wenn die Wohnung einem einkommensteuerlich zu berücksichtigenden Kind unentgeltlich überlassen wird. Dies gilt, da der Steuerpflichtige im Rahmen seiner unterhaltsrechtlichen Verpflichtung für die Unterbringung des Kindes sorgen muss. Überlässt er die Wohnung aber zugleich einem Dritten, liegt keine begünstigte Nutzung vor.

Der Befreiungstatbestand des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 EStG ist ausgeschlossen, da A und B ab Juni 2014 (nach Vollendung ihres 25. Lebensjahres) bis zur Wohnungsveräußerung nicht mehr nach § 32 EstG bei der Veranlagung der Klägerin einkommensteuerlich zu berücksichtigen waren. Zwar ist strittig, ob es für die Zurechnung schädlich ist, dass ein einkommensteuerlich zu berücksichtigendes Kind und nicht zu berücksichtigende Kinder die Wohnung nutzen. Der Senat nimmt dies aber vorliegend an.

Zu § 10e EstG stellt die höchstrichterliche Rechtsprechung für den Begriff der „eigenen Wohnzwecke“ auf die Vorschrift des § 32 EStG ab. Dies wird damit begründet, dass der Gesetzgeber, aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung, bei den nach §32 EStG zu berücksichtigenden Kindern typisierend eine Unterhaltspflicht unterstellt. Eine Einzelfallermittlung soll durch diese typisierende Wertung vermieden werden. Zu beachten ist jedoch, dass der Zweck der Freistellungsregelung des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 EStG nicht die Förderung der Vermögensbildung, sondern die Vermeidung der Besteuerung eines Veräußerungsgewinns bei Wohnsitzaufgabe und eine damit einhergehende Behinderung der beruflichen Mobilität ist. Eine Besteuerung beeinträchtigt die berufliche Mobilität regelmäßig dann, wenn das nach § 32 EStG zu berücksichtigende Kind, im Falle eines beruflichen Wohnsitzwechsels des Steuerpflichtigen, mitziehen würde. Folglich umfassen „eigene“ Wohnzwecke in § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 EStG nicht nur die Wohnzwecke des Steuerpflichtigen, sondern auch die der Kinder, die nach §32 zu berücksichtigen sind. Denn für diese wird das Bestehen einer Unterhaltspflicht typisierend unterstellt. Eine Wohnung wird aber nicht mehr zu „eigenen Wohnzwecken“ genutzt, wenn die Immobilie nicht nur von einem nach §32 EstG einkommensteuerlich zu berücksichtigendem Kind, sondern auch von weiteren, wegen ihres Alters nicht mehr zu berücksichtigenden, Kindern mitbenutzt wird.

Die Klägerin hat ihre Wohnung im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen nicht nur C, sondern auch A und B unentgeltlich zur Nutzung überlassen. Für diese beiden konnten die Kläger ab Juni 2014 keine kindbezogenen Leistungen mehr beanspruchen. Folglich ist der Befreiungstatbestand des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 Alt. 2 EStG nicht erfüllt.

Nach den gesetzlichen Regelungen in § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 1 und S. 3 EStG besteht für eine, von den Klägern ersatzweise begehrten, zeitanteilige Steuerbefreiung für die Jahre bis 2014, keine Rechtsgrundlage. Eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen ist nicht Gegenstand des Verfahrens, sondern in dem dazu vorgesehenen Verfahren zu prüfen.

Praxishinweis | BFH IX R 28/21

Der Ausdruck „Nutzung zu eigenen Wohnzwecken“ wird grundsätzlich sehr weit gefasst und ist eigenständig auszulegen. Eine solche Nutzung setzt weder die Nutzung als Hauptwohnung voraus, noch muss sich dort der Schwerpunkt der persönlichen Lebensverhältnisse befinden. Ein Steuerpflichtiger kann deshalb mehrere Gebäude gleichzeitig zu eigenen Wohnzwecken nutzen.