BFH II B 16/20
Pflichtteilsverzicht als wucherähnliches Rechtsgeschäft

15.06.2022

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BFH
01.09.2020
II B 16/20
MittBayNot 2022, 190

Leitsatz | BFH II B 16/20

  1. Ein im Zusammenhang mit einem Vermächtnis erklärter Pflichtteilsverzicht kann wegen § 138 BGB unwirksam sein.
  2. Ob ein besonders grobes Missverhältnis i. S. d. § 138 BGB zwischen dem Wert des Vermächtnisses und dem Wert des Pflichtteils vorliegt, ist aufgrund einer Gesamt-würdigung aller Umstände des Einzelfalls festzustellen.

Sachverhalt | BFH II B 16/20

Der Kläger ist der Enkelsohn der Erblasserin und das Finanzamt ist der Beklagte. Am 04.01.2002 schloss die Erblasserin mit der Mutter des Klägers (Tochter der Erblasserin) einen Erbvertrag. Darin wurden Vermächtnisse für ihre drei Enkel (den Kläger und seine zwei Brüder) und einen Nießbrauch hieran für ihre Tochter bis zum 25. Lebensjahr des jüngsten Enkelsohnes angeordnet. In der gleichen Urkunde verzichtete die Mutter des Klägers auf ihren Pflichtteil, wobei sie zusätzlich selbst eine kleine Abfindung erhielt. Die Erblasserin verstarb im Dezember 2002.

Der Beklagte legte ausgehend von einem durch Vermächtnis erworbenen Anteil am Betriebsvermögen der KG die Erbschaftssteuer zunächst unter dem Vorbehalt der Nachprüfung fest. Tatsächlich wurde der Bescheid auch mehrfach geändert. Der Kläger legte Einspruch gegen den Erbschaftssteuerbescheid ein und beantragte schließlich dessen Aufhebung.

Nachdem der Einspruch erfolglos blieb, erhob der Kläger Klage, welche das Finanzgericht als unbegründet abwies. Da die Revision nicht zugelassen wurde, erhob der Kläger Beschwerde und macht damit das Erfordernis einer Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geltend.

Entscheidung | BFH II B 16/20

Die Beschwerde ist unbegründet, da die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO nicht erfüllt sind. Die Zulassung einer Revision aufgrund einer Abweichungsrüge setze die Darlegung der tragenden und abstrakten Rechtssätze aus dem angefochtenen FG-Urteil einerseits und aus den behaupteten, genau bezeichneten Divergenzentscheidungen andererseits voraus.

Im Rahmen dessen behauptet der Kläger, das Finanzgericht sei von der Rechtsprechung des BGH zur Sittenwidrigkeit wucherähnlicher Geschäfte abgewichen. Danach könne der Schluss auf eine bewusste oder grob fahrlässige Ausnutzung eines den Vertragspartner in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigenden Umstands durch ein besonders grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung gerechtfertigt werden. Nach dem BGH komme es, nach Ansicht des Klägers, für die Beurteilung des groben Missverhältnisses allein auf die objektiven Werte der Leistungen an.

Das FG, auf der anderen Seite, sei davon ausgegangen, dass ein Pflichtteilsverzicht bei Vorliegen einer Gegenleistung erst recht wirksam sein könne, wenn er nach dem BGB auch ohne eine Gegenleistung wirksam sein könne. Unbeachtlich sei für das Vorliegen einer möglichen Sittenwidrigkeit das Verhältnis des Werts des Verzichts zum Wert der Abfindung. Vielmehr komme es darauf an, ob der Verzichtende subjektiv als durch die Abfindung versorgt angesehen werden konnte.

Nach Ansicht des BFH stehe die Entscheidung des FG der Rechtsprechung des BGH jedenfalls nicht entgegen. Vielmehr habe das FG kein sittenwidriges Missverhältnis zwischen dem Wert des Nachlasses und dem der Abfindungsleistungen im Zeitpunkt des Vertragsschlusses feststellen können und es habe damit richtigerweise eine Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls im Rahmen des § 138 BGB vorgenommen.

Die Tatsachenwürdigung des FG sei nicht zu beanstanden. Es berücksichtige richtigerweise den aleatorischen Charakter des Pflichtteilsverzichts. Keine Auswirkungen auf die Beurteilung des Verhältnisses der gegenseitigen Leistungen habe der Tod der Erblasserin noch im selben Jahr, da es für die Beurteilung lediglich auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses ankomme. Das durch das FG geprüfte subjektive Tatbestandsmerkmal im Rahmen des § 138 BGB könne ebenfalls nicht zum Schluss eines Erfordernisses einer Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung führen, da das FG bereits das objektive Merkmal abgelehnt hat. Daher habe das Gericht den subjektiven Tatbestand allenfalls deswegen geprüft, um herauszufinden, ob sich eine Sittenwidrigkeit aus dem Gesamtcharakter, der dem Verzicht zugrundeliegenden schuldrechtlichen Rechtsgeschäft ergeben könne.

Ungeachtet dessen unterliege das Vermächtnis ohnehin der Erbschaftssteuer, auch wenn man zur Unwirksamkeit der Vermächtnisanordnung käme. Denn gemäß § 41 Abs. 1 AO sei das wirtschaftliche Ergebnis des Vollzugs des Vermächtnisses erbschaftssteuerlich beachtlich, obwohl das Vermächtnis unwirksam ist, sofern sie ausgeführt wird und die Ausführung auf der Beachtung des erblasserischen Willens beruhe, welchen Begünstigter und Belastender anerkennen. Davon sei aufgrund der vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen auszugehen.

Praxishinweis | BFH II B 16/20

Für die Prüfung der Sittenwidrigkeit eines Pflichtteilsverzicht ist auf das Urteil des OLG Hamm (v. 08.11.2018, MittBayNot 2018, 54) hinzuweisen. Danach ist ein Pflichtteilsverzicht grundsätzlich wertneutral und eine Sittenwidrigkeit kann sich nur aus dem zugrunde liegenden Kausalgeschäft und einer daraus folgenden Gesamtnichtigkeit gemäß § 139 BGB ergeben. Vor Gericht kann eine Sittenwidrigkeit des Pflichtteilsverzichts somit niemals lediglich mit einem objektiv erheblichen Missverhältnis zwischen dem Wert des Pflichtteilsanspruchs und der vereinbarten Abfindung begründet werden. Für die erbschaftssteuerliche Anerkennung entscheidet der BFH, dass das Vermächtnis anzuerkennen sei, sofern dem tatsächlichen Willen des Erblassers entsprochen wurde, unabhängig davon aus welchen Gründen das Vermächtnis formunwirksam ist.