BGH IV ZR 16/19
Pflichtteilsrecht bei Abfindungsausschluss

25.09.2020

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
03.06.2020
IV ZR 16/19
ZEV 2020, 420

Leitsatz | BGH IV ZR 16/19

Der Ausschluss eines Abfindungsanspruchs bei vereinbarter Anwachsung des Gesellschaftsanteils an einer vermögensverwaltenden GbR im Todesfall beim überlebenden Gesellschafter kann eine Schenkung iSv § 2325 BGB darstellen, sodass Pflichtteilsergänzungsansprüche für Abkömmlinge des Erblassers bestehen können.

Sachverhalt | BGH IV ZR 16/19

Der pflichtteilsberechtigte Sohn des Verstorbenen aus erster Ehe begehrt Auskunft gegen die Beklagte gemäß § 2314 BGB über den Wert zweier Immobilien. Die Beklagte ist die zweite Ehefrau des Erblassers. Die Eheleute waren ausschließliche Gesellschafter mehrerer Gesellschaften bürgerlichen Rechts, die jeweils Eigentümer unterschiedlicher Wohnungen sind.

Die Eheleute vereinbarten nachträglich 2014 nachstehende Regelung („Gesellschaftsrechtliche Vereinbarung“): „Die Gesellschaft wird mit dem Tode eines Gesellschafters aufgelöst; der Anteil des verstorbenen Gesellschafters wächst dem Überlebenden an. Die Erben erhalten – soweit gesetzlich zulässig – keine Abfindung; […]. Dieser wechselseitige Abfindungsausschluss beruht auf dem beiderseits etwa gleich hohen Risiko des Vorversterbens und ist im Interesse des jeweils überlebenden Gesellschafters vereinbart.“

Die eine Wohnung wurde von den Eheleuten und nun von der Beklagten allein bewohnt. Die andere Wohnung ist zu unter Marktwert liegenden Konditionen an den gemeinsamen Sohn der Eheleute vermietet.

Mit notariellem Testament setzte der Erblasser die Beklagte (seine Ehefrau und Mitgesellschafterin) zur Alleinerbin und den gemeinsamen Sohn als Ersatzerben ein.

Auf die Klageabweisung des Landgerichts verurteilte das OLG Hamburg (Urteil vom 15.01.2019 – 2 U 3/18) die Beklagte zur Wertermittlung hinsichtlich der streitgegenständlichen Wohnungen durch Vorlage von Gutachten öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten.

Entscheidung | BGH IV ZR 16/19

Die Revision hat keinen Erfolg. Das OLG Hamburg hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass dem Kläger als Pflichtteilsberechtigtem gegen die beklagte Erbin gemäß § 2314 Abs. 1 S. 2 BGB ein Anspruch auf Wertermittlung hinsichtlich der vormaligen Gesellschaftsanteile des E zusteht. Da die beiden streitgegenständlichen Wohnungen jeweils einziger Vermögensgegenstand der jeweiligen Gesellschaften sind, ist deren Wert zur Ermittlung des Wertes der Gesellschaftsanteile maßgeblich.

Bei der vereinbarten Anwachsung der Gesellschaftsanteile unter Ausschluss eines Abfindungsanspruchs zugunsten des Erben im konkreten Fall handelt es sich um eine Schenkung an den überlebenden Gesellschafter. Eine Schenkung ist eine unentgeltliche Zuwendung zu Gunsten des Empfängers. Dabei ist die Zuwendung unentgeltlich, wenn keine rechtliche Abhängigkeit, also eben keine Verknüpfung zu einer entsprechenden Gegenleistung des Erwerbers besteht.

Grundsätzlich lasse sich eine gesellschaftsrechtliche Regelung zur Anwachsung des Gesellschaftsanteils im Todesfall nicht als entgeltlich oder unentgeltlich einordnen. Die Regelung der Anwachsung diene der Aufrechterhaltung des Gesellschaftsunternehmens. Durch den Ausschluss einer Abfindungsverpflichtung gegenüber dem Erben werde die Liquidität der Gesellschaft und ihre Funktionsfähigkeit besichert. Zudem liege grundsätzlich schon keine Zuwendung an den überlebenden Mitgesellschafter vor. Da jeder Gesellschafter dem anderen bedingt auf den eigenen Todesfall das gleiche zuspreche und die Risikoverteilung zuerst zu versterben nahezu gleichgelagert sei, handele es sich im Regelfall um ein zufallsabhängiges (aleatorisches) Geschäft. Diese gefestigte Rechtsprechung lasse aber im Einzelfall Gestaltungsspielraum für die schutzwürdigen Interessen des Pflichtteilsberechtigten zu. Das Gericht hat im konkreten Einzelfall die Umstände des jeweiligen Geschäfts sorgfältig zu prüfen und insbesondere zu beurteilen, ob ausnahmsweise eine Schenkung im Abfindungsausschluss vorliegen könnte.

Gesellschafterin der gegenständlichen Gesellschaften war neben dem Erblasser ausschließlich die Beklagte. Zwar kann auch bei zweigliedrigen Gesellschaften bei Anwachsungsregelungen die zukünftige Sicherung des Unternehmenszwecks im Vordergrund stehen. Im konkreten Fall sei hingegen davon auszugehen, dass aufgrund der Eigennutzung der Wohnung und der günstigen Vermietung an den Sohn der Zweck der GbR lediglich die Wahrnehmung der Eigentümerposition sei. Ein darüber hinausgehender Unternehmenszweck sei nicht ersichtlich.

Die Beklagte musste auch keine Gegenleistung z.B. in Form von Arbeitsleistungen für die Anwachsung erbringen. Mit der Übernahme der Gesellschaftsanteile sei auch keine erweiterte Haftung für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft verbunden, denn die Finanzierung erfolgte aus Eigenmitteln sowie einem Darlehen für das die Beklagte ohnehin mithaftete. Insoweit ergebe sich hier keine Entgeltlichkeit.

Eine Entgeltlichkeit ergäbe sich auch nicht aus dem Risiko eines abfindungsfreien Verlustes der eigenen Gesellschaftsanteile der Beklagten für den Fall des Vorversterbens. Es konnte im konkreten Fall gerade nicht festgestellt werden, dass mit der Übernahme eines entsprechenden Risikos des abfindungsfreien Verlusts der eigenen Gesellschaftsanteile die Erwerbschance ausgeglichen werden soll. Deswegen lägen auch die Voraussetzungen des aleatorischen Geschäfts nicht vor.

Mit Blick auf die Schutzwürdigkeit des pflichtteilsberechtigten Klägers ist anzuführen, dass die Gesellschaftsanteile im konkreten Fall aufgrund der zweigliedrigen Struktur der GbRs nicht an familienfremde Personen übergehen konnten. Rechtsfehlerfrei führt das Berufungsgericht aus, dass die Regelung der Übertragung von Vermögenswerten unter Beeinträchtigung der Interessen des Klägers dienen sollte. Der Wille ausschließlich auf die Ehefrau zu übertragen, wird durch die Einsetzung der Beklagten als Alleinerbin deutlich. Die Möglichkeit, dass die Beklagte hätte vor dem Erblasser versterben können, steht dieser Einordnung nicht entgegen, denn dann hätte der Erblasser neu testieren und den Kläger ebenfalls ausschließen können. Es bestünde aber auch kein Anhaltspunkt der auf den Willen des Erblassers schließen lässt, auf ein Vorversterben der Beklagten zu spekulieren.

Der Formmangel der privatschriftlichen Abrede ist durch Vollzug geheilt (§§ 518 Abs. 2, 2301 Abs. 2 BGB), da der Erblasser zu Lebzeiten alles getan hat, was zur Zuordnung an den Begünstigten erforderlich ist und es sich insoweit um ein Geschäft unter Lebenden handelt. Bei einer gesellschaftsvertraglichen Regelung einer Nachfolge unter Abfindungsausschluss vollzieht sich der Rechtserwerb zum Vollrecht bei Eintritt des Todes ohne weiteres Zutun.

Praxishinweis | BGH IV ZR 16/19

Im Wesentlichen hat der BGH mit dieser neuen Entscheidung die langjährige Rechtsprechung zur Einordnung von Nachfolge- bzw. konkret Anwachsungsklauseln unter Ausschluss von Abfindungsansprüchen der Erben bestätigt. Grundsätzlich handele es sich dabei nicht um Schenkungen. Die verfolgten Zwecke der Regelung, die Unternehmensstruktur sowie die Funktionsfähigkeit zu erhalten ohne die Liquidität und damit Handlungsfähigkeit von Gesellschaften mittels Abfindungsansprüchen im Todesfall eines Gesellschafters zu beeinträchtigen, stehen einer Kategorisierung nach entgeltlich oder unentgeltlich entgegen.

Der BGH würdigt hier im Einzelfall allerdings die gesetzlichen Wertungen des Pflichtteilsrechts. Soweit kein über die Vermögensverwaltung hinausgehender Gesellschaftszweck vorliegt und gesellschaftsrechtliche Nachfolgklauseln mit erbrechtlichen Wertungen der Vermögenszuordnung konvergieren, ist nicht ersichtlich, warum die gesetzlichen Wertungen des Pflichtteilsrechts durch privatschriftliche Vereinbarungen umgangen werden sollten.

Grundsätzlich kann in dieser Entscheidung die Stärkung gesetzlicher Wertungen gegenüber kreativen Ausgestaltungen der Vermögensnachfolge gesehen werden. Eine diesseitige Einordnung als solche hat jedoch keinen Bestand. Der BGH lässt mit diesem Urteil und dem Festhalten an seiner grundsätzlichen Rechtsprechung die Tür für gestalterische Alternativen offen, erkennt aber die Problematik um das Spannungsfeld zwischen erbrechtlichen und gesellschaftsrechtlichen Regelungen im Hinblick auf grundsätzlich anzuerkennenden Unternehmensschutz. Lediglich im konkreten Fall bestand eben kein Unternehmensschutz, da es schon an einem im Verhältnis zum Pflichtteilsrecht bestehenden schutzwürdigen Gesellschaftszweck fehlte. Es wird aber davon auszugehen sein, dass auch zukünftig bei strukturierter Gestaltung der Unternehmensschutz überwiegen wird.