BGH IV ZR 474/15
Pflichtteilsergänzungsanspruch und Fristbeginn bei Schenkung unter Vorbehalt eines Wohnungsrechts

29.12.2016

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
29.06.2016
IV ZR 474/15
NJW 2016, 2957

Leitsatz | BGH IV ZR 474/15

Behält sich der Erblasser bei der Schenkung eines Grundstücks ein Wohnungsrecht an diesem oder Teilen daran vor, so kann hierdurch in Ausnahmefällen (hier verneint) der Beginn des Fristablaufs gem. § 2325 Abs. 3 BGB gehindert sein (Fortführung des Senatsurteils vom 27. April 1994 – IV ZR 132/93, BGHZ 125, 395).

Sachverhalt | BGH IV ZR 474/15

Am 08.12.1993 schlossen die Eltern einen Vertrag über die Übertragung ihres Grundstücks (mitsamt Wohnhaus) auf den Bruder des Klägers. Darin wurde ihnen ein Wohnungsrecht an den Räumlichkeiten im Erdgeschoss und ein Recht auf Mitbenutzung als Gesamtberechtigte eingeräumt. Zudem wurde vereinbart, dass sie die Garage weiterhin unentgeltlich nutzen können, und dass der übernehmende Sohn das Grundstück zu ihren Lebzeiten weder veräußern noch ohne ihre Zustimmung Baumaßnahmen darauf vornehmen darf. Dabei wurde ausdrücklich auf eine diesbezügliche Absicherung in Form einer Rückauflassungsvormerkung verzichtet. Die Eltern gestatteten außerdem, die Möglichkeit der Eintragung von Grundpfandrechten bis zu einer Höhe von 200.000 DM nebst Zinsen und Nebenleistungen noch vor dem Wohnungsrecht. Die Eintragung im Grundbuch erfolgte am 22.11.1994. Der Kläger macht Pflichtteilsergänzungsansprüche gegen seine alleinerbende Mutter (Ehefrau des am 16.08.2012 verstorbenen Erblassers) geltend, da er die Grundstücksübertragung als eine bei der Berechnung seines Pflichtteilsanspruchs zu berücksichtigende Schenkung erachtet.

Entscheidung | BGH IV ZR 474/15

Der BGH hat entschieden, dass ein Pflichtteilsberechtigter als Ergänzung seines Pflichtteils den Betrag verlangen kann, um den sich sein Pflichtteil erhöht, wenn der verschenkte Gegenstand dem Nachlass hinzugerechnet wird, sofern der Erblasser einem Dritten eine Schenkung gemacht hat (§ 2325 Abs. 1 BGB). Die Schenkung wird innerhalb des ersten Jahres vor dem Erbfall in vollem Umfang und in jedem weiteren Jahr vor dem Erbfall jeweils um ein Zehntel weniger berücksichtigt. Für den Fristbeginn ist vorliegend die Umschreibung im Grundbuch maßgeblich. Die Zehnjahresfrist des § 2325 Abs. 3 S. 2 BGB begann somit am 22.11.1994 zu laufen. Läuft die Frist ab (wie im vorliegenden Fall), bleibt die Schenkung unberücksichtigt. Dabei ist es unerheblich, dass das im Wohnungsrecht verankerte Ausschließungsrecht nur an Teilen der übergebenen Immobilie besteht. Der Überlasser war hier mit dem Übergabevertrag nicht mehr „Herr im Haus“, da die Eltern das Grundstück nicht mehr in der gleichen Art und Wiese nutzen konnten wie zuvor. An dieser wirtschaftlich schwächeren Stellung der Eltern ändert weder die eingeräumte Möglichkeit der Bewilligung von Grundpfandrechten vor dem Wohnungsrecht, noch die eingeschränkte Möglichkeit, Baumaßnahmen vorzunehmen, etwas.

Praxishinweis | BGH IV ZR 474/15

Wird eine Immobilie unter Vorbehalt eines Wohnungsrechts übertragen, steht dies dem Beginn der Frist des § 2325 Abs. 3 S. 2 BGB nicht entgegen, wenn das Recht nur auf Teile der Immobilie beschränkt und der Überlasser nach der Übertragung nicht mehr „Herr im Haus“ ist. Bei Übergabeverträgen sollte allerdings vermieden werden, Dritten die Ausübung des Rechtes einzuräumen (§ 1092 Abs. 1 S. 2 BGB). Die im vorliegenden Fall eingeräumte Belastungsmöglichkeit ist zwar ein weiteres Indiz für die aufgegebene Rechtsposition der Eltern an der Immobilie, diese Gestaltung sollte jedoch restriktiv angewendet werden, da der wesentliche Vermögensbestandteil des Übergebers sein Grundvermögen ist (Roglmeier, jurisPR-FamR 19/2016 Anm. 1).

Die Frist des § 2325 Abs. 3 BGB beginnt allerdings nicht zu laufen, wenn sich das Wohnungsrecht i.S.d. § 1093 BGB auf die meisten bzw. sämtliche Räume der zu übertragenden Immobilie erstrecken soll. Der Vermögensgegenstand wird in diesem Fall noch nicht wesentlich aus dem Vermögen des Schenkers ausgegliedert. Dies ist auch der Fall, wenn das Wohnungsrecht auch Dritten i.S.d. § 1092 Abs. 1 S. 2 BGB eingeräumt wird (Krause, NotBZ 2016, 380, 382).