BGH V ZR 262/20
Notwegrecht kraft Garagenbebauung

26.09.2022

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
19.11.2021
V ZR 262/20
BeckRS 2021, 45613

Leitsatz | BGH V ZR 262/20

  1. Dass die auf dem Grundstück genutzten Bauten baurechtlich genehmigt sind, stellt nur eine notwendige, aber noch keine hinreichende Voraussetzung für ein Notwegrecht dar (Bestätigung von Senat, Urteil vom 11. Dezember 2020 - V ZR 268/19, NJW-RR 2021, 738 Rn. 16; Klarstellung zu Senat, Urteil vom 24. Januar 2020 - V ZR 155/18, NJW 2020, 1360 Rn. 27).
  2. Die ordnungsmäßige Benutzung eines Wohngrundstücks, welches eine Verbindung mit einem öffentlichen Weg aufweist, erfordert es im Allgemeinen auch dann nicht, dass auf einem verbindungslosen Grundstücksteil mit baurechtlicher Genehmigung errichtete Garagen zum Abstellen von Kraftfahrzeugen genutzt werden können, wenn deren Zufahrt mittels Baulast gesichert ist.

Sachverhalt | BGH V ZR 262/20

Die Parteien sind Eigentümer zweier benachbarter Grundstücke, die durch Grundstücksteilung entstanden sind. Das Grundstück der Klägerin verfügt über ein zu Wohnzwecken genutztes Haupthaus und einen genehmigten Garagenbau. Zur Sicherung der Zufahrt zu den Garagen hatte der ursprüngliche, das Grundstück teilende Eigentümer das Grundstück der Beklagten mit einer Grunddienstbarkeit in Form eines Geh- und Fahrtrechts zu Gunsten des jeweiligen Eigentümers des klägerischen Grundstücks belastet. Die Grunddienstbarkeit wurde als nicht in das geringste Gebot fallend gelöscht, als das Grundstück zwangsversteigert und den Beklagten zugeschlagen wurde. Auf dem Grundstück der Beklagten ruht eine Baulast zur Gewährung des Zugangs zum Grundstück der Klägerin. Die Klägerin verlangt von den Beklagten die Benutzung der auf deren Grundstück gelegenen Zufahrt zum Erreichen des Garagenbaus auf ihrem Grundstück mit Kraftfahrzeugen zu dulden. Ferner begehrt sie von den Beklagten die Beseitigung eines Betonpodestes, welches nach ihrer Darstellung die Ausübung der durch die Baulast bewirkten Gestattung beeinträchtigt.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Entscheidung | BGH V ZR 262/20

Das Berufungsgericht verneine rechtsfehlerfrei einen Anspruch der Klägerin gegen die Beklagten auf Einräumung eines Notwegrechts. Fehle einem Grundstück die zur ordnungsmäßigen Benutzung notwendige Verbindung mit einem öffentlichen Weg, so kann der Eigentümer nach § 917 Abs. 1 Satz 1 BGB von den Nachbarn verlangen, dass sie bis zur Hebung des Mangels die Benutzung ihrer Grundstücke zur Herstellung der erforderlichen Verbindung dulden. Diese Voraussetzungen wären in casu nicht gegeben. Das Grundstück verfüge bereits über eine Verbindung mit dem öffentlichen Weg. Die ordnungsgemäße Benutzung des Grundstücks sei mithin ermöglicht. Welche Art der Benutzung eines Grundstücks i.S.v. § 917 Abs. 1 Satz 1 BGB ordnungsmäßig sei, bestimme sich nicht nach den persönlichen Bedürfnissen des Eigentümers des verbindungslosen Grundstücks, sondern danach, was nach objektiven Gesichtspunkten diesem Grundstück angemessen sei. Eine in diesem Sinn ordnungsmäßige Benutzung bei einem Wohngrundstück setze in der Regel (nur) die Erreichbarkeit mit Kraftfahrzeugen voraus. Von der Erreichbarkeit des Grundstücks müsse das Interesse eines Eigentümers, auf sein Grundstück zu fahren, unterschieden werden. Grenzt das Grundstück, für das ein Notweg beansprucht wird, an eine öffentliche Straße, so kann es mit Personenkraftwagen angefahren werden. Eine Zufahrt über das Nachbargrundstück, um das Fahrzeug auf dem eigenen Wohngrundstück abstellen zu können, sei dem Eigentümer nach § 917 Abs. 1 BGB nicht zuzubilligen, selbst wenn er ein hochwertiges Fahrzeug besitze. Eine Notsituation läge nicht vor. Auch der Umstand, dass der Garagenbau auf einem verbindungslosen Teil des Grundstücks gelegen sei, ändere an dieser Bewertung nichts. Bei einem Wohngrundstück gehört das Abstellen von Kraftfahrzeugen aber nicht zu einer ordnungsmäßigen Nutzung im Sinne des § 917 BGB. Folglich komme bei einem solchen Grundstück ein Notweg nicht in Betracht, um eine Zufahrt zu einer Garage zu schaffen, die über die bestehende Verbindung zu einem öffentlichen Weg nicht erreichbar sei.

Ohne Erfolg mache die Klägerin ferner geltend, ihr Grundstück werde seit Jahrzehnten durch eine Nutzung des Garagenbaus mittels Zufahrt über das Grundstück der Beklagten geprägt. Dieser Umstand sei nicht geeignet, ein Notwegrecht zu begründen. Die langjährige Grundstücksnutzung in einer von dem Nachbarn ermöglichten bestimmten Art und Weise bilde keine Grundlage für die Ordnungsmäßigkeit der Benutzung des notleidenden Grundstücks im Sinne von § 917 Abs. 1 Satz 1 BGB.

Praxishinweis | BGH V ZR 262/20

Auch wenn sich der § 917 BGB in erster Annäherung vielleicht anders verstehen mag, so ist dennoch Vorsicht geboten. Ein Notwegerecht leitet sich nicht allein aus dem Umstand her, dass ein bestimmter Teil eins Grundstücks nicht durch öffentliche Wege erreicht werden könne. Ein Grundstück, welches Wohnzwecken diene, bringe nicht per se die Notwendigkeit der vollständigen Befahrbarkeit mit sich. Etwas anderes ergebe sich allenfalls bei gewerblich genutzten Grundstücken, da hier ein Be- und Entladen von Nöten sei. Ist daher das Grundstück insgesamt durch öffentliche Wege zugänglich, so muss der vom Notwegerecht belastete Nachbar ein Befahren seines Grundstücks nicht hinnehmen.

Ebenfalls zwecklos ist dabei weder das Vorbringen, dass es sich um besonders hochwertige Fahrzeuge handle. Noch kann der vom Notwegerecht Begünstigte sich auf eine Jahrzehnte lange Vollzugspraxis berufen.