OLG Hamm 10 U 13/16
Keine Sittenwidrigkeit eines Behindertentestaments

30.10.2017

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Hamm
27.10.2016
10 U 13/16
RNotZ 2017, 245 = DNotI-Report 2017, 37

Leitsatz | OLG Hamm 10 U 13/16

Für die Beurteilung eines sog. Behindertentestaments ist nicht danach zu differenzieren, wie groß das dem behinderten Kind hinterlassene Vermögen ist. Es ist weder eine klar umrissene Wertung des Gesetzgebers noch eine allgemeine Rechtsauffassung festzustellen, dass Eltern einem behinderten Kind ab einer gewissen Größe ihres Vermögens einen über den Pflichtteil hinausgehenden Erbteil hinterlassen müssen, damit es nicht ausschließlich der Allgemeinheit zur Last fällt.

Sachverhalt | OLG Hamm 10 U 13/16

Kläger ist ein Sozialhilfeträger, der übergeleitete Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche eines Behinderten mit Down-Syndrom (B) nach dessen verstorbener Mutter im Wege einer Stufenklage geltend macht. Der Beklagte zu 1 ist der Vater des B und der Ehemann der Erblasserin. Die Beklagten zu 2 und 3 sind die weiteren Kinder der Erblasserin und des Beklagten zu 1.

Die Eheleute waren im Güterstand der Gütergemeinschaft verheiratet. Sie errichteten ein privatschriftliches, gemeinschaftliches Testament in Form eines sog. Behindertentestaments. Darin setzten sie sich gegenseitig und ihre 3 Kinder als Erben ein. Der überlebende Ehegatte sollte einen Erbteil von einem ¼, B einen Anteil in Höhe des 1,1 fachen seines Pflichtteils und seine Geschwister das verbleibende Vermögen zu gleichen Teilen erhalten. Nach dem Längstlebenden sollten die Kinder gleichermaßen erben. Dabei wurde für B angeordnet, dass er nicht befreiter Vorerbe werden sollte. Nacherbe für B sollte der länger lebende Ehegatte, ersatzweise die Beklagten zu 2 und 3 bzw. deren Abkömmlinge sein. Außerdem wurde für den Erbteil des B Testamentsvollstreckung bis zum Eintritt des Nacherbfalls angeordnet. Testamentsvollstrecker sollte der längstlebende Ehegatte sein, der gewährleisten sollte, dass dem B staatliche Leistungen nicht verloren gehen und ihm in großzügiger Weise das ermöglicht wird, was über das vom Sozialhilfeträger geleistete Maß hinausgeht.

Nach dem Tod der Erblasserin erteilte das Nachlassgericht einen Erbschein, der den testamentarischen Willen umsetzte. Der Nachlasswert war bei über 7 Mio. €. Der Erbanteil des B belief sich auf einen Wert von über 960.000 €.

B lebt in einem Behindertenwohnheim. Der Kläger zahlt monatlich durchschnittlich 1.803,06 € für B. Von 2002 bis Ende 2014 beliefen sich die Kosten auf einen Betrag von 106.449,26 €. Der Kläger erließ Bescheide, die die Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche des B auf sich überleiteten. Er ist der Meinung, dass Behindertentestament sei unwirksam/ sittenwidrig, da der Grundsatz des Nachranges der Sozialhilfe bewusste unterlaufen worden sei.

Entscheidung | OLG Hamm 10 U 13/16

Nach dem OLG Hamm steht dem Kläger kein Pflichtteilsanspruch zu, daher könne er auch kein Nachlassverzeichnis verlangen. B habe nämlich nach § 2303 Abs. 1 BGB keinen Pflichtteilsanspruch, weil er aufgrund des Testaments Miterbe geworden sei. Das Behindertentestament ist nicht gem. § 138 BGB sittenwidrig. Die testamentarischen Regelungen entsprächen den höchstrichterlichen Vorgaben. Dem Erblasser stehe die verfassungsrechtlich gewährleistete Testierfreiheit gem. Art. 14 GG zu. Diese Garantie werde nur durch das Pflichtteilsrecht begrenzt. Durch die letztwillige Verfügung erhält B mehr als seinen Pflichtteil. Die Zielsetzung der Ehegatten sicherzustellen, dass B weiterhin sich alle Annehmlichkeiten und Therapien leisten kann, die der Sozialhilfeträger nicht zahlt, verstoße nicht gegen § 138 BGB. Zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung war nicht absehbar, ob die Leistungen des Sozialhilfeträgers auch in Zukunft ausreichen würden. Das Interesse der Eltern ihr behindertes Kind auch nach ihrem Tod zu versorgen und die Deckung der öffentlichen Kosten hinten anzustellen, sei berechtigt. Ebenso sei es nicht sittenwidrig, dass der Kläger selbst nach dem Tod des B nicht auf das verbleibende Erbe zugreifen könne. Irrelevant sei zudem, dass das Vermögen der Erblasserin beträchtlich sei. Das OLG Hamm schließe sich insoweit den höchstrichterlichen Vorgaben an. Es ergebe sich weder aus dem Sozialhilferecht noch aus allgemeiner Rechtsauffassung etwas Gegenteiliges. Das sozialrechtliche Subsidiaritätsprinzip werde im Sozialhilferecht selbst durchbrochen und sei im Übrigen nur im Verhältnis zwischen Sozialhilfeempfänger und Sozialhilfeträger relevant. B hätte darüber hinaus seinen Pflichtteil durch Ausschlagung erhalten könne. Der gerichtlich bestellte Ergänzungspfleger, der im Interesse des Betreuten und nicht zugunsten des Sozialhilfeträgers zu entscheiden hatte, nahm die Erbschaft jedoch an. Diese Entscheidung sei auch nicht auf den Sozialhilfeträger überleitbar, da die Erbausschlagung ein höchstpersönliches Recht sei.

Die Beklagten seien lediglich verpflichtet nach § 242 BGB über lebzeitige Schenkungen Auskunft zu erteilen.

Praxishinweis | OLG Hamm 10 U 13/16

Das obergerichtliche Urteil führt die höchstrichterliche Rechtsprechung zum Behindertentestament fort und stärkt somit die Rechte der Eltern eines behinderten Kindes.