BGH II ZB 25/17
Keine Berufung einer britischen Limited auf Niederlassungsfreiheit nach Brexit

09.08.2021

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
16.02.2021
II ZB 25/17
ZIP 2021, 566

Leitsatz | BGH II ZB 25/17

  1. Bei der Entscheidung über die Rechtsbeschwerde ist das zum Zeitpunkt der Rechtsbeschwerdeentscheidung geltende Recht anzuwenden, auch, wenn das Gericht der Vorinstanz dieses Recht noch nicht berücksichtigen konnte, weil es erst im Rechtsmittelverfahren zu einer Änderung der Rechtslage kam.
  2. Nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union und mit Ablauf des im Austrittsabkommens bestimmten Übergangszeitraums zum 31.12.2020 findet das Unionsrecht keine Anwendung – weder in Gestalt des Primär- noch des Sekundärrechts – mehr auf britische Gesellschaften.

(amtliche Leitsätze)

Sachverhalt | BGH II ZB 25/17

Die Antragstellerin, eine private company limited by shares mit satzungsmäßigem Sitz in Großbritannien meldet im März 2014 eine Zweigniederlassung zur Eintragung in das Handelsregister beim AG – Registergericht – an. Das Registergericht lehnt die Anmeldung mit der Begründung ab, dass die Höhe des Stammkapitals der Beteiligten nicht angegeben sei und der director und alleinige Gesellschafter der Beteiligten zwar eine Versicherung über fehlende Bestellungshindernisse nach § 6 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 und 3, S. 3 GmbHG abgegeben habe, insoweit jedoch nicht über seine unbeschränkte Auskunftspflicht gem. § 13g Abs. 2 S. 2 HGB iVm. § 8 Abs. 3 GmbHG gegenüber dem Gericht durch einen Notar, einen Vertreter eines vergleichbaren rechtsberatenden Berufs oder einen Konsularbeamten belehrt worden sei.

Hiergegen legte die Beteiligte zunächst erfolglos Beschwerde und sodann Rechtsbeschwerde zum BGH ein. Der BGH wandte sich daraufhin mit Vorlagebeschluss vom 14.05.2019 (BGH v. 15.05.2020 – II ZB 25/17) an den EuGH, da der Senat zunächst davon ausging, dass die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde von der Auslegung des Art. 30 Gesellschaftsrechts-RL sowie der Art. 49, 54 AEUV abhänge.

Das Vereinigte Königreich ist mit Wirkung zum 01.02.2020 aus der Europäischen Union ausgetreten. Nach Art. 126 des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (ABl. EU Nr. L 29/2020, 7) endete der Übergangszeitraum am 31.12.2020. Vorbehaltlich abweichender Regelungen des Abkommens, galt das Unionsrecht gem. Art. 127 Abs. 1 des Abkommens während des Übergangszeitraums für das Vereinigte Königreich sowie im Vereinigten Königreich zunächst fort.

 

Entscheidung | BGH II ZB 25/17

Die Rechtsbeschwerde der Beteiligten blieb im Ergebnis erfolglos. Der BGH hob den Aussetzungs- und Vorlagebeschluss zur Beantwortung der Vorlagefragen, ob die gegenständlichen nationalen Normen mit Art. 30 der Gesellschafts-RL und mit Art. 49, 54 AEUV vereinbar sind, auf, da sich die Begründetheit der Rechtsbeschwerde aufgrund des Austritts Großbritanniens aus der EU und dem Ablauf des Übergangszeitraums nunmehr nicht mehr nach Unionsrecht richte.

Der Entscheidung über die Rechtsbeschwerde sei das zum Zeitpunkt der Rechtsbeschwerdeentscheidung geltende Recht zugrunde zu legen (vgl. BGH v. 14.05.2019 – II ZB 25/17, GmbHR 2019, 821 m. Anm. Meilicke) und zwar auch dann, wenn das Gericht der Vorinstanz dieses Recht noch nicht berücksichtigen konnte. Die Frage der Anwendbarkeit von Rechtsnormen richte sich nach dem jeweils geltenden zeitlichen Anwendungsbereich und sei im Zweifel durch Auslegung zu ermitteln.

Nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union mit Wirkung zum 01.02.2020 und dem Ablauf des Übergangszeitraums nach Art. 126 des Austrittsabkommens am 31.12.2020 seien die Regelungen zur Offenlegungspflicht für Zweigniederlassungen nach Art. 29, 30 der Gesellschafts-RL auf die Anmeldung der inländischen Zweigniederlassung der Beteiligten nicht mehr anzuwenden, da die Beteiligte nicht mehr dem Recht eines Mitgliedstaates unterliege.

Darüber hinaus könne sich die Beteiligte auch nicht mehr auf die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV berufen, weil der AEU-Vertrag gem. Art. 50 Abs. 3 iVm. Art. 1 Abs. 3 EUV auf einen Mitgliedstaat, der aus der Europäischen Union ausgetreten ist, ab dem Tag des Inkrafttretens des Austrittsabkommens oder anderenfalls zwei Jahre nach der Rücktrittsmitteilung keine Anwendung mehr finde.
Angesichts der ausdrücklichen und allgemeingültigen Regelung des Unionsgesetzgebers über die zeitliche Geltung des AEU-Vertrages und der Vereinbarung im Rahmen des Austrittsabkommens, wonach das Vereinigte Königreich bis zum 31.12.2020 wie ein Mitgliedstaat behandelt wurde, komme eine über diesen Zeitpunkt hinausgehende Geltung von Primär- oder Sekundärrecht für im Vereinigten Königreich gegründete Gesellschaften nicht mehr in Betracht.

Voraussetzung für die Geltendmachung der in Art. 49, 54 AEUV garantierten Niederlassungsfreiheit sei, dass der Staat nach dessen Recht die Gesellschaft gegründet wurde, im Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Niederlassungsfreiheit durch die Gesellschaft ein Mitgliedstaat der Europäischen Union ist.

Weiterhin bestehe auch nach dem Gebot einer einheitlichen Auslegung kein Erfordernis für eine europarechtskonforme Auslegung der betreffenden nationalen Vorschriften.
Zwar kann nach innerstaatlichem Recht eine für bestimmte Sachverhalte gebotene europarechts-, insbesondere richtlinienkonforme Auslegung auch auf nicht von den europarechtlichen Vorschriften erfasste Sachverhalte zu erstrecken sein, wenn der Gesetzgeber die beiden Fallgestaltungen einheitlich regeln wollte oder eine „gespaltene Auslegung“ einer durch das nationale Recht gebotenen Gleichbehandlung widersprechen würde.

Dies gelte aber weder hinsichtlich der Verpflichtung zur Angabe des Stammkapitals nach § 13g Abs. 1, Abs. 3 HGB iVm. § 10 Abs. 1 GmbHG noch bezüglich der Verpflichtung des Geschäftsführers zur Abgabe einer Versicherung nach § 13g Abs. 2 S. 2 HGB iVm. § 8 Abs. 3 GmbHG.

Praxishinweis | BGH II ZB 25/17

Die Entscheidung zeigt die deutliche Tendenz des BGH auf, mit britischen Gesellschaften in Deutschland nunmehr wie mit anderen Gesellschaften aus Drittstaaten zu verfahren. Für britische Gesellschaften, deren Verwaltungssitz in Deutschland belegen ist, gelten nunmehr die Regelungen des deutschen Rechts, sodass insbesondere britische Limiteds mangels konstitutiver Handelsregistereintragung nach § 11 Abs. 1 GmbHG sowie ausreichender Kapitalausstattung gem. § 5 Abs. 1 GmbHG je nachdem, ob sie ein Handelsgewerbe betreiben, als GbR oder OHG oder im Falle einer Einmann-Ltd. als Einzelkaufmann behandelt werden.

Angesichts der weitreichenden Rechtsfolgen, insbesondere des Verlustes der Haftungsbeschränkung, empfiehlt es sich frühzeitig zu handeln und ggf. entsprechende Umwandlungsmaßnahmen vorzunehmen.