OLG Frankfurt a.M. 5 AktG 2/20
Keine Bagatellgrenze nach § 246a II Nr. 2 AktG bei Freigabeverfahren bei Kapitalherabsetzungsbeschluss

02.09.2021

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Frankfurt a.M.
15.12.2020
5 AktG 2/20
NZG 2021, 875

Leitsatz | OLG Frankfurt a.M. 5 AktG 2/20

  1. Die Kapitalherabsetzung kann auch dem Ausschluss einzelner Aktionäre oder der Beseitigung einer Aktiengattung dienen.
  2. Das Freigabeverfahren ist insbesondere auch dann statthaft, wenn Zweck der Einziehung von Aktien die Beseitigung des konkret betroffenen Mitgliedschaftsrechts wäre, denn auch dann führt der mit der Einziehung verfolgte Ausschließungszweck nicht dazu, dass es sich bei der Einziehung nicht mehr um eine Maßnahme der Kapitalherabsetzung handeln würde.
  3. Die Bagatellgrenze des § 246a II Nr. 2 AktG von 1.000 Euro steht einem Freigabeantrag nicht entgegen.

Sachverhalt | OLG Frankfurt a.M. 5 AktG 2/20

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kapitalherabsetzung durch die Aktiengesellschaft.

Die Antragstellerin ist eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft, welche die Feststellung vom Landgericht begehrt, dass die von der Antragsgegnerin – eine mit 130 Euro am Grundkapital der Aktiengesellschaft beteiligten Aktionärin – erhobene Nichtigkeits- und Anfechtungsklage gegen einen Beschluss der Hauptversammlung der Eintragung des Beschlussinhaltes in das Handelsregister nicht entgegensteht und etwaige Mängel des Beschlusses die Wirkung seiner Eintragung unberührt lassen.

Der Alleinvorstand und Großaktionär der Aktiengesellschaft hat entschieden, bei der Aktiengesellschaft eine Kapitalherabsetzung durchzuführen. Die Antragsgegnerin wollte als Kleinaktionärin an der Gesellschaft beteiligt bleiben.

Am 14.07.2020 lud die Antragstellerin zu ihrer Hauptversammlung ein. Am 30.07.2020 stellte der Vorstand ein Ergänzungsverlangen zur Tagesordnung mit folgendem Inahlt: Das Grundkapital von 15.600.000 Euro um 15.550.000 Euro auf 50.000 Euro herabzusetzen, den Betrag in die Kapitalrücklage einzustellen, die Aktien im Verhältnis 1:12 zusammenzulegen und eine Behandlung von Spitzen zu regeln. Die Antragstellerin gab die Ergänzung im Bundesanzeiger am 10.08.2020 öffentlich bekannt, eine Information der Antragsgegnerin unterblieb.

Die Antragsgegnerin nahm, vertreten durch Ihren Prozessbevollmächtigten, an der Hauptversammlung teil, wobei Sie im Zusammenhang mit den Formalitäten der Einberufung der Hauptversammlung keine Rügen erhob. Jedoch erklärte Sie Widerspruch zu Protokoll gegen die Beschlussfassung der Kapitalherabsetzung, welche mit 599.990 zu 5 Stimmen der Antragsgegnerin beschlossen wurde.

Am 01.09.2020 erhob die Antragsgegnerin Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage gegen den Beschluss beim LG Frankfurt/Main. Sie ist einerseits der Ansicht, eine Kapitalherabsetzung nach § 222 AktG sei nach der Schaffung der §§ 327a ff. AktG für eine „Ausbootung von Minderheitsaktionären“ unzulässig und verstoße gegen Art. 14 GG. Eine tragfähige Begründung für die Kapitalherabsetzung fehle. Der Beschluss der Hauptversammlung sei daher gem. § 241 Nr. 4 AktG sittenwidrig und nichtig.

Die Antragstellerin hat daraufhin Antrag auf Freigabe gem. § 246a AktG gestellt.

Entscheidung | OLG Frankfurt a.M. 5 AktG 2/20

Das OLG Frankfurt/Main hat dem Antrag der Aktiengesellschaft stattgegeben und die Klage der Aktionärin abgewiesen.

Die Kapitalherabsetzung ist nach § 222 AktG zulässig, weil das Freigabeverfahren nach § 246a Abs. 1 S. 1 AktG statthaft ist und die Norm die Kapitalherabsetzung als Maßnahme nach §§ 182 – 240 AktG ausdrücklich nennt. Auch der neu geschaffene Teil über den Ausschluss von Minderheitsaktionären gem. §§ 327a ff. AktG mache die Maßnahme nicht unstatthaft, weil die Kapitalherabsetzung nicht den Ausschluss von Minderheitsaktionären bezwecke. Die Minderheitsaktionäre könnten aus ihrer mitgliedschaftlichen und vermögensrechtlichen Beteiligung immer noch durch Zukauf weiterer Teilrechte oder durch Verkauf ihrer Anteile (sog. Spitzen) auf die Kapitalherabsetzung entsprechend reagieren.

Der Gesetzgeber habe die widerstreitenden Interessen – die Minderheitsaktionäre, betroffen in ihrer Mitgliedschaft einerseits und die Gesellschaft, mit dem Interesse an der Umsetzung der beschlossenen Maßnahme andererseits – gesehen und abschließend eine Abwägungsentscheidung getroffen. In § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG habe sich dieser aktiv für ein Bagatellquorum entschieden, welches nicht auf eine quotale Beteiligung abstellt, um somit eine Ausuferung der Klagebefugnis zu verhindern und die rechtsmissbräuchliche Blockade von Gesellschaftsmaßnahme einzudämmen. Dass die Kapitalherabsetzung dabei auch dem Ausschluss einzelner Aktionäre dienen kann, sei allgemein anerkannt. Es sei davon auszugehen, dass der Gesetzgeber im Blick hatte, dass im Einzelfall auch personalistisch geprägte Aktiengesellschaften von der Regelung betroffen sein könnten und das gesetzgeberische Ziel durch die Anwendung der Norm nicht verwirklicht werde. Dies sei jedoch im Interesse der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit hinzunehmen.
Die Maßnahme sei auch nicht sittenwidrig, weil lediglich die gesetzlich vorgesehenen Rechtsfolgen ausgenutzt werden.

Ebenso wenig bestünde ein Verstoß gegen Art. 14 GG, weil lediglich das Freigabeverfahren, nicht aber die Anfechtungsklage – welche bei Erfolg die Gesellschaft zu Schadensersatz verpflichten würde – an das Quorum gebunden ist. Diese Inhalts- und Schrankenbestimmung sei zulässig und hinzunehmen.

Praxishinweis | OLG Frankfurt a.M. 5 AktG 2/20

Die Rechtsprechung bestätigt die Kapitalherabsetzung als zulässiges Mittel, mit der eine Gesellschaft unliebsamen Minderheitsaktionären begegnen kann. Sollte eine Aktiengesellschaft in einer ähnlichen Situation stehen und Maßnahmen prüfen, empfiehlt es sich, eine Kapitalherabsetzung mit zu bedenken. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Aktionäre die Spitzen auch durch Zukauf von Anteilen ausgleichen können. Die Entscheidung, ob Minderheitsaktionäre ausscheiden, verbleibt somit weiterhin bei diesen.