BGH II ZR 65/19
Kein Sonderbeschluss stimmrechtsloser Vorzugsaktionäre erforderlich

17.06.2021

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
23.02.2021
II ZR 65/19
EWiR 2021, 323 (Heckschen)

Leitsatz | BGH II ZR 65/19

  1. Ungeachtet der Vorschriften des UmwG kann bei Verschmelzungen und Spaltungen ein Sonderbeschluss der Vorzugsaktionäre nach § 141 Abs. 1 AktG erforderlich sein.
  2. Ein Sonderbeschluss der Stammaktionäre nach § 65 Abs. 2 Satz 2 UmwG ist nicht erforderlich, wenn es neben den stimmberechtigten Stammaktien als weitere Aktiengattung nur stimmrechtslose Vorzugsaktien gibt.
  3. Notariell zu beurkunden sind mit einem Spaltungsvertrag sämtliche Abreden, die nach dem Willen der Beteiligten mit diesem ein einheitliches Ganzes bilden, also mit ihm stehen und fallen sollen.

 

Sachverhalt | BGH II ZR 65/19

Das Verfahren betrifft die Aufspaltung der Metro-Gruppe, bei der Stammaktionäre und stimmrechtslose Vorzugsaktionäre existierten. 2016/2017 wurden im Wege der Ausgliederung/Abspaltung die Bereiche des Unternehmens, „Lebensmittel“ und „Elektronik“ in der Weise getrennt, dass der Lebensmittelbereich abgespalten/ausgegliedert wurde. Die beim Zielrechtsträger zu schaffenden Anteile wurden im Rahmen einer Kapitalerhöhung geschaffen und verhältniswahrend den Anteilsinhabern der Ausgangsgesellschaft gewährt. Daneben erhielt der Ausgangsrechtsträger selber Aktien am Zielrechtsträger. Es handelte sich um eine Kombination aus Abspaltung und Ausgliederung. Im Vorfeld war ein Optionsvertrag betreffend Kommanditanteile einer Konzerngesellschaft abgeschlossen worden. Bei der Einladung zur Hauptversammlung, die u. a. über die Zustimmung zur Umwandlung beschließen sollte, wurde der Spaltungsvertrag ohne Urkundsmantel (Rubrum etc.) und ohne die dem Vertrag beigefügten Vollmachten veröffentlicht. U. a. gegen den Zustimmungsbeschluss zum Abspaltungs- und Ausgliederungsvertrag war Klage erhoben worden. Der Ausgangsrechtsträger hatte über ein Freigabeverfahren die Eintragung der Ausgliederung und Abspaltung durch Beschluss des OLG Düsseldorf (AG 2017, 900) erreicht. Die Klage auf Feststellung, dass der Zustimmungsbeschluss nichtig sei, hatte in allen Instanzen keinen Erfolg.

Entscheidung | BGH II ZR 65/19

Der II. Zivilsenat stellte fest, dass der Ausgangsrechtsträger seine Informations- und Auskunftspflichten verletzt hat, weil er den Umwandlungsvertrag nur unvollständig, nämlich ohne Urkundsmantel und die angefügten Vollmachten, zur Einsicht ausgelegt und über die Internetseite zugänglich gemacht hatte. §§ 125, 63 Abs. 1 Nr. 1, § 64 Abs. 1 UmwG forderten, dass der Umwandlungsvertrag vollständig ausgelegt und zugänglich gemacht wird. Auch § 124a Satz 1 Nr. 3 AktG sei verletzt, da der Vertrag auch auf der Internetseite vollständig zugänglich zu machen gewesen sei. Der Senat stellte fest, dass im Rahmen der Auslegung nicht das Original ausgelegt werden müsse, sondern eine Kopie ausreiche, diese müsse aber vollständig sein. Gleiches gelte für die Veröffentlichung auf der Internetseite. Die Anfechtung sei jedoch gem. § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG ausgeschlossen, da die vorgenannten Verstöße nicht relevant seien. Die Teile des Umwandlungsvertrags, die nicht veröffentlicht worden sind, beeinträchtigten das Informationsinteresse eines objektiv urteilenden Aktionärs nicht. Die Struktur des Umwandlungsvertrags bleibe hinreichend erkennbar. Dies folge auch daraus, dass es dem Unternehmen freigestellt sei, lediglich einen Entwurf zu veröffentlichen, anhand dessen man die Formgültigkeit des Vertrags auch nicht beurteilen könne.

Im Weiteren hatte sich der Senat mit der Frage zu beschäftigen, ob das Fragerecht der Aktionäre verletzt worden sei. Dies verneinte der Senat detailliert. Er stellte sodann fest, dass die Abspaltung/Ausgliederung verhältniswahrend war und es somit nicht der Zustimmung aller Aktionäre bedurfte. Ein Sonderbeschluss der stimmrechtslosen Aktionäre sei vorliegend ebenso wenig erforderlich gewesen wie ein Sonderbeschluss der Stammaktionäre. Aus der Gesetzgebungsgeschichte folge, dass der Gesetzgeber einen Beschluss der nicht stimmberechtigten Aktionäre nach § 65 Abs. 2 UmwG nicht gewollt habe. Auch aus § 141 AktG folge nicht die Notwendigkeit für einen Sonderbeschluss der Vorzugsaktionäre. Die Norm sei zwar neben § 65 Abs. 2 UmwG anwendbar, schütze die Vorzugsaktionäre aber nur gegen unmittelbare Beeinträchtigungen. Eine solche sei bei der vorliegenden Abspaltung nicht gegeben. Ein Sonderbeschluss der Stammaktionäre sei, obwohl es hier unterschiedliche Aktiengattungen gegeben habe, nicht notwendig, weil er eine Förmelei darstellen würde. Die Optionsvereinbarung sei kein Teil des Spaltungsvertrags gewesen und habe somit nicht mit dem Spaltungsvertrag ein einheitliches Rechtsgeschäft gebildet, da eine rechtliche Verknüpfung nicht bestanden habe. Letztlich wies der Senat Rügen dahin gehend, der Spaltungsbericht sei unvollständig/unrichtig, zurück.

Praxishinweis | BGH II ZR 65/19

Die vorstehende Entscheidung ist aus notarieller Sicht von großer Bedeutung:

Zunächst stellt der Senat konkludent fest, dass die Kombination von Abspaltung und Ausgliederung zulässig ist. Dies problematisiert der Senat gar nicht und es entspricht auch der h.M., dass diese Art der Kombination von Umwandlungsarten möglich ist (zur Kombination von Umwandlungsarten ausf. Heckschen, in: Widmann/Mayer, UmwR, § 1 Rz. 406.1 ff.).

Der Notar sollte angesichts der Auffassung des Senats stets darauf hinwirken, dass die Unternehmen einen Umwandlungsvertrag vollständig veröffentlichen und im Rahmen der gesetzlich vorgesehenen Offenlegungs- und Auslegungspflichten umfassend ihren Anteilseignern zur Kenntnis bringen. Im vorliegenden Fall war der Umwandlungsvertrag vorab beurkundet worden und insoweit müssen auch Urkundseingang und Anlagen komplett mit zur Kenntnis gebracht werden.

Das Fragerecht der Aktionäre, das 2020 und bis zum 28.02.2021 bei den regelmäßig durchgeführten virtuellen Hauptversammlungen keine Rolle spielte, wird die Beurkundungspraxis bei Hauptversammlungsbeschlüssen in Zukunft wieder stärker berühren. Mit dem Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Anpassung pandemiebedingter Vorschriften im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht sowie im Miet- und Pachtrecht“ v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3328) wurde auch für virtuelle Hauptversammlungen ein Fragerecht eingeführt. Inwieweit die Verletzung des Fragerechts zur Begründetheit einer Klage führt, ist derzeit noch unklar. Der Notar wird allerdings wohl auch bei virtuellen Hauptversammlungen das Begehren eines Aktionärs, der rügt, seine Fragen seien nicht beantwortet worden, in das Hauptversammlungsprotokoll aufnehmen (vgl. dazu Hauschild/Zetzsche, AG 2020, 557 [561]).

Im vorliegenden Fall befasste sich der Senat umfangreich mit dem Einwand, es seien Fragen nicht oder nicht vollständig beantwortet worden, und kommt jeweils zu dem Ergebnis, dass dieses wichtige Recht des Aktionärs nicht verletzt worden sei.

Große Bedeutung kommt den umfangreichen Darlegungen des Senats zur Thematik des Erfordernisses von Sonderbeschlüssen zu. Im vorliegenden Fall gab es neben Stammaktionären auch stimmrechtslose Vorzugsaktionäre. Es stellen sich hier eine Vielzahl von bisher weitgehend strittigen Fragen: Bedarf es eines Sonderbeschlusses der stimmrechtslosen Anteilseigner? Ist daneben ein Sonderbeschluss der Stammaktionäre erforderlich? Findet neben § 65 Abs. 2 UmwG auch § 141 AktG Anwendung? Folgt aus der Gesellschaftsrechtsrichtlinie, dass den stimmrechtslosen Vorzugsaktionären ein Zustimmungsvorbehalt zusteht? In welchem Verhältnis steht § 141 Abs. 1 AktG zu § 23 UmwG? Die Antworten des Senats sind klar: Ein Sonderbeschluss der stimmrechtslosen Aktionäre ist weder nach § 65 Abs. 2 UmwG noch nach § 141 Abs. 1 AktG erforderlich. § 141 Abs. 1 AktG ist zwar neben § 65 Abs. 2 UmwG anwendbar. Seine Anwendung wird auch nicht durch § 23 UmwG ausgeschlossen, da § 23 UmwG nur einen schuldrechtlichen Anspruch gewährt, der nicht das Recht des stimmrechtslosen Vorzugsaktionärs ausreichend kompensieren kann? Dies folge auch aus Vorgaben des europäischen Rechts. Das Recht der stimmrechtslosen Vorzugsaktionäre sei durch eine verhältniswahrende Spaltung allenfalls mittelbar beeinträchtigt. Eine solche mittelbare Beeinträchtigung reiche aber nicht aus, um eine Beschränkung der Rechte der stimmrechtslosen Vorzugsaktionäre gem. § 141 Abs. 1 AktG zu rechtfertigen und somit einen Sonderbeschluss notwendig zu machen.

Bedarf es somit eines Sonderbeschlusses der stimmrechtslosen Vorzugsaktionäre nicht, so sei es reine Förmelei, wenn man jetzt noch einen Beschluss der Stammaktionäre mit dem Argument, dass es unterschiedliche Aktiengattungen gäbe, für erforderlich erachte. Diese Aktionäre hatten ja im Rahmen des „normalen“ Zustimmungsbeschlusses bereits mit großer Mehrheit ihre Zustimmung erklärt.

In der Praxis war hier nicht selten anders verfahren worden, da die Rechtslage bisher nicht geklärt war. So wurde nicht selten von Notaren der Vorschlag gemacht, angesichts der offenen Rechtsfragen neben dem eigentlichen Zustimmungsbeschluss der Aktionäre einen Sonderbeschluss der Stammaktionäre und auch einen Beschluss der stimmrechtslosen Vorzugsaktionäre einzuholen. Dies ist in Zukunft nur noch sehr eingeschränkt notwendig. Erforderlich ist es dann, wenn durch die Umwandlungsmaßnahme die Rechte der stimmrechtslosen Vorzugsaktionäre unmittelbar beeinträchtigt werden. Einen Beschluss der Stammaktionäre ist in keinem Fall erforderlich.

Wichtig für die notarielle Praxis sind auch die Ausführungen des Senats zum Umfang der Beurkundungspflicht für den Umwandlungsvertrag (vgl. dazu ausf. Heckschen, in: Widmann/Mayer, UmwR, § 6 Rz. 19 ff.). Die Darlegungen des Senats gelten gleichermaßen für den Verschmelzungsvertrag wie für den Spaltungsvertrag. Der Senat verweist nochmals darauf, dass grundsätzlich alle Abreden der Beteiligten, die mit dem Spaltungsvertrag ein sog. „einheitliches Ganzes bilden, also mit ihm stehen und fallen sollen“, beurkundungsbedürftig sind (Rz. 73). Ein solcher Zusammenhang besteht dann, wenn das eine Geschäft nicht ohne das andere durchgeführt werden soll. Ein bloßer wirtschaftlicher Zusammenhang genüge allerdings nicht. Aus der Rechtsprechung des Senats ergebe sich, dass es grundsätzlich nicht entscheidend sei, ob die Vereinbarungen in ein oder zwei Urkunden niedergelegt seien. Werde der Wille der Beteiligten aber in zwei Urkunden niedergelegt, gäbe es einen ersten Anhaltspunkt dafür, dass ein derartiges einheitliches Rechtsgeschäft nicht vorliege (Rz. 76). Diese Vermutung müsse dann widerlegt werden. Das Berufungsgericht habe hier keine revisionsrechtlich relevanten Auslegungsfehler gemacht. Der Senat sieht sich daher daran gehindert, in die Entscheidung des Berufungsgerichts einzugreifen. Die Darlegungen in der im Übrigen sehr umfangreich begründeten Entscheidung sind hier eher kurz und der Praxis ist dringend anzuraten, prinzipiell alle Abreden, die mit dem Umwandlungsvorgang in Verbindung stehen, auch mit zu beurkunden. Macht bspw. der Gesellschafter-Geschäftsführer des Ausgangsrechtsträgers seine Zustimmung davon abhängig, dass er eine entsprechende Position mit einem entsprechenden Anstellungsvertrag auch beim Zielrechtsträger erhält, so sollte der Inhalt dieser Abreden auch Eingang in den Umwandlungsvertrag finden.

Letztlich hatte sich der Senat auch noch mit Fragen zur Informationsdichte und Klarheit der Aussagen im Spaltungsbericht zu beschäftigen. Die Einwendungen der Revision insoweit verwarf der Senat.

Im Ergebnis schafft jedenfalls hinsichtlich der Frage, wie bei Vorliegen von Stamm- und Vorzugsaktien im Rahmen der Beschlussfassung vorzugehen ist, die Entscheidung erfreuliche Klarheit. Hinsichtlich der Frage, welche Abreden im Rahmen eines Umwandlungsvertrages mit beurkundet werden müssen, ergeben sich aus der Entscheidung nur abstrakte Anwendungsregeln. Hier bleibt Rechtsunsicherheit, die im Zweifel durch eine Mitbeurkundung beseitigt werden sollte.