OLG Hamm 10 W 33/20
Kein Ausschluss des Ehegattenerbrechts nach § 1933 S. 1 BGB bei Nichtbetreiben des Scheidungsverfahrens über fast zehn Jahre

13.01.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Hamm
22.01.2021
10 W 33/20
BeckRS 2021, 4153

Leitsatz | OLG Hamm 10 W 33/20

Das Nichtbetreiben des Scheidungsverfahrens durch den Erblasser über einen Zeitraum von fast zehn Jahren ist hinsichtlich des gesetzlichen Ehegattenerbrechts wie eine Rücknahme des Scheidungsantrags zu werten, sodass § 1933 S. 1 BGB keine Anwendung findet und der überlebende Ehegatte zur gesetzlichen Erbfolge gelangt. (nichtamtl. Leitsatz)

Sachverhalt | OLG Hamm 10 W 33/20

Der Erblasser ist im Mai 2019 verstorben. Er war mit der Beteiligten zu 2 verheiratet, der Beteiligte zu 1 ist sein Bruder. Der Erblasser hinterlässt einen Nachlass im Wert von 190.000 Euro und hat kein Testament verfasst.

Die Eheleute heirateten 1995 und lebten seit Mai 2001 voneinander getrennt. Nachdem die Beteiligte zu 2 aus dem gemeinsam erworbenen Haus ausgezogen ist, erwarb der Erblasser mit Vertrag vom 15.04.2002 ihren hälftigen Miteigentumsanteil an dem Haus für 74.860 Euro. Der Erblasser beantragte im Oktober 2008 beim Familiengericht die Scheidung der Ehe. Da außergerichtliche Verhandlungen stattfanden, wurde der zunächst anberaumte Verhandlungstermin aufgehoben. Die Eheleute einigten sich die Scheidung nicht weiter zu betreiben und der Erblasser verpflichtete sich seiner Ehefrau einen Ehegattenunterhalt und die Krankenkassenkosten zu zahlen, mithin einen monatlichen Betrag von 1.200 Euro. Diesen Betrag zahlte er seiner Ehefrau bis zu seinem Tod.

Der Beteiligte zu 1 beantragte am 08.07.2019 einen Erbschein, der ihn als Alleinerben ausweist. Er trägt vor, die Beteiligte zu 2 sei wegen des Scheidungsantrags des Erblassers gemäß § 1933 BGB von der Erbfolge ausgeschlossen. Die Beteiligte zu 2 trägt vor, das Scheidungsverfahren sei vom Erblasser nicht mehr weiter betrieben worden. Das Nachlassgericht weist den Erbscheinsantrag mit Beschluss vom 23.01.2020 zurück, wogegen der Beteiligte zu 1 form- und fristgerecht Beschwerde einreicht. Das Nachlassgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 26.02.2020 nicht abgeholfen.

Entscheidung | OLG Hamm 10 W 33/20

Die zulässige Beschwerde des Beteiligten zu 1 ist unbegründet und hat daher keinen Erfolg. Mangels Testaments seitens des Erblassers, gelte die gesetzliche Erbfolge. Demnach sei der Erblasser von seinem Bruder (§ 1925 Abs. 1, 3 BGB) und seiner Ehefrau (§ 1931 BGB) zusammen beerbt worden.

Das gesetzliche Erbrecht der Ehefrau könne wegen des rechtshängig gemachten Scheidungsverfahrens gemäß § 1933 S. 1 BGB ausgeschlossen sein. Die Norm schließt das Ehegattenerbrecht aus, wenn zur Zeit des Todes des Erblassers die Voraussetzungen für die Scheidung der Ehe gegeben waren und der Erblasser die Scheidung beantragt oder ihr zugestimmt hatte. Dies beruht auf der Überlegung, dass die Beteiligung des überlebenden Ehegatten am Nachlass nicht von dem Zufall abhängig sein soll, ob der Erblasser die Rechtskraft eines eheauflösenden Urteils noch erlebt. Die Norm sei im Wege der teleologischen Reduktion hingegen dann nicht anwendbar, wenn das Scheidungsverfahren über einen längeren Zeitraum nicht weiter betrieben wurde.

Der Erblasser habe im Oktober 2008 ein Scheidungsverfahren anhängig gemacht, welches weder ausgesetzt noch formell durch eine Rücknahme des Scheidungsantrags beendet worden ist. Es wurde vielmehr vom Familiengericht wegen Nicht-Betreibens abgerechnet und die Akte weggelegt. Das Nicht-Betreiben eines anhängig gemachten Scheidungsverfahrens über einen längeren Zeitraum sei als Rücknahme des Scheidungsantrags zu behandeln, mit der Folge, dass die Voraussetzungen für einen Ausschluss des Ehegattenerbrechts nicht mehr vorlägen. Andere gerichtliche Entscheidungen geben Anhaltspunkte für die Auslegung der Norm dahingehend, was unter einem „längeren Zeitraum“ zu verstehen sein soll. Maßgeblich sind jedoch die konkreten Umstände des Einzelfalls: Der Erblasser hat das Scheidungsverfahren über einen Zeitraum von fast zehn Jahren nicht weiterverfolgt. Darüber hinaus haben sich die Eheleute noch im Jahr 2009 außergerichtlich geeinigt. Daraus lasse sich schließen, dass die Eheleute die Scheidung nicht länger gewollt haben. Auch die Zahlung des vereinbarten monatlichen Betrages an die Beteiligte zu 2 zeige, dass der Erblasser von seinem Antrag auf Scheidung endgültig Abstand genommen habe.
Das Scheidungsverfahren sei dadurch dauerhaft beendet worden, was als Rücknahme des Scheidungsantrags zu bewerten sei. Die Beteiligte zu 2 sei nicht gemäß § 1933 S. 1 BGB vom gesetzlichen Erbrecht ausgeschlossen.

Praxishinweis | OLG Hamm 10 W 33/20

Das Gericht hat, in einem Fall wie dem vorliegenden, einen weiten Auslegungsspielraum Dabei sind die konkreten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. So kann die Entscheidung des Gerichts, den Zeitraum von zehn Jahren im vorliegenden Fall als ausreichend zu bewerten, lediglich als Orientierungshilfe, nicht aber als starre Festlegung eines Zeitraums verstanden werden. Hätte der Erblasser das Scheidungsverfahren beispielsweise im Jahr 2012 noch einmal aufleben, aber nicht abgeschlossen haben, so könne die Bewertung schon anders ausfallen. Im Ergebnis sei jedoch anzuraten, das Scheidungsverfahren durch Rücknahme des Antrags zu beenden.