OLG Frankfurt 4 U 310/19
Insolvenzanfechtung von rechtsgrundlos geleisteten Dividendenzahlungen auch gegenüber gutgläubigen Aktionären

12.09.2022

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Frankfurt
25.05.2022
4 U 310/19
ZIP 2022, 1556

Leitsatz | OLG Frankfurt 4 U 310/19

Der Insolvenzverwalter kann Dividendenzahlungen an Aktionäre nach rechtskräftiger Nichtigerklärung des der Auszahlung zugrunde liegenden Gewinnverwendungsbeschlusses nach § 134 InsO anfechten. § 62 Abs. 1 S. 2 AktG steht einem entsprechenden Rückforderungsanspruch auch gegenüber gutgläubigen Aktionären nicht entgegen.

Sachverhalt | OLG Frankfurt 4 U 310/19

Der Kläger, Insolvenzverwalter über das Vermögen einer KGaA, begehrt Rückzahlung von Dividendenausschüttungen i.H.v. insg. 20.250,00 €, die die Beklagte für die Geschäftsjahre 2009 bis 2012 aufgrund eines jeweils im Folgejahr gefassten Gewinnverwendungsbeschlusses erhalten hat. Die Jahresabschlüsse 2009 bis 2012 wiesen jeweils hohe Gewinne aus.

Die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 01.04.2014 erstellten neuen Jahresabschlüsse wiesen für die Jahre 2009 bis 2012 Jahresfehlbeträge und Bilanzverluste in mehrstelliger Millionenhöhe aus.
Der Insolvenzverwalter macht deshalb Ansprüche gem. § 134 InsO aus den Dividendenzahlungen gegen die Beklagte, eine Aktionärin der Insolvenzschuldnerin, geltend. Das LG hat die Klage abgewiesen.

Entscheidung | OLG Frankfurt 4 U 310/19

Die Berufung ist zulässig und hat in der Sache weitestgehend Erfolg. Der Kläger hat einen Anspruch auf Rückzahlung der von der Beklagten erhaltenen Dividendenausschüttungen. Die Auszahlungen sind nach §§ 129, 134 InsO anfechtbar. Sie stellen eine unentgeltliche Leistung i.S.d. § 134 Abs. 1 InsO dar.

In einem Zwei-Personen-Verhältnis ist eine Leistung als unentgeltlich anzusehen, wenn ein Vermögenswert des Verfügenden zugunsten einer anderen Person aufgegeben wird, ohne dass dem Verfügenden ein entsprechender Vermögenswert vereinbarungsgemäß zufließen soll. Entgeltlich ist dagegen eine Verfügung, wenn der Schuldner für seine Leistung etwas erhalten hat, was objektiv ein Ausgleich für seine Leistung war oder jedenfalls subjektiv nach dem Willen der Beteiligten sein sollte. Dementsprechend ist die Auszahlung von Gewinnanteilen, auf die ein Gesellschafter einen Anspruch hatte, als entgeltlich anzusehen, da sie die Gegenleistung für die Zurverfügungstellung des entsprechenden Kapitals darstellt. Im Umkehrschluss ist grundsätzlich eine unentgeltliche Leistung anzunehmen, wenn die maßgeblichen vertraglichen oder gesetzlichen Voraussetzungen für die Auszahlung nicht gegeben sind.

Die gesetzlichen Voraussetzungen der Dividendenausschüttungen waren hier nicht gegeben. Die Auszahlungen erfolgten zwar formal auf Grundlage eines in der Hauptversammlung gefassten Gewinnverwendungsbeschlusses gem. § 174 AktG, dem seinerseits der jeweilige Jahresabschluss zugrunde lag. Die Gewinnverwendungsbeschlüsse für die Jahre 2009 bis 2012 sind jedoch nichtig. Für die Jahre 2009, 2010 und 2012 wurde dies durch rechtskräftiges Urteil des LG Leipzig, für das Jahr 2012 durch rechtskräftiges Urteil des OLG Dresden festgestellt. Durch die Nichtigkeit wurde der Dividendenanspruch rückwirkend vernichtet, sodass die Beklagte die Dividenden ohne Rechtsgrund erhalten hat.

Nicht notwendig ist es, dass die den für nichtig erklärten Gewinnverwendungsbeschlüssen zugrunde liegenden Jahresabschlüsse für nichtig erklärt werden. Das ist hier lediglich hinsichtlich der Jahresabschlüsse für 2011 und 2012 geschehen. Erst durch den Gewinnverwendungsbeschluss wandelt sich das Recht auf Gewinnbeteiligung aus § 58 Abs. 4 AktG in einen Zahlungsanspruch. Auch wenn die Jahresabschlüsse für 2009 und 2010 nicht für nichtig erklärt werden würden, ergäbe sich aus ihnen noch kein materiell-rechtlicher Anspruch auf Auszahlung der Dividenden.

Bei rechtsgrundlosen Leistungen kann die Minderung des Schuldnervermögens dadurch kompensiert werden, dass ein auf Rückgabe gerichteter Bereicherungsanspruch in das Vermögen des Schuldners gelangt, sodass keine Unentgeltlichkeit vorliegt. Das ist hier nicht der Fall. Zwar haben nach § 62 Abs. 1 S. 1 AktG, der nach § 278 Abs. 3 AktG auch für die hier vorliegende KGaA gilt, Aktionäre, die entgegen den Vorschriften des AktG Leistungen von der Gesellschaft empfangen haben, diese an die Gesellschaft zurückzugewähren. Allerdings besteht ein derartiger Anspruch nach § 62 Abs. 1 S. 2 AktG im Falle des Bezuges von Gewinnanteilen nur dann, wenn die Aktionäre wussten oder hätten wissen müssen, dass sie zum Bezug nicht berechtigt waren. Im vorliegenden Fall hatte die Beklagte unstreitig keine Kenntnis von der Nichtigkeit der den Dividendenzahlungen zugrundeliegenden Jahresabschlüsse und Gewinnverwendungsbeschlüsse. Auch eine grob fahrlässige Unkenntnis ist nicht ersichtlich. Daher ist sie nach § 62 Abs. 1 S. 2 AktG nicht zur Rückzahlung verpflichtet und fällt ein solcher Rückzahlungsanspruch nicht in das Vermögen der Schuldnerin.

Ob Ansprüche aus §§ 812 ff. BGB neben § 62 AktG in Betracht kommen ist umstritten. Nach der h.M. verdrängt § 62 AktG als spezialgesetzliche Norm die Ansprüche aus §§ 812 ff. BGB.
§ 62 Abs. 1 S. 2 AktG steht der Anfechtung nach § 134 InsO nicht entgegen. Das Verhältnis von § 62 Abs. 1 S. 2 AktG zu § 134 InsO ist umstritten. Der Senat folgt der Auffassung, wonach § 62 Abs. 1 S. 2 AktG einer Anfechtung nach § 134 InsO nicht entgegensteht. Der Vergleich der Gegenauffassung mit § 31 Abs. 2 GmbHG erschein bereits deshalb nicht tragfähig, da sich § 31 Abs. 2 GmbHG nicht auf die Insolvenzsituation bezieht, sondern auf einen Zeitpunkt im Vorfeld. Auch aus dem Normzweck des § 62 Abs. 1 S. 2 AktG folgt keine weitergehende insolvenzrechtliche Privilegierung des gutgläubigen Aktionärs. Dessen finanzielle Interesse müssen im Falle der Insolvenz hinter die Gläubigerinteressen zurücktreten.

Praxishinweis | OLG Frankfurt 4 U 310/19

Die vorliegend entscheidungserhebliche Frage, ob rechtsgrundlos geleistete Dividendenzahlungen im Insolvenzfall auch von gutgläubigen Aktionären nach den Grundsätzen der Insolvenzanfechtung zurückgefordert werden können, oder ob die Vorschrift des § 62 Abs. 1 Satz 2 AktG dem insolvenzrechtlichen Gläubigerschutz vorgeht, ist höchstrichterlich noch nicht entschieden. Daher hat das OLG Frankfurt vorliegend die Revision zugelassen.