EuGH C-617/20
Grenzüberschreitende Erbschaft: Erbschaftsausschlagung muss nationalen Formerfordernissen genügen

07.12.2022

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

EuGH
02.06.2022
C-617/20
ZEV 2022, 521

Leitsatz | EuGH C-617/20

Die Art. 13 und 28 EuErbVO sind dahin auszulegen, dass eine von einem Erben vor einem Gericht des Mitgliedstaats seines gewöhnlichen Aufenthalts abgegebene Erklärung über die Ausschlagung der Erbschaft als hinsichtlich ihrer Form wirksam gilt, wenn die vor diesem Gericht geltenden Formerfordernisse eingehalten worden sind, ohne dass es für diese Wirksamkeit erforderlich wäre, dass sie die Formerfordernisse erfüllt, die nach dem auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Recht beachtet werden müssen. (n. amtl. Ls.)

Sachverhalt | EuGH C-617/20

Der Erblasser war niederländischer Staatsangehöriger mit letztem gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, wo er im Mai 2018 verstarb. Die ebenfalls in Deutschland wohnhafte Ehefrau beantragte bei dem zuständigen Nachlassgericht Bremen die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins ausweislich dessen der Erblasser in gesetzlicher Erbfolge durch sie zu 3/4 und von seinen beiden Neffen, die in den Niederlanden wohnten, zu jeweils 1/8 beerbt wurde. Die Neffen gaben daraufhin nach niederländischem Recht bei dem zuständigen Bezirksgericht eine Erklärung über die Ausschlagung der Erbschaft ab. Dies wurde nach niederländischer Vorschrift in einem Nachlassregister eingetragen. Das AG Bremen wurde hierüber formlos und in niederländischer Sprache informiert. Dieses teilte den Neffen mit, dass die Erklärung mangels Übersetzung in die deutsche Sprache nicht berücksichtigt werden könne und erteilte daher den Erbschein unter Berücksichtigung der Neffen. Diese wandten sich mit einer Beschwerde gegen diesen Beschluss. Das Nachlassgericht wies die Beschwerde mit der Begründung zurück, die Erbschaft sei nicht fristgerecht ausgeschlagen worden, die Original-Urkunden der Ausschlagungserklärungen nicht bzw. erst nach Ablauf der sechsmonatigen Ausschlagungsfrist nach § § 1944 Abs. 3 BGB vorgelegt worden.

Entscheidung | EuGH C-617/20

Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens legte das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG) den Fall dem EuGH mit der Frage vor, ob für die form- und fristgerechte Ausschlagung einer Erbschaft auf das Recht des Mitgliedstaats des gewöhnlichen Aufenthalts des Erben oder auf das des Erblassers abzustellen ist.

Der EuGH entschied in Auslegung der einschlägigen Art. 13 und 28 EuErbVO, dass im Sinne einer Vereinheitlichung des europäischen Rechts innerhalb der Mitgliedstaaten eine von einem Erben vor einem Gericht seines gewöhnlichen Aufenthalts abgegebene Erklärung über die Ausschlagung einer Erbschaft als formwirksam gilt, wenn die vor diesem Gericht geltenden Erfordernisse eingehalten werden. Es ist für die Wirksamkeit der Erklärung nicht erforderlich, dass die Formerfordernisse erfüllt werden, die in dem Mitgliedstaat des Erblassers beachtet werden müssen.

Der EuGH stützt sich hierbei auf die mit der EuErbVO verfolgten Ziele, die Vereinfachung der Amtswege der Erben, die effektive Rechtsausübung und im Ergebnis das reibungslose Funktionieren des EU-Binnenmarkts:

In den Erwägungsgründen der EuErbVO wird hervorgehoben, dass Erben in der Lage sein sollen, ihren Status und/oder ihre Rechte und Befugnisse in einem anderen Mitgliedsstaat einfach nachzuweisen. Dies werde nur gewährleistet, wenn der Erbe nach wirksamer Ausschlagungserklärung in seinem Mitgliedsstaat, nicht auch noch zusätzlich die Förmlichkeiten des anderen Mitgliedsstaats einhalten müsse. Dies gelte mangels einer einheitlichen Regelung im Unionsrecht auch für die Frage der (rechtzeitigen) Übermittlung der Ausschlagungserklärung an das für den Erbfall zuständige Gericht. Es bestehe keine Pflicht zur Übermittlung. Es obliege dem ausschlagenden Erben lediglich, das für die Rechtsnachfolge von Todes wegen zuständige Gericht darüber zu informieren, dass er eine nach den Vorschriften seines Mitgliedsstaats wirksame Ausschlagungserklärung abgegeben habe. Die Wirksamkeit der Ausschlagungserklärung könne dabei nicht von der Einhaltung von Fristen nach der für den Erbfall anwendbaren Rechtsordnung abhängig gemacht werden.

Im zu entscheidenden Fall hatte das Nachlassgerichts schon vor seiner Entscheidung über den Erbscheinsantrag Kenntnis davon erlangt, dass die Neffen vor einem niederländischen Gericht und unter Einhaltung der nach dieser Rechtsordnung geltenden Formerfordernisse eine damit dort wirksame Ausschlagungserklärung abgegeben hatten. Dies hätte berücksichtigt werden müssen.

Praxishinweis | EuGH C-617/20

Diese Entscheidung des EuGH ist im Sinne der Vereinfachung einer grenzüberschreitenden Erbschaftsabwicklung zu begrüßen und wohl auch im deutschen Schrifttum herrschende Meinung. Dies gilt vor allem deshalb, weil es eine steigende Tendenz von Fällen mit Bezug zu anderen Mitgliedsstaaten gibt. Trotzdem werden Rechtsunsicherheiten aufgeworfen, so z.B. wenn die ausschlagenden Erben der „Soll-Vorschrift“ zur Information des für den Erbfall zuständigen Nachlassgerichts erst erheblich verspätet nachkommen.