BGH IX ZR 201/20
Gläubigerbenachteiligung durch Verwertung einer Gesellschaftssicherheit zur Befriedigung der Forderung eines Dritten bei ebenfalls sicherheitsleistendem Gesellschafter

20.01.2023

Leitsatz | BGH IX ZR 201/20

  1. Hat der Gesellschafter für eine Forderung eines Dritten auf Rückgewähr eines Darlehens eine Sicherheit bestellt oder eine Bürgschaft übernommen, benachteiligt die Befriedigung des Dritten aus der Verwertung einer Gesellschaftssicherheit die Gläubiger auch dann, wenn der Dritte zum Zeitpunkt der Befriedigung seiner Forderung den Gesellschafter nicht mehr aus der Gesellschaftersicherheit hätte in Anspruch nehmen können. Dies gilt ebenso, wenn der Anspruch aus der Bürgschaft bereits verjährt gewesen ist. (1. Leitsatz des Gerichts).
  2. Erhöht sich die Forderung des Dritten – etwa aufgrund laufender Zinsen – nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und erhält der Dritte hierfür eine Befriedigung aus der Verwertung einer Gesellschaftssicherheit, umfasst der Anfechtungsanspruch gegen den Gesellschafter auch die erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandenen Ansprüche des Dritten, wenn sich sowohl die Gesellschaftssicherheit als auch die Gesellschaftersicherheit auf diese Ansprüche erstrecken. (2. Leitsatz des Gerichts).
  3. Verwertet der Insolvenzverwalter eine Gesellschaftssicherheit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zugunsten einer Forderung eines Dritten auf Rückgewähr eines Darlehens, für die der Gesellschafter eine Sicherheit bestellt hat, beginnt die Verjährung des Anfechtungsanspruchs gegen den Gesellschafter frühestens mit der Befriedigung des Dritten. (3. Leitsatz des Gerichts)

Sachverhalt | BGH IX ZR 201/20

Der Alleingesellschafter der insolventen Schuldner-GmbH wird vom Insolvenzverwalter auf Zahlung an die Insolvenzmasse aufgrund Freiwerdens von Sicherheiten aufgrund Verwertung einer Gesellschaftssicherheit während des Insolvenzeröffnungsverfahrens und kurz nach Verfahrenseröffnung in Anspruch genommen.

Die darlehensgebende Bank war doppelt besichert. Einerseits durch eine Globalzession der Schuldnerin und andererseits durch eine Höchstbetragsbürgschaft des beklagten Alleingesellschafters.

Die Bank hatte den Alleingesellschafter in den Jahren 2012 und 2013 in Höhe von ca. 140.000 EUR erfolgreich in Anspruch genommen. Der Insolvenzverwalter konnte zwischen Mai 2012 und Juli 2013 aus den der Globalzession zugrunde liegenden Forderungen Erlöse in Höhe von ca. 30.000 generieren. Diese Zahlungen reichte er im Mai 2018 an die Bank weiter. Der Insolvenzverwalter nahm den Alleingesellschafter auf Zahlung dieses Betrags nach § 135 Abs. 2 InsO in Anspruch.

Das Landgericht wies die Klage ab. Das Oberlandesgericht dagegen verurteilte den Beklagten auf die Berufung des Verwalters zur Zahlung.

Entscheidung | BGH IX ZR 201/20

Die Revision zum BGH bleibt erfolglos. Der Anspruch aus §§ 142 Abs. 3 analog, 135 Abs. 2 InsO besteht. Die entsprechende Anwendung von § 143 Abs. 3 InsO folgt daraus, dass die anfechtbare Rechtshandlung erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen wurde.

Gemäß § 135 Abs. 1 InsO ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die für die Forderung eines Gesellschafters auf Rückgewähr eines Darlehens i.S.d. § 39 Abs. 1 Nr. 5 oder für eine gleichgestellte Forderung

  • Sicherung gewährt hat (§ 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO; Anfechtungsfrist: 10 Jahre), oder
  • Befriedigung gewährt hat (§ 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO; Anfechtungsfrist: 1 Jahr).

Anfechtbar ist gemäß § 135 Abs. 2 Hs. 1 InsO daneben auch eine Rechtshandlung, mit der eine Gesellschaft einem Dritten für eine Forderung auf Rückgewähr eines Darlehens innerhalb der in Absatz 1 Nr. 2 genannten Fristen Befriedigung gewährt hat, wenn ein Gesellschafter für die Forderung eine Sicherheit bestellt hatte oder als Bürge haftete.

Während sich die in den letzten Jahren diskutierten Entscheidungen des IX. Zivilsenats zum Gesellschafterdarlehensrecht überwiegend mit der Klärung der sachlichen und personellen Erstreckung des Anwendungsbereichs von §§ 39 Abs. 1 Nr. 5, 135 InsO beschäftigt haben, ging es vorliegend zunächst um die Frage, ob die nach der Grundnorm des Anfechtungsrechts, § 129 InsO stets erforderliche Gläubigernachbeteiligung vorliegt (Rn. 11 ff.).

Wird ein durch einen Gesellschafter besichertes Darlehen aus Mitteln der Gesellschaft getilgt, bestehe die Gläubigerbenachteiligung darin, dass der Gesellschafter im Verhältnis zur Gesellschaft zur vorrangigen Befriedigung der von ihm besicherten Verbindlichkeit verpflichtet sei. Bis zur Entscheidung des BGH war umstritten, ob eine Anfechtung nach § 135 Abs. 2 InsO auch dann möglich ist, wenn die Befreiung des Gesellschafters von der Sicherheit auf andere Art als durch Leistung des Gesellschafters erfolgt. Im entschiedenen Fall ging es um die Verjährung des Anspruchs aus der Bürgschaft. Der IX. Zivilsenat bejaht die Anfechtbarkeit. Für die Anfechtung nach § 135 Abs. 2 InsO sei es unschädlich, wenn die Befreiung des Gesellschafters von seiner Sicherheit auf andere Weise als durch Befriedigung erfolgt. Es sei unerheblich, ob der Darlehensgeber zum Zeitpunkt seiner Befriedigung materiell-rechtlich noch in der Lage war, seine Gesellschaftersicherheit zu verjähren. Die Gläubigerbenachteiligung scheidet nach Ansicht des BGH daher dann nicht aus, wenn der Anspruch aus der Bürgschaft bereits verjährt ist (vorliegend mit Ablauf des Jahres 2017).

Der zweite Leitsatz befasst sich mit der aufgrund Zinsen angewachsenen Forderung gegen den Gesellschafter (Rn .27 ff.). Der Anspruch aus § 143 Abs. 3 InsO (analog) erstreckt sich nach dem IX. Zivilsenat auch auf eine Zinsforderung, bei der es sich nach § 169 InsO bezüglich einer verzögerten Verwertung der Gesellschaftssicherheit um eine Masseverbindlichkeit handelt. Denn für den Anspruch sei es unerheblich, aus welchen Umständen sich die Höhe der dem Dritten zustehenden Darlehensforderung ergibt. Gleichgültig ist nach Ansicht des BGH, ob die gesicherte Forderung des Darlehensgläubigers bei einer früheren Befriedigung aus der von der Schuldnerin gestellten Sicherheit niedriger gewesen wäre.

Praxishinweis | BGH IX ZR 201/20

Die Entscheidung dürfte bei potenziellen Gegnern von Ansprüchen aus §§ 143 Abs. 2, 135 Abs. 2 InsO auf wenig Gegenliebe stoßen. Sie konturiert die Anfechtung aus § 135 Abs. 2 InsO gleich in mehreren Punkten zu Lasten der Gesellschafter und macht einmal mehr deutlich, dass die Beratungspraxis das Recht der Gesellschafterdarlehen im Blick behalten muss. Besonders bemerkenswert und für insolvenzrechtliche Laien wenig verständlich dürfte sein, dass der Insolvenzverwalter es nach der vorliegenden Entscheidung selbst in der Hand hat, die Forderung gegen den Gesellschafter durch Zeitablauf und den damit verbundenen Zinsen anwachsen zu lassen.