BGH IX ZR 70/20
Gläubigeranfechtung: Vormerkungsschutz in Insolvenz bei unentgeltlichem Grundgeschäft

12.07.2021

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
25.03.2021
IX ZR 70/20
ZIP 2021, 967

Leitsatz | BGH IX ZR 70/20

  1. Die Rechtshandlung gilt, sofern die übrigen Wirksamkeitsvoraussetzungen für die Eintragung der Vormerkung erfüllt sind, auch dann mit dem Zeitpunkt der Antragstellung als vorgenommen, wenn mit der Vormerkung lediglich ein künftiger, auf einem unentgeltlichen Grundgeschäft beruhender Auflassungsanspruch gesichert wird (1. Leitsatz des Gerichts).
  2. Hat der Schuldner dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung früher als vier Jahre vor der Anfechtung gewährt, kann diese der Vorsatzanfechtung unterliegen, wenn  der Schuldner das Grundgeschäft mit dem dem anderen Teil bekannten Vorsatz vorgenommen hat, seine Gläubiger zu benachteiligen (2. Leitsatz des Gerichts).

 

Sachverhalt | BGH IX ZR 70/20

Die Kläger sind die Eltern des Schuldners. Der Schuldner war Eigentümer eines Grundstücks. Der Schuldner unterbreitete den Klägern mit notarieller Urkunde vom 13.11.2012 ein unbefristetes und unwiderrufliches Kaufvertragsangebot hinsichtlich des Hausgrundstücks.

Gleichzeitig bewilligte und beantragte er die Eintragung einer Auflassungsvormerkung zugunsten der Kläger. Die Eintragung der Vormerkung erfolgte am 20.11.2012. Die Kläger nahmen das Kaufvertragsangebot des Schuldners mit Urkunde vom 18.12.2014 an.

Die Beklagten haben gegen den Schuldner (durch rechtskräftiges Urteil vom 7.10.2024 titulierte) Zahlungsansprüche in Höhe von ca. 233.000 EUR. Am 16.2.2015 beantragten die Beklagten (nach erfolgter Vermögensauskunft des Schuldners) die Eintragung von Zwangssicherungshypotheken auf dem Grundstück des Schuldners. Die Eintragung erfolgte am 28.4.2015. Die Kläger wurden am 21.10.2015 als Eigentümer im Grundbuch eingetragen.

Die Kläger nahmen die Beklagten auf Bewilligung der Löschung der Zwangssicherungshypotheken in Anspruch. Widerklagend erklärten die Beklagten die Anfechtung der Auflassungsvormerkung sowie der Auflassung und stützen sich dabei auf § 3 Abs. 1 AnfG und § 4 Abs. 1 AnfG.

Das LG hat der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Das Berufungsgericht wies die Klage ab und gab der Widerklage im Wesentlichen statt.

 

Entscheidung | BGH IX ZR 70/20

Die Revision zum BGH hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Berufungsurteils und (mangels Entscheidungsreife) zur Zurückverweisung an das Berufungsgericht.

Den Klägern stehe ein Anspruch auf Zustimmung zur Löschung der Zwangssicherungshypothek nach § 883 Abs. 2, § 888 Abs. 1 BGB zu. Dem Anspruch stehe § 9 AnfG jedoch nicht entgegen. Danach kann die Anfechtbarkeit im Wege der Einrede geltend gemacht werden, bevor ein vollstreckbarer Schuldtitel für die Forderung erlangt ist (§ 9 Hs. 1 AnfG). Der Gläubiger hat diesen gemäß § 9 Hs. 2 AnfG vor der Entscheidung binnen einer vom Gericht zu bestimmenden Frist beizubringen.

Die Anfechtung gemäß § 4 Abs. 1 AnfG (Schenkungsanfechtung), auf die sich das Berufungsgericht ausschließlich gestützt hat (eine Anfechtung nach § 3 Abs. 1 AnfG lies es ausdrücklich offen), ist nach Ansicht des IX. Zivilsenats bereits deshalb ausgeschlossen, weil die Anfechtung der Beklagten außerhalb der Vierjahresfrist erfolgt sei. Der nach § 8 Abs. 2 Satz 2 AnfG maßgebliche Zeitpunkt sei entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht der Zeitpunkt der Auflassung (18.12.2014), sondern spätestens derjenige der Eintragung der Vormerkung (20.11.2012).

Gemäß § 8 Abs. 1 AnfG gilt eine Rechtshandlung als in dem Zeitpunkt vorgenommen, in dem ihre rechtlichen Wirkungen eintreten. Ist für das Wirksamwerden eines Rechtsgeschäfts eine Eintragung in einem Register erforderlich, so gilt das Rechtsgeschäft gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 AnfG als vorgenommen, sobald die übrigen Voraussetzungen für das Wirksamwerden erfüllt sind, die Willenserklärung des Schuldners für ihn bindend geworden ist und der andere Teil den Antrag auf Eintragung der Eintragung der Rechtsänderung gestellt hat. Nach § 8 Abs. 2 Satz 2 AnfG genügt für den Eintritt der in Satz 1 beschriebenen Wirkung bereits der Antrag auf Eintragung einer Vormerkung. Eine bindende Auflassungserklärung sei für die Vorverlagerung gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2 AnfG gerade nicht erforderlich.

Allerdings setzt sie voraus, dass auch die übrigen Wirksamkeitsvoraussetzungen für die Eintragung der Vormerkung gegeben sind. Angesichts des Grundsatzes der strengen Akzessorietät sei daher das Bestehen eines zu sichernden schuldrechtlichen Anspruchs auf eine eintragungsfähig dingliche Rechtsänderung notwendig. Nach Ansicht des IX. Zivilsenats stehe es der Anwendbarkeit des § 8 Abs. 2 Satz 2 AnfG nicht entgegen, dass durch die Vormerkung lediglich ein künftiger Anspruch gesichert wird. Voraussetzung sei allerdings (analog zur ganz h.M. zur Parallelvorschrift des § 140 Abs. 2 Satz 2 InsO), dass der „Rechtsboden für seine Entstehung soweit vorbereitet ist, dass die Entstehung des Anspruchs nur noch vom Willen des künftigen Anspruchsinhabers abhängt“. Die danach erforderliche sichere Rechtsstellung haben die Kläger spätestens mit Eintragung der Vormerkung am 20.11.2012 erlangt.

Der vom Berufungsgericht vorgenommene teleologische Reduktion von § 8 Abs. 2 AnfG für den Fall, dass der Auflassungsvormerkung ein unentgeltliches Geschäft zugrunde liegt (maßgeblich wäre danach nicht der Zeitpunkt des Antrags auf Eintragung der Vormerkung, sondern frühestens der Zeitpunkt der Auflassung), erteilt der IX. Zivilsenat eine Absage. Neben dem klaren Wortlaut des § 8 Abs. 2 Satz 2 AnfG (der nicht nach dem Rechtsgrund der Vormerkung differenziere) sprechen hiergegen insbesondere Sinn und Zweck des § 8 AnfG: Diese Regelung folge ebenso wie § 140 InsO ausnahmslos dem Rechtsgedanken, dass sich der Vornahme- und Wirkungszeitpunkt einer angefochtenen Rechtshandlung danach bestimmt, wann der Anfechtungsgegner durch sie eine gesicherte Rechtsstellung erlangt hat, die im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens beachtet werden müsste. Mit diesem Rechtsgedanken stehe § 8 Abs. 2 Satz 2 AnfG im Einklang, weil ein vormerkungsgesicherter Anspruch grundsätzlich gemäß § 106 Abs. 1 InsO insolvenzfest ist. Auf den Entstehungszeitpunkt komme es für den Insolvenzschutz des § 106 Abs. 1 InsO nicht an. Die Sicherungswirkung könne zwar erst nach der Entstehung des Anspruchs geltend gemacht werden, dann jedoch mit Rückwirkung ab Eintragung der Vormerkung. Anders als das Berufungsgericht meint, hängt die Schutzwirkung des § 106 Abs. 1 InsO nach Ansicht des IX. Zivilsenats nicht vom Rechtsgrund der gesicherten Forderung ab. Nach einer starken (auch vom letzten Vorsitzenden des IX. Zivilsenats, Prof. Dr. Godehard Kayser vertretenen) Literaturansicht gilt der Vormerkungsschutz des § 106 Abs. 1 InsO nicht bei unentgeltlichen Grundgeschäften. Dieser Ansicht hatte sich das Berufungsgericht angeschlossen. Der IX. Zivilsenat erteilt dieser Ansicht nun eine Absage und hält damit an dem Grundsatz fest, dass aus der Vormerkungsfähigkeit eines Anspruchs nach § 883 Abs. 1 BGB dessen Insolvenzfestigkeit nach § 106 Abs. 1 InsO folgt.

Der BGH verweist die Sache an das Berufungsgericht zur Klärung der ebenfalls erklärten (und nicht bereits aus Rechtsgründen ausgeschlossenen) Anfechtung nach § 3 Abs. 1 AnfG (Vorsatzanfechtung) zurück. Der Anwendungsbereich des § 3 Abs. 1 AnfG sei trotz der Verkürzung der Anfechtungsfrist für die Gewährung von Sicherungen gemäß § 3 Abs. 2 AnfG jedenfalls dann eröffnet, wenn das der angefochtenen Leistung zugrundeliegende Grundgeschäft die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung nach § 3 Abs. 1 AnfG erfüllt. Daher könne die verkürzte Frist des § 3 Abs. 2 AnfG der Anfechtung nicht entgegengehalten und die Anfechtbarkeit der Grundstücksübertragung nach § 3 Abs. 1 AnfG nicht ausgeschlossen werden.

Praxishinweis | BGH IX ZR 70/20

Entgegen der wohl herrschenden Meinung und dem Berufungsgericht stellt der BGH klar, dass der Vormerkungsschutz des § 106 Abs. 1 InsO unabhängig davon gilt, ob der durch Vormerkung zu sichernde Anspruch aus einem unentgeltlichen Grundgeschäft folgt. Es bleibt also beim Grundsatz, dass aus der Vormerkungsfähigkeit eines Anspruchs nach § 883 Abs. 1 BGB dessen Insolvenzfestigkeit nach § 106 Abs. 1 InsO folgt.

Für die Gestaltungspraxis handelt es sich um eine wertvolle Erkenntnis, weil nun geklärt ist, dass auch im Rahmen (unentgeltlicher) Übertragungsverträge die Anfechtungsfrist sowohl nach dem AnfG als auch nach der InsO bereits in dem Moment zu laufen beginnen, in dem  der Antrag auf Eintragung der Auflassungsvormerkung (auch für einen künftigen Anspruch auf Übertragung des Eigentums an einem Grundstück) gestellt ist.