OLG München 7 W 718/21
Einstweiliger Rechtsschutz für Gesellschafter nach Einziehung seines Geschäftsanteils auf Einreichung einer die vorherige Beteiligung abbildenden Gesellschafterliste

07.07.2021

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG München
18.05.2021
7 W 718/21
ZIP 2021, 1266

Leitsatz | OLG München 7 W 718/21

  1. Ein Gesellschafter dessen GmbH-Anteil eingezogen worden ist, kann nach Einreichung einer ihn nicht mehr als Gesellschafter ausweisenden Gesellschafterliste zum Handelsregister im einstweiligen Rechtsschutz von der Gesellschaft verlangen, dass diese eine korrigierte Gesellschafterliste zum Register einreicht, die die ursprünglichen Beteiligungsverhältnisse abbildet. Hierfür muss die Rechtswidrigkeit der Einziehung lediglich überwiegend wahrscheinlich sein.
  2. Wichtige Gründe für die Einziehung verlieren mit zunehmendem Zeitablauf an Gewicht.

 

Sachverhalt | OLG München 7 W 718/21

Die Antragstellerin ist Gründungsgesellschafterin der Antragsgegnerin (eines Startups). Am 22.06.2020 erfolgte in einer Finanzierungsrunde der Abschluss eines Investment and Shareholder´s Agreement vom 22.06.2020 (ISA) und eine Neufassung der Satzung. Im Folgenden hielt die Antragstellerin einen Anteil von 12,7% des Stammkapitels an der Antragsgegnerin (9.602 Anteile zu 1 Euro). Geschäftsführer der Antragsgegnerin (GF)war der Geschäftsführer der Antragstellerin.

Die neugefasste Satzung beinhaltete die Möglichkeit zur Einziehung der Geschäftsanteile ohne Zustimmung des Betroffenen, wenn ein den Ausschluss des Gesellschafters rechtfertigender wichtiger Grund in der Person oder im Verhalten des Gesellschafters vorliege. Die Einziehung werde mit Beschlussfassung wirksam, wenn der Gesellschafter bei der Beschlussfassung über die Einziehung anwesend sei. Das Stimmrecht des betroffenen Gesellschafters sollte nach der Satzung „bis zur endgültigen Wirksamkeit der Einziehung“ ruhen.

Nach Einschätzung der neuen Investorin wies der GF nicht die notwendige Fachkompetenz und Erfahrung auf, um den nunmehr erhöhten Anforderungen an den Produktvertrieb zu genügen. Der GF lud daraufhin über 8.000 sensible Firmendaten (auch Geschäftsgeheimnisse) auf einen Laptop der Antragsgegnerin sowie ein weiteres Speichermedium herunter, da er mit rechtlichen Streitigkeiten und einer Sperrung seines Firmenzugangs rechnete. Aus diesem Grund beschloss die Antragsgegnerin in der Gesellschafterversammlung vom 11.08.2020 die Abberufung des GF und kündigte seinen GF-Anstellungsvertrag fristlos. Der GF gab den Laptop und das Speichermedium zurück und erklärte mittels Versicherung an Eides statt, dass er nur noch auf 200 konkret benannte passwortgeschützt gespeicherte Dokumente in einer Cloud der Antragstellerin Zugriff habe.

In der Folge verhandelten die Antragsgegnerin und Antragstellerin über den Abkauf der Geschäftsanteile der Antragstellerin. Auf entsprechenden Gesellschafterversammlungen wurde über die Möglichkeit der Einziehung der Geschäftsanteile und die Möglichkeit der Ausübung einer Call-Option Bad Leaver aus dem ISA abgestimmt. Die Bad Leaver Call-Option beinhaltete die Regelung, dass jede Gründungsgesellschaft 3.360 Anteile nebst der Zero Shares an die übrigen Gesellschafter übertrage, wenn ein Bad Leaver Ereignis eintrete und weitere bestimmte Voraussetzungen vorlägen (Erklärung, Form und Frist nach Kenntnis). Als Bad Leaver Ereignisse sollten „jedwede Beendigung des Beratungs-, Arbeits- und/oder Dienstverhältnisses des jeweiligen Gründers (…) oder dessen Abberufung als Geschäftsführer, wobei die Kündigung oder Abberufung aus wichtigem Grund (oder unter Umständen, die einen wichtigen Grund darstellen), auch iSv § 626 BGB, erklärt oder vorgenommen oder vereinbart wird“ gelten. Wegen der geführten Vergleichsverhandlung sind die jeweils geplanten Gesellschafterversammlungen abgesagt worden.

In der dann am 21.10.2020 stattfindenden Gesellschafterversammlung der Antragsgegnerin ist der Ausübung der Call-Option zugestimmt worden. Die Vergleichsgespräche scheiterten spätestens am 23.12.2020, sodass mit notarieller Urkunde vom 21.01.2021 von der Call-Option Gebrauch gemacht worden ist. Falls die Ausübung wirksam sei, hielt die Antragstellerin nunmehr nur noch 5.040 Geschäftsanteile an der Antragsgegnerin. Am 23.03.2021 beschloss die Antragsgegnerin zudem die Einziehung der übrigen Geschäftsanteile. Gegen den Gesellschafterbeschluss vom 23.03.2021 wendet sich die Antragstellerin mit einem Antrag auf einstweilige Verfügung, die Antragsgegnerin zu verpflichten (Wiedergabe im Folgenden sinngemäß und verkürzt),

    1) die Antragstellerin bis zur Klärung der Beschlusswirksamkeit in der Hauptsache als Gesellschafterin mit allen Rechten und Pflichten zu behandeln (…)
    2) eine korrigierte Gesellschafterliste zum Handelsregister zu reichen, die die Antragstellerin als Gesellschafterin mit einem Geschäftsanteil von 5.040 Anteilen ausweist (…)
    3) Ordnungsgeld bei Zuwiderhandlung (…)

Das LG lehnte den Erlass ab. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin.

 

Entscheidung | OLG München 7 W 718/21

Hinsichtlich der hier maßgeblichen Anträge zu 1) und 2) hat die Beschwerde Erfolg.

Als Maßstab für die Glaubhaftmachung sei ausreichend, dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Rechtswidrigkeit des Einziehungsbeschlusses vorliege. Nicht erforderlich sei, dass die Rechtslage eindeutig sein müsse, da der einstweilige Rechtsschutz dann im Regelfall leerliefe. Dem Gesellschafter müsse ein effektives Rechtsmittel zur Verfügung stehen, seine materiellen Positionen mit Blick auf die positive und negative Legitimationswirkung der Gesellschafterliste (§ 16 Abs. 1 GmbHG) als status quo ante zu sichern, insbesondere dann, wenn die Gesellschaft vor Rechtskraft den Einziehungsbeschluss durch Einreichung einer geänderten Gesellschafterliste vollzieht und somit selber die Hauptsache vorwegnimmt.

Vorliegend genügen die geltend gemachten Gründe für die Einziehung nicht den Anforderungen nicht. Wichtiger Grund kann nach dem Wortlaut der Bestimmung und nach der Rechtsprechung in der Verletzung gesellschaftlicher Pflichten, aber auch in Eigenschaften eines Gesellschafters oder in von ihm gesetzten äußeren Umständen liegen, die sein Verbleiben in der GmbH untragbar erscheinen lassen und eine gedeihliche Fortführung des Unternehmens in Frage stellen. Dabei verliere ein Grund bei nicht unerheblichem Zeitverstreich zwischen Anlass und Geltendmachung an Gewicht.

Das Verhalten des Geschäftsführers könne nur dann einen Grund zur Einziehung der Gesellschafteranteile sein, wenn aufgrund der Pflichtverletzung als Geschäftsführers auch ein Verbleiben desselben als Gesellschafter den übrigen Gesellschaftern unzumutbar wird, weil durch das Fehlverhalten das Vertrauensverhältnis der Gesellschafter so nachhaltig zerrüttet wird, dass eine gedeihliche Zusammenarbeit auch auf dieser ebene ausgeschlossen erscheint oder weil Treuepflichten schwerwiegend verletzt worden sind. Gemessen an den Gesamtumständen liegen diese Voraussetzungen hingegen nicht vor, sodass der Senat offenlassen kann, ob im Download der sensiblen Dateien, zu denen der GF in dem Zeitpunkt ohnehin Zugang gehabt hat und dessen Speicherträger er bei Abberufung umgehend zurückgab eine erhebliche ggf. sogar strafrechtliche (§§ 4 Abs. 1 Nr. 1, 23 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG) Pflichtverletzung gelegen habe. Ein konkreter Missbrauch der Daten sei nicht glaubhaft gemacht, die Daten unmittelbar nach Abberufung zurückgegeben und mit Blick auf die zeitliche Differenz von mehreren Monaten zwischen Einziehungsbeschluss und der Abberufung bzw. der Kenntnis vom Download als erstmaligem Pflichtverstoß des GF nicht so schwerwiegend, dass die Einziehung der Gesellschafteranteile als zwingend mit Blick auf die zukünftige Zusammenarbeit auf Gesellschafterebene angesehen werden dürfte.

Der Senat führt ferner zu weiteren, vorgebrachten, aus der Frustration heraus entstandenen, Verhaltensweisen des GF gegenüber Mitgesellschaftern und gegenüber der neubestellten GF aus (Verlangen der Abberufung, Klagen bzgl. der eigenen Rechtsposition, Behauptungen des beabsichtigten Verdrängens durch andere Gesellschafter, anderen Mitarbeitern das Nachverhandeln des Gehaltes nahezulegen etc.) wobei keines der Verhalten als ausreichender Grund zur Einziehung der Geschäftsanteile der Antragstellerin angesehen werden kann und deswegen hier konkret unerwähnt bleiben sollen.

Vorliegend kann sich die Antragsgegnerin als Grund für die Einziehung auch nicht auf unlauteres Verhalten durch Erhöhung des Lästigkeitswertes der Beteiligung der Antragstellerin berufen. Grundsätzlich seien unlautere Klagen oder Stimmverhalten in grob eigennütziger Weise zur Verbesserung der eigenen Verhandlungsposition zwar rechtsmissbräuchlich, wenn damit Ansprüche geltend gemacht werden sollen, auf die die Antragstellerin keine Ansprüche habe. Diese Voraussetzungen liegen hier in den Abfindungsforderungen der Antragstellerin nicht vor. Die Antragstellerin bemisst ihre Abfindungsforderung an der Premoney Bewertung des Unternehmens wonach sich ein rechnerischer Wert ihrer Beteiligung bei 12,7% in Höhe von 4,6 Millionen ergibt. Den Umständen, dass die Premoney Bewertung lediglich einen Hoffnungswert darstelle und die Bewertung von Startups bekanntlich spekulativ und schwierig ist, trägt sie durch einen Abschlag von 2 Millionen und der Einforderung von lediglich 2,5 - 2,8 Millionen als Abfindungsforderung Rechnung. Nach dem Vortrag der Parteien ist ein rechtsmissbräuchliches Verhalten in der Vertretung der jeweiligen Rechtsauffassungen nicht zu erkennen.

Nicht ausreichend für die Einziehung ist zudem eine vorgetragene positive LinkedIn-Bewertung eines Konkurrenzunternehmens durch die Antragstellerin mittels des Posts „Congrats“ und des Likens eines Beitrags des konkurrierenden CEO´s. Diese Äußerung halte sich nach Ansicht des Senats im Bereich des sozial Adäquaten.

Der Senat nimmt zugunsten der Antragsgegnerin an, dass es sich um nicht unerhebliche Pflichtverletzungen handelt, die allerdings nicht eigenständig sind, sondern aus der Abberufung des GF, eines Gründers der Antragsgegnerin und den damit verbundenen Streitigkeiten resultieren. In der Gesamtschau kommt den Pflichtverletzungen aber jedenfalls kein derartiges Gewicht zu, dass über die Abberufung hinaus die Einziehung der Geschäftsanteile gerechtfertigt wäre. Die Antragstellerin ist als Gesellschafterin für die übrigen Gesellschafter nicht untragbar geworden, insbesondere da keine nachhaltigen Störungen oder Blockaden durch sie auf Gesellschafterebene erkennbar seien. Zudem muss berücksichtigt werden, dass seit Kenntnis von der primären Pflichtverletzung mehr als 6 Monate vergangen seien. Dabei sei die Frist von 6 Monaten nicht grundsätzlich, da auch in der Rechtsprechung Zeiträume von bis zu einem Jahr anerkannt seien. Mit zunehmendem Zeitablauf verlören die Gründe jedoch an Gewicht. Vorliegend hat die Antragsgegnerin selbst mit Vereinbarung einer 6-Monatigen Frist zur Ausübung der Call-Option Bad Leaver den zeitlichen Rahmen gesetzt.

Auch der Verfügungsgrund ist hinreichend glaubhaft gemacht worden. Durch den Senat anerkannt konnte die Antragstellerin glaubhaft machen, dass ohne die einstweilige Verfügung richtungsweisende Beschlussfassungen in der derzeitigen Unternehmensphase drohten. Insbesondere seien weitere Kapitalmaßnahmen geplant. Zwar sind hier nach der Satzung die Stimmrechte der Antragstellerin bis zur Hauptsache-Entscheidung über die Wirksamkeit ausgesetzt und als Minderheitsgesellschafterin hätte sie im Regelfall auch nicht die Möglichkeit entscheidenden Einfluss auf die Beschlussfassung zu nehmen. Ihr sind aber die gesellschaftsrechtlichen Informationsrechte, das Vorbringen von Argumenten innerhalb der Gesellschafterversammlung und auch die Geltendmachung von Rechtsmitteln zu gewähren. Diese Rechte seien ohne Erlass einer EV abgeschnitten. Mildere Mittel seien nicht ersichtlich und durchgreifende gegenläufige Interessen der Antragsgegnerin nicht vorgetragen. Die Einreichung der geänderten Gesellschafterliste bis zur endgültigen Klärung der Wirksamkeit sei mit Blick auf die Legitimationswirkung (§16 Abs. 1 GmbHG) und die damit einhergehende höchstrichterliche Rechtsprechung geboten.

Praxishinweis | OLG München 7 W 718/21

Die Entscheidung des OLG Münchens bekräftigt die neure Rechtsprechung des BGH zur Legitimationswirkung der Gesellschafterliste und die Möglichkeit effektiven Rechtsschutzes für Gesellschafter nach einem sie betreffenden Einziehungsbeschluss. Gerade bei jungen, sich stetig weiterentwickelnden und auf Investoren angewiesenen Gesellschaften ist dies von immenser Bedeutung. Dabei darf nach Auffassung des Senats der Einstweilige Rechtsschutz keine unüberwindbaren Hürden stellen. So genüge nur die überwiegende Wahrscheinlichkeit der Rechtswidrigkeit. Dem Gesellschafter wird somit die effektive Überprüfung des Einziehungsbeschlusses insbesondere mit Blick auf die Möglichkeit eines vorgezogenen Vollzugs des Beschlusses durch die Gesellschaft vor Entscheidung in der Hauptsache gewährt.