LG Karlsruhe 6 O 15/21
Einstweilige Verfügung gegen einen Bauträger einer Eigentumswohnanlage: Anforderungen an die Überprüfung der Dringlichkeit der Herausgabe einer Eigentumswohnung

21.01.2022

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

LG Karlsruhe
17.02.2021
6 O 15/21
IBRRS 2021, 1123

Leitsatz | LG Karlsruhe 6 O 15/21

  1. In den Fällen, in denen bei Bau- oder Bauträgerverträgen die Herausgabe des Vertragsobjekts nach der Bezugsfertigkeit im Wege der einstweiligen Verfügung verlangt wird, sind die Grundsätze der Darlegungs- und Beweislast zur Dringlichkeit einer finanziellen Situation der Antragsteller ebenso zu berücksichtigen, wie auch unter den eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten des einstweiligen Rechtsschutzes im Rahmen der Interessenabwägung die die Entscheidung des Gerichts leitenden Tatsachen - insbesondere auch unter Beachtung der vollständigen und wahrheitsgemäßen Erklärung der Parteien (§ 138 ZPO) - aufzuklären und der freien Würdigung des gesamten Vorbringens zuverlässig festzustellen sind (Abgrenzung zu KG Berlin, Urteil vom 5. Dezember 2017 - 21 U 109/17 und KG Berlin, Beschluss vom 20. August 2019 - 21 W 17/19). (Rn.57)
  2. Zur Auslegung der Klausel im Bauträgervertrag „Die Übergabe des Vertragsgegenstandes erfolgt unverzüglich nach seiner Bezugsfertigkeit Zug um Zug gegen Zahlungen der bis dahin fälligen Kaufpreisraten“. (Rn.38)

Sachverhalt | LG Karlsruhe 6 O 15/21

Die Verfügungskläger erwarben mit Bauträgerkaufvertrag vom 27.12.2018 einen Miteigentumsanteil an einem Grundstück verbunden mit einem Sondereigentum an einer Wohneinheit. Die Verfügungskläger und die Verfügungsbeklagte, die Bauträgerin, streiten über den Besitz an einer Eigentumswohnung. Die Verfügungsbeklagte verpflichtete sich in § 4 Ziffer 9 des Vertrages, das Vertragsobjekt bis spätestens 31.10.2019 bezugsfertig und bis zum 01.03.2020 vollständig herzustellen. Der Kaufpreis ist nach § 6 Ziffer 1 in Teilbeträgen zu zahlen, welche vom Veräußerer entsprechend dem tatsächlichen Bauablauf festgelegt werden. Darüber hinaus legt der Vertrag noch weitere vom Veräußerer zu erfüllenden Voraussetzungen voraus, damit der vollständige Kaufpreis fällig wird. § 8 regelt die „Abnahme und Besitzübergabe“. Unter anderem behält sich der Veräußerer während des Bauablaufs das alleinige Hausrecht auf der Baustelle vor. Zudem soll die Besitzübergabe unverzüglich nach seiner Bezugsfertigkeit erfolgen Zug um Zug gegen Zahlung der fälligen Kaufpreisraten.

Bis zum 28.02.2020 zahlten die Verfügungskläger in vier Teilbeträgen insgesamt 220.951,80 Euro. Die Verfügungsbeklagte bot die Abnahme der Wohnung am 09.03.2020 an und teilte dessen Bezugsfertigkeit mit. Am 06.03.2020 erklärten die Verfügungskläger über ihren Anwalt, dass die Wohnung erheblich mangelbehaftet und eine Überzahlung erfolgt sei, weshalb eine Abnahme nicht stattfinde. Die Verfügungsbeklagte verlangte daraufhin am 10.03.2020 die 5. Baurate und wies weiterhin mit Schreiben vom 25.03.2020 die Mängelrügen als unbegründet zurück. Sie bot die Übergabe und Abnahme Zug um Zug gegen Zahlung der 5. Baurate an und behielt sich bei Nichtzahlung vor den Werklohn einzuklagen oder vom Bauträgerkaufvertrag zurückzutreten. Bei dem Abnahmetermin am 25.08.2020 machten die Verfügungskläger im Abnahmeprotokoll Mängel am Sondereigentum und am Gemeinschaftseigentum geltend. Am 28.08.2020 zahlten die Verfügungskläger einen Teil der 5. Baurate. Mit Schreiben vom 29.10.2020 forderten sie sodann die Herausgabe der Wohnung bis zum 03.11.2020. Am 07.12.2020 wurde nochmal eine Frist bis zum 11.12.2020 gesetzt und eine Zahlung von weiteren 5.000 Euro unter Vorbehalt angeboten.
Die Verfügungskläger stellten sodann am 19.01.2021 im Wege einer einstweiligen Verfügung Herausgabeantrag.

Entscheidung | LG Karlsruhe 6 O 15/21

Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist nicht begründet.

Die Verfügungskläger können die Herausgabe der Eigentumswohnung nicht aus den Grundsätzen der verbotenen Eigenmacht nach § 861 BGB verlangen. Unmittelbare Besitzerin des Hauses während der Bauphase ist wegen § 8 Ziffer 1 des Vertrages die Verfügungsbeklagte. Für einen Anspruch nach § 861 BGB müssten die Verfügungskläger in der Folgezeit Besitz erlangt haben, welcher ihnen sodann wieder durch die Verfügungsbeklagte entzogen worden ist. Sie können jedoch keine Tatsachen darlegen, nach denen die Verfügungsbeklagten ihnen bereits zu einem früheren Zeitpunkt den Besitz übertragen hatte. Insbesondere sei die Abnahme des Sondereigentums durch die Verfügungskläger am 25.08.2020 nicht mit der Besitzübertragung verbunden gewesen.

Grundsätzlich sei die Übergabe seit der Bezugsfertigkeit unverzüglich Zug um Zug gegen Zahlung der bis dahin fälligen Kaufpreisraten geschuldet. Da jedoch entgegen der Auffassung der Verfügungskläger keine Überzahlung vorliege, schuldet die Verfügungsbeklagte die Besitzverschaffung Zug um Zug nach Zahlung weiterer 12.503,72 Euro durch die Verfügungskläger. Mangels rechtzeitiger Fertigstellung bestimme sich die Fälligkeit der von der 1. Rate einbehaltenen 5 % des Kaufpreises nach den gesetzlichen Vorschriften. Danach sei der Kaufpreis gemäß §§ 650 u Abs. 1 S. 2 und Abs. 2, 650 g Abs. 4 S. 1 BGB seit der Abnahme am 25.08.2020 und der Schlussrechnung vom 10.07.2020 fällig.

Allerdings haben die Verfügungskläger die Dringlichkeit (Verfügungsgrund) der einstweiligen Verfügung weder schlüssig dargelegt noch ausreichend glaubhaft gemacht. Dieser bestimme sich nach §§ 935, 940 ZPO. Eine sogenannte Sicherungsverfügung komme im Streitfall schon deshalb nicht in Betracht, weil der Herausgabeanspruch der Verfügungskläger durch die Herausgabeverweigerung der Verfügungsbeklagten nicht gefährdet sei. Auch die Andeutung, der Verfügungsbeklagten drohe die Insolvenz, reiche für einen Verfügungsgrund nicht aus.

Ausnahmsweise reiche für den Erlass einer auf Herausgabe gerichteten einstweiligen Verfügung auch aus, dass der Antragsteller die Sache dringend benötige, um beispielsweise eine Existenzgefährdung abzuwenden. Dafür müssen die Verfügungskläger glaubhaft machen, dass er durch die Nichtherausgabe der Eigentumswohnung in eine Situation geraten, die als „existenzielle Notlage“ gekennzeichnet sei. An eine Darlegung dessen seien hohe Anforderungen zu stellen, die die Notlage konkret beschreiben. Die erbrachte Darlegung der Verfügungskläger sei substanzlos und lediglich eine pauschale Behauptung, dass sie auf die Mietzahlung des Sohnes angewiesen seien. Dies entspricht nicht den Anforderungen der Norm. Nach Würdigung aller Umstände des Falles kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass es sich lediglich um eine auf einen Erbfall vorweggenommene „Vermögenszuordnung bzw. -planung“ handele, die jedoch nicht zu einer finanziellen Notlage der Verfügungskläger führe. Entscheidend komme es auch unter Berücksichtigung von Entscheidungen des Kammergerichts Berlin darauf an, zu welchen Zwecken die Wohnung genutzt wird. So könne ein Verfügungsgrund vorliegen, wenn die Wohnung selbst bewohnt werden soll und die Lebensplanung im Zweifel auf den Einzug ausgerichtet sei. Ein solcher könne jedoch abgelehnt werden, wenn die Wohnung lediglich als Kapitalanlage dienen solle.

Darüber hinaus seien die Grundsätze der Selbstwiderlegung anwendbar. Die Verfügungskläger hätten bereits im März 2020 die Herausgabeklage erheben können. Indem die Verfügungskläger mit der Beantragung der einstweiligen Verfügung 10 Monate gewartet haben, widerlegten sie die von ihnen behauptete Dringlichkeit selbst.

Praxishinweis | LG Karlsruhe 6 O 15/21

Sollte in einem Vertrag die Abnahme und die Besitzübergabe getrennt behandelt werden, kann nicht automatisch davon ausgegangen werden, dass mit der Abnahme auch gleichzeitig der Besitz erlangt wurde. Für die Zulassung eines Antrags auf einstweilige Verfügung hat der Verfügungskläger nachzuweisen, dass ein Grund vorliegt, der eine rasche Entscheidung rechtfertige. An das Erfordernis der Dringlichkeit sind hohe Anforderungen zu stellen. Vor allem ist darauf hinzuweisen, dass der Antrag so schnell wie möglich eingereicht wird, um die Dringlichkeit des Antrags zu betonen. Das Gericht behält sich vor den Verfügungsgrund der Dringlichkeit abzulehnen, wenn die Kläger durch einen verspäteten Antrag die Dringlichkeit selbst widerlegen.