BGH VIII ZR 76/20
Eigenbedarf nach Zwangsversteigerungserwerb trotz Ausschlussvereinbarung im Mietverhältnis – Versteigerung im „Doppelausgebot“ und Gläubigerprivileg

18.04.2022

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
15.09.2021
VIII ZR 76/20
NZM 2021, 845

Leitsatz | BGH VIII ZR 76/20

Der Ausübung des Sonderkündigungsrechts des Erstehers nach § 57a ZVG stehen, wenn die Zuschlagserteilung zu den gesetzlichen Versteigerungsbedingungen erfolgt, Kündigungsbeschränkungen - hier: Ausschluss der Eigenbedarfskündigung -, die zwischen dem Mieter und dem vormaligen Eigentümer (Vermieter) vereinbart worden sind, nicht entgegen.

Sachverhalt | BGH VIII ZR 76/20

Der Beklagte ist seit 2015 Mieter einer Eigentumswohnung, welche die Kläger nach Durchführung eines Zwangsversteigerungsverfahrens gegen den vormaligen Eigentümer am 16.10.2018 erworben haben. Der Mietvertrag zwischen dem Beklagten und dem damaligen Eigentümer enthält eine Klausel, die eine Eigenbedarfskündigung durch den Vermieter ausschließt. Die Kläger erklärten gegenüber dem Beklagten am 20.10.2018 die Kündigung des Mietverhältnisses wegen Eigenbedarfs, da die Wohnung für den volljährigen Sohn benötigt werde.

Die Kläger haben Klage auf geräumte Herausgabe eingereicht, welcher das AG München stattgegeben hat. Die Berufung des Beklagten wurde vom LG München abgelehnt. Es sieht die Kündigung als hinreichend begründet und damit formell wirksam an. Darüber hinaus seien die derzeit von den Klägern bewohnten Räumlichkeiten zu klein, um dort mit vier Kindern zu wohnen. Der Beklagte legt Revision ein.

Entscheidung | BGH VIII ZR 76/20

Die Revision ist zulässig, aber unbegründet. Die Revision sei unbeschränkt zugelassen.

Das Berufungsgericht habe zu Recht angenommen, dass der Ausschluss einer Eigenbedarfskündigung, welcher zwischen dem Beklagten und dem vormaligen Eigentümer beschlossen wurde, der Wirksamkeit der durch die Kläger erklärten Kündigung nicht entgegensteht. Denn den Klägern stehe ein Sonderkündigungsrecht nach § 57a ZVG zu, welches durch eine solche Vereinbarung nicht ausgeschlossen werde. Der Mieter könne den gesetzlichen Kündigungsschutz, nicht jedoch einen darüber hinausgehenden vertraglichen Mieterschutz beanspruchen. Nach § 566 BGB, welcher gemäß § 57 ZVG entsprechend anwendbar sei, tritt der Ersteher im Rahmen einer Zwangsversteigerung in das zwischen dem Voreigentümer und dem Mieter bestehende Mietverhältnis ein. Nach § 57a ZVG stehe dem Ersteher allerdings ein Kündigungsrecht zu, welches ausgeschlossen sei, sofern nicht zum ersten Termin, für den die Kündigung zulässig ist, gekündigt werde. Darüber hinaus finden nach § 573d Abs. 1 BGB die Vorschriften der §§ 573, 573a BGB entsprechende Anwendung.

Dass das Sonderkündigungsrecht nicht aufgrund des Kündigungsausschlusses entfällt, ergebe sich entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht aus einem Vergleich mit § 1056 Abs. 2 S. 1 BGB.  Denn den Sonderkündigungsrechten in § 1056 Abs. 2 S. 1 BGB und § 57a ZVG liegen unterschiedliche Eintritts- bzw. Erwerbsvorgänge zugrunde. Der Ersteher erwerbe das Eigentum im Falle der Zwangsvollstreckung nämlich kraft gesetzlichen Hoheitsakts durch den Zuschlag und gerade nicht rechtsgeschäftlich. Dabei bestimmt allein der Zuschlag Inhalt und Umfang des Eigentumserwerbs des Erstehers. Davon sei auch das Verhältnis des Erstehers zum Mieter erfasst. Der Eintritt des Erstehers in das bestehende Mietverhältnis werde dergestalt modifiziert, dass er nach Maßgabe des § 57a ZVG erfolge. Dadurch müsse er sich etwaige kündigungseinschränkende Vereinbarungen nicht gegen sich gelten lassen, da das (quasi dingliche) Sonderkündigungsrecht nach § 57a ZVG grundsätzlich Bestandteil des Eigentumserwerbs sei.
Insbesondere könne etwas anderes nicht aus einem Umkehrschluss von §§ 573d Abs. 3, 573 Abs. 4 BGB hergeleitet werden, wonach zum Nachteil des Mieters abweichende Vereinbarungen unwirksam seien. Es entspreche dem Sinn und Zweck des § 57a ZVG, dass das Sonderkündigungsrecht nicht durch vorherige Vereinbarungen zwischen dem Mieter und dem vorherigen Eigentümer eingeschränkt werden könne. Geschützt werden soll nämlich der Gläubiger des Vollstreckungsschuldners, welcher ein Interesse an einem möglichst hohen Erlös habe und dem ein Mietverhältnis grundsätzlich als wertmindernder Faktor entgegenstehe.

Der Mieter habe im Zwangsversteigerungsverfahren die Möglichkeit die Versteigerungsbedingungen zu ändern. Dann findet ein Doppelausgebot statt, d.h. es werde auf die gesetzliche Ausgebotsform mit dem außerordentlichen Kündigungsrecht des Erstehers und auf die abweichende Form geboten. Aufgrund eines zu geringen Gebots auf das Ausgebot unter Ausschluss des Sonderkündigungsrechts, wurde der Zuschlag auf das Gebot zu den gesetzlichen Versteigerungsbedingungen erteilt.

Demnach stehe den Klägern ein uneingeschränktes Sonderkündigungsrecht zu und sie konnten den Mietvertrag wegen Eigenbedarfs gemäß § 57a ZVG, §§ 573d Abs. 1, 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB kündigen. Das Kündigungsschreiben sei insbesondere auch mit einer hinreichenden Begründung versehen, indem die Eigenbedarfsperson mit „mein Sohn“ bezeichnet wird.

Praxishinweis | BGH VIII ZR 76/20

Auch, wenn im Mietrecht der Mieter grundsätzlich als schutzbedürftig gilt, gilt dies nicht grenzenlos. Vor allem gelten Sonderregelungen im Rahmen des Zwangsversteigerungsverfahrens, da es sich hier gerade nicht um einen rechtsgeschäftlichen Erwerb handelt, sondern um einen Erwerb kraft Hoheitsakts. Dadurch muss der Ersteher insbesondere einen mit dem vormaligen Vermieter vereinbarten Kündigungsausschluss gegen sich gelten lassen. Der Mieter hat als Beteiligter des Verfahrens die Möglichkeit, das Angebot derart abzuändern, dass der Kündigungsausschluss vertraglich aufgenommen wird. Allerdings hängt es dann an den abgegeben Geboten, zu welchen Konditionen letztlich der Zuschlag erteilt wird. Ein Mieter sollte darauf achten, dass der Vermieter dieses Kündigungsrecht nur bis zum erstmöglichen Termin ausüben kann, da es danach erlischt.