BGH II ZR 158/16
Direktanspruch eines Gläubigers gegen den Liquidator einer GmbH

27.06.2018

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
13.03.2018
II ZR 158/16
NZG 2018, 625

Leitsatz | BGH II ZR 158/16

1. § 73 Abs. 3 GmbHG ist kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB.

2. Ein Liquidator einer GmbH, der bei der Verteilung des Gesellschaftsvermögens an die Gesellschafter eine Verbindlichkeit der Gesellschaft gegenüber einem Gläubiger nicht berücksichtigt hat, ist dem Gläubiger analog § 268 Abs. 2 S. 1, § 93 Abs. 5 AktG unmittelbar zum Ersatz bis zur Höhe der verteilten Beträge verpflichtet, wenn die Gesellschaft bereits im Handelsregister gelöscht ist.

Sachverhalt | BGH II ZR 158/16

Der Beklagte war Alleingesellschafter, Geschäftsführer und Liquidator der F-GmbH. Von Juli bis Dezember erbrachte die Klägerin für diese GmbH Steuerberaterleistungen. Unter anderem erstellte sie einen Jahresabschluss für 2009, welcher am 03.12.2010 mit dem Beklagten besprochen wurde. Mitte 2010 beschloss jedoch der Beklagte bereits die Auflösung der GmbH. Diese wurde am 24.06.2010 im Handelsregister eingetragen. Am 24.01.2011 fand schließlich die Löschung der GmbH im Handelsregister statt. Für ihre Leistungen stellte die Klägerin der F-GmbH mit Schreiben vom 29.06.2012 eine Vergütung in Höhe von 2.246,96 € in Rechnung. Bei der Liquidation und der Verteilung des GmbH-Vermögens war diese Forderung unberücksichtigt geblieben.

Die Klägerin macht nun vom Beklagten selbst die Zahlung der Vergütung geltend. Das AG Waldshut-Tiengen (Az.: 7 C 3/14) hat in seinem Urteil vom 27.08.2015 der Klage stattgegeben. Diese Entscheidung hat das LG Waldshut-Tiengen als Berufungsgericht bestätigt. Die Revision der Beklagten richtet sich nun auf die Aufhebung der Urteile und schlussendlich auf Klageabweisung.

Entscheidung | BGH II ZR 158/16

Das Revisionsgericht hat die Revision als unbegründet verworfen. Der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung der Vergütung.

Die Klägerin hat unstrittig eine Forderung aus Steuerberaterleistungen und konnte keine Befriedigung von der Gesellschaft erlangen. Weiterhin steht der Gesellschaft ein Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten nach § 73 Abs. 3 S. 1 GmbHG zu. Der Beklagte hat schuldhaft gegen § 73 Abs. 1 und 2 GmbHG verstoßen, indem er die Ansprüche der Klägerin unberücksichtigt gelassen hat. Fraglich war indes nur noch, ob die Klägerin unmittelbar gegen den Beklagten als Liquidator vorgehen konnte, oder ob sie sich nicht vielmehr an die F-GmbH halten musste.

Der BGH hat, wie auch die Vorinstanzen entschieden, dass ein Direktanspruch der Klägerin besteht. Dieser ergibt sich jedoch aus der entsprechenden Anwendung der §§ 268 Abs. 2, 93 Abs. 5 AktG und nicht, wie von den Vorinstanzen angenommen, aus der Anwendung der §§ 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 73 Abs. 3 GmbHG. Denn § 73 Abs. 3 GmbHG stelle gerade kein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB dar. Ein Schutzgesetz ist eine Norm, die zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsgutes zu schützen. Dabei kommt es insbesondere auf den Inhalt und Zweck der Vorschrift an sowie auf den vom Gesetzgeber bezweckten Rechtsschutz.

Gegen eine Einordnung des § 73 Abs. 3 GmbHG als Schutzgesetz sprechen daher der historische Wille des Gesetzgebers sowie der Gesetzeszweck.

Nach dem Willen des Gesetzgebers soll der Liquidator allein der Gesellschaft gegenüber verpflichtet sein. Der Gesetzgeber hat sich bewusst für eine Innenhaftung entschieden. Zwar führt die Begründung zu dem Entwurf des heutigen § 73 Abs. 3 GmbHG aus, dass die Norm zugunsten der Gesellschaftsgläubiger normiert wurde. Gleichzeitig wird jedoch auch klargestellt, dass die Ersatzpflicht des Liquidators nur gegenüber der Gesellschaft besteht. Auch der spätere Regierungsentwurf, der letztlich nicht umgesetzt wurde, hielt eine Streichung des Abs. 3 für erforderlich um § 73 GmbHG als Schutznorm anzuerkennen. Die Argumentation, wonach die Begründung von 1891 zu § 73 GmbHG dem § 64 GmbHG a.F. gleiche, für welchen eine drittschützende Wirkung anerkannt ist, vermag nach Auffassung des BGH nicht zu überzeugen, denn in den Regierungsentwürfen zum GmbHG von 1972 und 1973 wurde der Abs. 3 des § 73 GmbHG noch als Hindernis für die Einordnung der Norm als Schutzgesetz angesehen. Des Weiteren fehlt es an einer Vergleichbarkeit der Regelungsgehalte der beiden Normen, denn der Schutzumfang des § 64 GmbHG ist wesentlich weiter als der des § 73 GmbHG.

Weiterhin spricht gegen eine Einordnung des § 73 GmbHG als Schutzgesetz der Gesetzeszweck. § 73 Abs. 3 GmbHG begründet lediglich eine reine Innenhaftung und entspricht somit den Kapitalerhaltungsvorschriften in §§ 30, 31 GmbHG.

Weiterhin spricht die Systematik des GmbHG der Einordnung als Schutzgesetz. § 73 Abs. 3 GmbHG verweist auf § 43 Abs. 3 und 4 GmbHG, nach welchen wiederum § 9b Abs. 1 GmbHG anwendbar ist. Dieser Verweis auf das Vergleichs- und Verzichtsverbot wäre aber unerheblich, wenn den Gläubigern ein eigener deliktischer Schadensersatzanspruch nach § 823 BGB zustünde.

Demnach stellt § 73 Abs. 3 GmbHG kein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB dar. Die Haftung des Liquidators ergibt sich aber aus der entsprechenden Anwendung von §§ 268 Abs. 2, 93 Abs. 5 AktG. Es besteht aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung das dringende Bedürfnis, dem Gläubiger einen unmittelbaren Anspruch gegen den Liquidator zu geben. Ansonsten müsste dieser mittelbare Befriedigung suchen, indem er zunächst beim Registergerichts die Anordnung einer Nachtragsliquidation ersucht und die Bestellung eines Nachtragsliquidatoren beantragt. Anschließend müsste er einen Titel im Klageverfahren erstreiten und anschließend den Anspruch der Gesellschaft gegen den Liquidator nach §§ 829, 835 ZPO pfänden und überweisen lassen. In einem weiteren Verfahren müsste er dann den Einziehungsprozess führen. Diese mittelbare Befriedigung steht aber immer unter dem Risiko, dass die Gesellschaft überhaupt den Anspruch gegen den Liquidator geltend macht. Die Gesellschafter selbst werden jedoch kein unmittelbares Interesse an der Durchsetzung des Anspruchs haben. Somit besteht die Gefahr, dass die Haftungsansprüche der Gesellschaft gegen den Liquidator nicht beigetrieben oder durch gesellschaftsinterne Einwirkungen beeinträchtigt werden. Dieser Weg ist zeitintensiv, kostenträchtig, risikobehaftet und nicht prozessökonomisch.

Dieses Schutzdefizit nach Beendigung der Liquidation steht in Diskrepanz zu dem Gläubigerschutz des Aktienrechts und der Regelungsabsicht des GmbHG. Daher ist, nach Ansicht der BGH, diese planwidrige Reglungslücke durch die Anwendung des § 268 Abs. 2 AktG in Verbindung mit § 93 Abs. 5 AktG zu schließen. Dies gelte jedenfalls dann, wenn die Liquidation der GmbH beendet und lediglich ein Gläubiger vorhanden ist.

Für die Anwendung der Normen des AktG spricht, dass § 93 Abs. 3 Nr. 5 AktG, ebenso wie § 73 GmbHG eine Kapitalerhaltungsvorschrift darstellt. Des Weiteren sei die Stellung des Liquidators einer GmbH mit der des Abwicklers einer GmbH vergleichbar.

Praxishinweis | BGH II ZR 158/16

Die BGH Rechtsprechung stellt insofern fest, dass über §§ 268 Abs. 2, 93 Abs. 5 AktG ein unmittelbarer Anspruch des Gläubigers gegen den Liquidator einer GmbH besteht und dieser dafür haftet, sollte er schuldhaft Ansprüche der Gläubiger bei der Liquidation unberücksichtigt lassen. Der BGH selbst betont, dass diese analoge Anwendung ihren Niederschlag im Gesetz finden sollte. Bis dahin sollte über diesen möglichen Haftungsgrund ausdrücklich hingewiesen werden.