OLG München 31 Wx 415/17
Die Auslegung eines Erbvertrags bzgl. der Bindungswirkung wegen fehlender Regelung zur Anwachsung

29.10.2021

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG München
05.11.2020
31 Wx 415/17
ZEV 2021, 250

Leitsatz | OLG München 31 Wx 415/17

  1. Zur Auslegung eines von Ehegatten abgeschlossenen Erbvertrags, bei denen die jeweiligen Kinder der Ehegatten als Schlusserben eingesetzt sind (sog. „Patchwork- Familie“). (amtl. Ls.)
  2. Bei Wegfall eines der Schlusserben stellt sich die Frage einer vertragsmäßigen Bindung des überlebenden Ehegatten betreffend diesen Erbteil infolge Anwachsung zugunsten der übrigen Schlusserben erst, sofern kein Wille der Ehegatten in Bezug auf eine erneute Testierung des überlebenden Ehegatten infolge des Wegfalls des Schlusserben im Wege der individuellen Auslegung festgestellt werden kann. (amtl. Ls.)

Sachverhalt | OLG München 31 Wx 415/17

Die Erblasserin und ihr vorverstorbener Ehemann hatten 1979 einen Ehe- und Erbvertrag geschlossen. In diesem halten sie unter anderem in einseitig unwiderruflicher Weise fest, dass sie sich gegenseitig als Alleinerben einsetzen. Für den Fall des Todes des Längstlebenden bestimmen sie die Tochter der Erblasserin und die beiden Töchter des Ehemannes (Beteiligte zu 1 und 2) als Erben zu gleichen Teilen. Sollte eine der eingesetzten Erbinnen beim Tode des erstversterbenden Teils seinen Pflichtteil geltend machen, so werde diese nicht Erbin, sondern die übrigen Erben zu gleichen Teilen. Die Tochter der Erblasserin ist vorverstorben und hinterlässt keine Abkömmlinge. Die Erblasserin bestimmte daraufhin in ihrem letzten notariellen Testament den Beteiligten zu 3 als Alleinerben.

Die Beteiligten zu 1 und 2 beantragten 2016 die Erteilung eines Erbscheins, der sie beide zu je 1/2 als Erben ausweist. Dem trat der Beteiligte zu 3 mit der Behauptung entgegen, die Antragstellerinnen hätten bereits den Pflichtteil nach dem Ableben des Ehemannes geltend gemacht.

Das Nachlassgericht erachtet die Tatsachen für die Erteilung des Erbscheins als festgestellt an. Es gäbe keine hinreichenden Anhaltspunkte, die eine Geltendmachung des Pflichtteils nachweisen würden. Darüber hinaus sei es in Folge des Ablebens der Tochter der Erblasserin zur Anwachsung zugunsten der Beteiligten zu 1 und 2 gekommen. Die Erblasserin habe die im Erbvertrag getroffenen Verfügungen auch nicht durch nachfolgend letztwillige Verfügung abändern können. Der Beteiligte zu 3 erhebt hiergegen Beschwerde.

Entscheidung | OLG München 31 Wx 415/17

Das OLG München ersieht die Beschwerde schon deshalb als begründet an, weil der erteilte Erbschein nicht die materielle Erbfolge abbilde.

Die Pflichtteilsklausel in dem Erbvertrag stelle einen Teil der Erbeinsetzung dar und mithin eine Verfügung im Sinne des § 2278 Abs. 2 BGB. Dieser Ansatz könne jedoch nicht ohne weiteres auf sonstige Fälle eines Wegfalls des ursprünglich Bedachten, wie hier durch ein Vorversterben der Tochter der Erblasserin, übertragen werden. Vielmehr haben die Ehegatten für den Falle des Vorversterbens eines Bedachten gerade keine Regelung getroffen. Dies führe zum Eintreten der Anwachsung kraft Gesetzes, was damit gerade keine „andere Verfügung“ gemäß § 2278 Abs. 2 BGB darstellen kann. Folglich kann in diesem Umfang auch keine Bindungswirkung nach § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB bestehen.

Im Hinblick auf die Befugnis der Erblasserin eine neue letztwillige Verfügung zu erlassen, hält das OLG fest, dass sie hinsichtlich des durch Vorversterben der Tochter weggefallenen Erbteils dazu berechtigt sein soll. Die Auslegung des Erbvertrages soll gemäß §§ 157, 242 BGB insbesondere die familiären Beziehungen der Ehegatten zu den jeweiligen Bedachten einbeziehen. Bedenken die Ehegatten die Abkömmlinge des jeweils anderen Ehegatten, so soll eine Bindung bezüglich dieser letztwilligen Verfügung bestehen, nicht aber bezüglich der Verfügung zugunsten des eigenen Kindes. Unter Zugrundelegung dieser Auslegung komme man zu dem Ergebnis, der Erbvertrag sei so zu verstehen, dass die Erblasserin als Längstlebende die Erbenstellung der Beteiligten zu 1 und 2 nicht mehr abändern konnte. Allerdings sei sie nicht daran gehindert gewesen, den Erbteil, welcher ihrer Tochter ursprünglich zugewiesen war, neu zu testieren. Mithin komme es zu einer Anwachsung zugunsten der Erbteile von den Beteiligten zu 1 und 2, die Beeinträchtigung gemäß § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB durch die Neutestierung beziehe sich hingegen auf den ursprünglich angedachten Erbteil. Die Neutestierung führe folglich zu einer Erbenstellung der Beteiligten zu je 1/3.

Praxishinweis | OLG München 31 Wx 415/17

Bei der Auslegung eines Erbvertrages kommt es hauptsächlich auf den Willen der Erblasser an. Setzen die Ehegatten die Abkömmlinge des jeweils anderen Ehegatten als Erben ein und bestimmen sie diese Verfügung zu einer einseitig Unwiderruflichen, so hindert dies den überlebenden Erblasser nicht daran, die Erbeinsetzung hinsichtlich der eigenen Abkömmlinge neu zu testieren. Sollten die Ehegatten und Verfasser des Erbvertrags im Falle des Vorversterbens eines Bedachten eine Bindungswirkung der letztwilligen Verfügung auch dahingehend entfalten wollen, so sei die ausdrückliche Bestimmung von Ersatzerben zu empfehlen.