OLG Bamberg 3 W 43/20
Bindungswirkung eines gemeinschaftlichen Testaments

23.04.2021

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Bamberg
09.10.2020
3 W 43/20
ZErb 2020, 457

Leitsatz | OLG Bamberg 3 W 43/20

  1. Zur Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments, in dem sich die Ehegatten eine Änderung der Schlusserbeneinsetzung ihres einzigen Kindes auch für den Fall vorbehalten hatten, dass es „mit unserem Sohn zu familiären Zuwiderhandlungen kommt“.
  2. Zu den tatsächlichen Voraussetzungen einer auf einen solchen Widerrufsvorbehalt gestützten Änderungsberechtigung des letztverstorbenen Elternteils, wenn in der Neutestierung des überlebenden Ehegatten das Vorliegen von „familiären Zuwiderhandlungen“ im Wesentlichen mit der mangelnden Kontaktpflege des Sohnes begründet wird.
  3. Unabhängig davon, welche gemeinsamen Vorstellungen der Ehegatten über Art und Ausmaß eines nicht mehr tolerablen Störverhaltens ihres Sohnes zu einem solchen Widerrufsvorbehalt geführt haben, gehört die von den Eheleuten damit übereinstimmend verfolgte Zielsetzung zu den tatbestandlichen Voraussetzungen der Änderungsklausel mit der Folge, dass der überlebende Ehegatte hieran eben auch in Bezug auf die Beweggründe gebunden ist, von denen er sich bei der Ausübung seiner Änderungsbefugnis leiten lässt.
  4. Es liegt offenkundig jenseits dieser übereinstimmenden Zielsetzung der Ehegatten, wenn der Erblasser nach dem Tod der Ehefrau eine derartige Änderungsklausel ausschließlich bzw. vorrangig dazu nutzen will, nunmehr zur hälftigen Miterbin (neben dem Sohn) seine langjährige Lebensgefährtin zu berufen, mit der er bereits wenige Jahre nach dem gemeinschaftlichen Testament eine außereheliche Beziehung eingegangen war, welche – voraussehbar – auch zu einem tiefgreifenden Konflikt zwischen dem Erblasser und seinem Sohn geführt hatte.

Sachverhalt | OLG Bamberg 3 W 43/20

Der Erblasser war mit der bereits 2013 vorverstorbenen C verheiratet. Aus dieser Ehe war der Bet. zu 1 als einziges Kind hervorgegangen. In einem gemeinschaftlichen Testament von 1999 hatten beide Eheleute den Bet. zu 1 als Alleinerben nach dem Tod des Letztversterbenden berufen. Außerdem befanden sich folgende Bestimmungen in diesem Testament: „Erben außerhalb der Familie kommen nicht infrage“ und „im Fall, dass es mit unserem Sohn zu familiären Zuwiderhandlungen kommen sollte, sind wir berechtigt das Testament zu annullieren.“

Seit 2004 führte der Erblasser eine außereheliche Beziehung mit der Schwägerin der Ehefrau (Bet. zu 2), welche die eheliche Beziehung belastete. Der Bet. zu 1 stand in diesem Konflikt auf der Seite seiner Mutter.

In einem notariellen Testament von 2014 setzte der, nun verwitwete, Erblasser beide Beteiligten je hälftig als Erben ein. Der Erblasser sah die mangelnde Sorge und die wenigen Besuche seines Sohns als familiäre Zuwiderhandlung an, wonach er sich berechtigt sah, das Testament von 1999 abzuändern.

Der Bet. zu 1 strebt nach der Ausstellung eines Erbscheins, der ihn als Alleinerben ausweist. Die Bet. zu 2. strebt nach der Ausstellung eines Erbscheins, nach dem zweiten Testament des Erblassers.

Entscheidung | OLG Bamberg 3 W 43/20

Die Beschwerde des Bet. zu 1 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bamberg, welcher die Begründung des Erbscheinsantrags der Bet. zu 2 festgestellte, hatte Erfolg. Die maßgebende Ausgangsfrage dieser Entscheidung ist, ob der Erblasser berechtigt war, abweichend vom ersten Testament, neu zu testieren. Bei der im ersten Testament genannten Schlussbestimmung handelt es sich um eine wechselbezügliche Verfügung zwischen den Ehegatten, welche für den Erblasser auch nach dem Tod des Ehegatten verbindlich ist (§§ 2270 I, II, 2271 II BGB).

Eine Änderung der Schlusserbenanordnung aufgrund einer Annullierungsklausel ist nur möglich, wenn es sich bei dieser Klausel nicht um einen bloßen Änderungsvorbehalt handelt, sondern unter Beachtung der maßgebenden Auslegungsregeln nach übereinstimmender Intention beider Eheleute der Inhalt der Klausel zum Tragen kommt. Hierbei hat entsprechend § 157 BGB eine Beurteilung aus der objektiven Sicht (Empfängerhorizont) des vorverstorbenen Ehegatten zu erfolgen.

Bei der im ersten Testament festgelegten Formulierung der „familiären Zuwiderhandlung“ handelt es sich in Anbetracht der Umstände um einen schwerwiegenden Ausnahmesachverhalt. Davon sind Handlungen umfasst, die den Familienfrieden nachhaltig und tiefgreifend beeinträchtigen. Die fehlende Sorge und die wenigen Besuche des Bet. zu 1 sind davon nicht umfasst. Außerdem sind diese Verhaltensweisen des Bet. zu 1 auf die außereheliche Beziehung des Erblassers zurückzuführen. Es ist ausgeschlossen, ein Verständnis der vorverstorbenen Ehefrau für die Annullierung des ersten Testaments, aufgrund dieses Konflikts, vorauszusetzen. Dieser Schluss bestätigt sich, gerade in Anbetracht dessen, dass die im Ehebruch beteiligte Partnerin des Erblassers als Erbin eingesetzt werden soll und somit auch die Hälfte des Erbgutes aus der Familie abfließen würde.

Aufgrund der Beurteilung aus objektiver Sicht der vorverstorbenen Ehefrau ist die Annullierungsklausel des ersten Testaments nicht einschlägig, wodurch der Erblasser nicht zur Änderung der Schlusserbenanordnung befugt war.

Praxishinweis | OLG Bamberg 3 W 43/20

Bei wechselbezüglichen Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament ist es notwendig, dass sich der Wille beider Ehepartner deckt. Der Wille des bereits verstorbenen Ehepartners ist entsprechend § 157 BGB anhand dessen objektiver Sicht (Empfängerhorizont) zu beurteilen. Der Zweck einer wechselseitigen Verfügung in einem gemeinschaftlichen Testament darf nicht durch den eigenständigen Willen des noch lebenden Ehepartners ad absurdum geführt werden. Die Entscheidung des OLG Bamberg zeigt deutlich, dass Formulierungen, mit denen die Bindungswirkung einer solchen Verfügung eingeschränkt werden soll, unbedingt juristischer Beratung bedürfen und sowohl klar als auch eindeutig formuliert sein sollten.