OLG Düsseldorf 3 Wx 79/20
Beweislast für den Wegfall der Bindungswirkung eines Erbvertrags

10.05.2021

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Düsseldorf
02.06.2020
3 Wx 79/20
ZEV 2020, 487

Leitsatz | OLG Düsseldorf 3 Wx 79/20

  1. Haben die Erblasserin und ihr vorverstorbener Ehemann in einem notariellen Erbvertrag einander wechselseitig zu Alleinerben eingesetzt, den aus erster Ehe stammenden Sohn des vorverstorbenen Ehemannes zum Alleinerben des Zuletztversterbenden bestimmt und festgehalten, dass sämtliche Bestimmungen des Erbvertrages bindend sein sollen, im Falle des Überlebens der Ehefrau die Bindungswirkung jedoch entfalle, wenn der Sohn oder einer seiner Nachkommen von ihr den Pflichtteil verlange, so stellt sich letztere Regelung als Bedingung für einen zugunsten der Erblasserin bestehenden Änderungsvorbehalt dar (hier: mit der Folge, dass sich die testamentarische Einsetzung ihrer Nichte zur Alleinerbin in Ermangelung eines nachgewiesenen Pflichtteilsverlangens als unwirksam erweist).
  2. Die Einholung eines schriftvergleichenden Gutachtens zu der Frage der Echtheit der Unterschrift des Erblassers auf einer relevanten Erklärung kommt unter Beachtung des Grundsatzes zur Beweiserhebung nach pflichtgemäßem Ermessen nur in Betracht, wenn das Gericht – wie hier nicht der Fall – selbst Auffälligkeiten in Bezug auf die Echtheit einer Unterschrift (zB Abweichungen von Vergleichsunterschriften) feststellt.

Sachverhalt | OLG Düsseldorf 3 Wx 79/20

In einem Erbvertrag setzten sich die Erblasserin und ihr 2002 vorverstorbener Ehemann wechselseitig als Alleinerben ein. Alleinerbe des Zuletztversterbenden sollte der aus erster Ehe stammende Sohn des Ehemannes, der Beteiligte zu 2 sein. In § 4 des Erbvertrages regelte das Ehepaar die Bindungswirkung sämtlicher Bestimmungen des Erbvertrages. Im Falle des Überlebens der Erblasserin und der Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen durch den Beteiligten zu 2 oder seine Nachkommen, sollte die Bindungswirkung jedoch entfallen.

Nach dem Tod ihres Mannes errichtete die Erblasserin 2003 ein handschriftliches Testament, in dem sie ihre Nichte, die Beteiligte zu 1, als ihre Alleinerbin einsetzte. Dabei wies sie in ihrem Testament darauf hin, dass die Bindungswirkung des Erbvertrags entsprechend der dort getroffenen Ausnahmeregelung entfallen sei.

Die Beteiligte zu 1 beantragte daraufhin auf Grund dieses Testaments im Jahr 2019 die Erteilung eines Erbscheins, der sie als Alleinerbin der Erblasserin ausweisen sollte. Sie trug dabei vor, dass am 13.1.2003 ein der Größe des Pflichtteils entsprechender Betrag iHv. 30.000 € vom Konto der E an den Beteiligten zu 2 überwiesen worden sei.

Auch der Beteiligte zu 2 beantragte die Erteilung eines ihn als Alleinerben ausweisenden Erbscheins und stützte sich hierbei auf den Erbvertrag der verstorbenen Ehegatten. Hierzu legte er eine schriftliche Erklärung der E vom 22.11.2002 vor, wonach er zwar im Jahr 2002 eine Schenkung iHv. 70.000 € erhalten habe, diese jedoch in keinerlei Bezug zu § 4 des Erbvertrages stehe. Mit der Überweisung der 30.000 € am 13.1.2003 habe er lediglich den ausstehenden Betrag zur Erfüllung des Schenkungsversprechens erhalten. Der erste Teilbetrag iHv. 40.000 € wurde ihm bereits 2002 ausbezahlt.

Das Nachlassgericht wies den Antrag der Beteiligten zu 1 mit der Begründung zurück, sie habe nicht ausreichend dargelegt, dass der Beteiligte zu 2 entsprechend § 4 des Erbvertrages seinen Pflichtteil geltend gemacht habe.

Hiergegen richtete sich die Beschwerde der Beteiligten zu 1, die insbesondere die Echtheit der auf der Erklärung vom 22.11.2002 enthaltenen Unterschrift bestritt.

Das Nachlassgericht legte die Sache dem OLG zur Entscheidung vor.

Entscheidung | OLG Düsseldorf 3 Wx 79/20

Das OLG Düsseldorf bestätigte die Auffassung des Nachlassgerichts. Für die Erbfolge maßgeblich sei der Erbvertrag von 1992, dessen Bindungswirkung mangels entgegenstehender Anhaltspunkte und entsprechenden Beweises nicht entfallen sei. Das handschriftliche Testament der Erblasserin aus dem Jahr 2003 sei gem. § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam, da es sich hierbei um nachträgliche Verfügungen zu Lasten des Beteiligten zu 2 als vertragsmäßig Bedachten handelte.

Bei der unter § 4 des Erbvertrages getroffenen Regelung handele es sich um eine zulässige Vereinbarung eines bedingten Änderungsvorbehalts zugunsten der E. Der Eintritt der vereinbarten Bedingung sei durch die Beteiligte zu 1 indes nicht ausreichend nachgewiesen worden.

Die Einholung eines graphologischen Gutachtens zur Beurteilung der Echtheit einer Unterschrift sei nach dem Grundsatz zur Beweiserhebung nach pflichtgemäßem Ermessen nur in Zweifelsfällen geboten und wenn das Gericht selbst Auffälligkeiten in Bezug auf die Echtheit einer Unterschrift feststellt. Im vorliegenden Fall seien jedoch weder auffällige Abweichungen zwischen der Unterschrift der Erblasserin auf der streitgegenständlichen Erklärung und den vergleichsweise vorliegenden Unterschriften zu erkennen, noch habe die Beteiligte zu 1 sonstige Gründe vorgetragen, aufgrund derer sich berechtigte Zweifel an der Echtheit der Unterschrift ergaben.

Mangels näherer Präzisierung könne schließlich auch der Anmerkung der Erblasserin in ihrem Testament von 2003 kein ausschlaggebendes Gewicht zugemessen werden. Vor dem Hintergrund der insofern detaillierten Erklärung der Erblasserin vom 22.11.2002 könne die im Testament angedeutete Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen jedenfalls nicht in der durch die Beteiligte zu 1 vorgebrachten Zahlung von 30.000 € gesehen werden.

Da auch sonst keine Ansatzpunkte für weitere Aufklärungsmaßnahmen bestanden, blieb die Beteiligte zu 1 insofern feststellungsbelastet.

 

Praxishinweis | OLG Düsseldorf 3 Wx 79/20

Im Verfahren über die Erteilung eines Erbscheins gilt der Grundsatz, dass derjenige, der ein Erbrecht für sich in Anspruch nimmt, die Feststellungslast für die sein Recht begründenden Tatsachen trägt, während derjenige, der ihm dieses Erbrecht streitig macht, die Feststellungslast für die rechtshindernden oder rechtsvernichtenden Einwendungen trifft.

Es kommt somit entscheidend darauf an, ob die potenziellen Erben ihr Erbrecht mit überzeugenden und belastbaren Beweismittel nachweisen oder wenigstens ausreichend Gründe vortragen können, um das Gericht nach dem Grundsatz zur Beweiserhebung nach pflichtgemäßem Ermessen zu einer weiteren Beweiserhebung zu veranlassen.