BGH V ZR 140/22
„Beschlusszwang“ für bauliche Veränderungen des Gemeinschaftseigentums

30.03.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
17.03.2022
V ZR 140/22
bundesgerichtshof

Leitsatz | BGH V ZR 140/22

  1. Jeder Wohnungseigentümer kann die Gestattung einer baulichen Veränderung verlangen, wenn alle beeinträchtigten Wohnungseigentümer einverstanden sind oder kein Wohnungseigentümer beeinträchtigt wird. (nichtamtl. Leitsatz)
  2. Bauliche Veränderungen des Gemeinschaftseigentums bedürfen aber auch dann eines legitimierenden Beschlusses, wenn dadurch kein Wohnungseigentümer beeinträchtigt wird. (nichtamtl. Leitsatz)

 

Sachverhalt | BGH V ZR 140/22

Auf einem im Gemeinschaftseigentum stehenden Grundstück haben die Parteien je eine Doppelhaushälfte und bilden eine Wohnungseigentümergemeinschaft. Das Verhältnis der Parteien untereinander bestimmt sich gemäß der Gemeinschaftsordnung von 1971 nach dem Gesetz. Dabei hat jeder Wohnungseigentümer ein Sondernutzungsrecht an dem an die jeweilige Haushälfte anschließenden Gartenteil. Laut einer späteren Ergänzung der Gemeinschaftsordnung sind sie insoweit allein für Reparaturen und Instandhaltungen verantwortlich und kostenpflichtig. Die Beklagten wollen auf der von ihnen genutzten Gartenhälfte einen Swimmingpool bauen. Die Klägerin ist gegen diesen Bau. Ein den Bau gestattender Beschluss der Wohnungseigentümergemeinschaft liegt nicht vor.

Die Klägerin hat Unterlassungsklage gegen den Bau des Swimmingpools erhoben. Diese hatte vor dem Amts- und Landgericht Erfolg.

Entscheidung | BGH V ZR 140/22

Der BGH hat die Revision zurückgewiesen.

Die Klägerin hat einen Unterlassungsanspruch gem. § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB. Grundsätzlich haben die Beklagten ein Sondernutzungsrecht an dem hälftigen Grundstück. Jedoch bedürfen grundlegende Umgestaltungen der Sondernutzungsfläche eines Beschlusses der Wohnungseigentümer gem. § 20 Abs. 1 WEG. Der Bau eines Swimmingpools stellt keine Reparatur oder Instandhaltung, sondern eine beschlusspflichtige Umgestaltung dar. Hierfür lag jedoch weder ein Beschluss vor, noch wurde das Beschlusserfordernis gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 WEG durch die Gemeinschaftsordnung nebst Ergänzung abbedungen. Auch bestehen keine Anhaltspunkte für eine konkludente, von dem Beschlusserfordernis abweichende Vereinbarung, beispielsweise durch baulichen Veränderungen, die die Klägerin ohne Einverständnis der Beklagten vorgenommen haben soll.

Dem Unterlassungsanspruch kann auch kein Anspruch auf Gestattung der baulichen Veränderung gem. § 20 Abs. 3 WEG nach Treu und Glauben entgegenhalten werden. Zwar kann jeder Wohnungseigentümer die Gestattung einer baulichen Veränderung verlangen, wenn alle beeinträchtigten Wohnungseigentümer einverstanden sind oder wenn kein Wohnungseigentümer beeinträchtigt wird, § 20 Abs. 3 WEG. Diese fehlende Beeinträchtigung musste der BGH unterstellen, weil das Landgericht hierzu keine Feststellungen getroffen hat. Jedoch hat der Gesetzgeber durch das Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz eindeutig entschieden, dass jede von einem Wohnungseigentümer beabsichtigte bauliche Veränderung des Gemeinschaftseigentums eines legitimierenden Beschlusses bedarf. Dies gilt auch, wenn kein Wohnungseigentümer in rechtlich relevanter Weise beeinträchtigt wird. Daher muss selbst bei einem unterstellten Gestattungsanspruch, die Gestattung durch Beschluss der Wohnungseigentümer erfolgen. Da ein solcher gerade nicht vorlag, hat die Klägerin einen Unterlassungsanspruch.

Praxishinweis | BGH V ZR 140/22

Was bis zum 01.12.2020 noch umstritten war, wurde nun vom Gesetzgeber durch das Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetzes eindeutig entschieden: jede bauliche Veränderung des Gemeinschaftseigentums bedarf eines legitimierenden Beschlusses, auch wenn dadurch kein Wohnungseigentümer beeinträchtigt wird. Es ist daher Sache des Bauwilligen einen Gestattungsbeschluss vor dem Baubeginn herbeizuführen. Dies muss notfalls im Wege der Beschlussersetzungsklage erfolgen, § 44 Abs. 1 Satz 2 WEG. Mit Bestandskraft des gestattenden Beschlusses ist die bauliche Veränderung im Verhältnis zwischen den Wohnungseigentümern und deren Rechtsnachfolgern zulässig. Liegt kein solcher Beschluss vor, haben die übrigen Wohnungseigentümer einen Unterlassungsanspruch. Dadurch wird sichergestellt, dass die Wohnungseigentümer über alle baulichen Veränderungen des Gemeinschaftseigentums informiert und nicht in die Rolle gedrängt werden, auf eine Klageerhebung durch die Gemeinschaft hinwirken zu müssen.