LG Stuttgart 44 O 52/20 KfH
Beschlussfassung im schriftlichen Umlaufverfahren in Zeiten von Corona

18.02.2021

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

LG Stuttgart
11.01.2021
44 O 52/20 KfH
n. v.

Leitsatz | LG Stuttgart 44 O 52/20 KfH

  1. Art. 2 § 2 COVMG ändert lediglich § 48 Abs. 2 GmbHG, greift aber nicht in § 45 Abs. 2 GmbHG ein.
  2. Sieht die Satzung für ein schriftliches Umlaufverfahren Einstimmigkeit vor, so wird dies durch Art. 2 § 2 COVMG nicht geändert. Der Gesetzgeber wollte und konnte in bestehende gesellschaftsvertragliche Regelungen nicht eingreifen.

Sachverhalt | LG Stuttgart 44 O 52/20 KfH

Der Verfügungskläger ist Gründer und zu rund 20 Prozent Gesellschafter und einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer einer GmbH. Der Gesellschaftsvertrag sieht für schriftliche Umlaufverfahren vor, dass Beschlüsse nur einstimmig gefasst werden können. Der Mitgeschäftsführer fordert die Gesellschafter zur Stimmabgabe im schriftlichen Umlaufverfahren auf. Gegenstand der Beschlussfassung soll u.a. die Abberufung des Verfügungsklägers sein. In diesem Verfahren wird die Abberufung des Verfügungsklägers mit Mehrheit (nicht einstimmig) beschlossen. Der Mitgeschäftsführer stellt die Beschlussfassung fest. Der Verfügungskläger erlangte mit Beschluss vom 12.10.2020 (Az. 44 O 52/20 KfH) eine einstweilige Verfügung, mit der die Gesellschaft verpflichtet wurde, den Verfügungskläger einstweilen sämtliche Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse weiter zu gewähren und den ungehinderten Zugang zu den Geschäftsräumen einzuräumen. Gegen diese Entscheidung legte die Gesellschaft Widerspruch ein und vertrat die Auffassung, dass die Regelungen des Art. 2 § 2 COVMG Beschlüsse im schriftlichen Umlaufverfahren zulasse, auch wenn diese nicht einstimmig gefasst seien. Die entgegenstehende Regelung der Satzung sei so auszulegen, dass diese in Pandemiezeiten keine Anwendung finde.

Entscheidung | LG Stuttgart 44 O 52/20 KfH

Das LG Stuttgart hält die einstweilige Verfügung aufrecht und schließt sich der Auffassung des Verfügungsklägers an. Es vertritt die Auffassung, dass die Regelung des Art. 2 § 2 COVMG entgegenstehende Satzungsregelungen nicht verdränge. Vielmehr sei diese Regelung nur anwendbar, wenn die Satzung keine oder keine entgegenstehende Regelung enthalte. Eine extensive Auslegung des Art. 2 § 2 COVMG stehe auch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG entgegen. Systematisch spreche auch die Formulierung des Art. 2 § 2 COVMG für diese Auffassung, da der Gesetzgeber nur § 48 Abs. 2 GmbHG ändere und nicht in § 45 Abs. 2 GmbHG eingreife. Damit sei aber der Vorrang der Satzung durch die Neuregelung unberührt geblieben. Dies sei nicht nur verfassungsrechtlich geboten, sondern wohl auch vom Gesetzgeber gewollt.

Praxishinweis | LG Stuttgart 44 O 52/20 KfH

Soweit ersichtlich, ist die Entscheidung des LG Stuttgart, mit der die vorab ergangene einstweilige Verfügung bestätigt wurde, die erste Entscheidung zur Frage des Verhältnisses von Art. 2 § 2 COVMG zu entgegenstehenden Satzungsregelungen. Bereits kurz nach Inkrafttreten des anlässlich der Corona-Pandemie erlassenen Gesetzes war in der Literatur streitig geworden, ob die Neuregelung zu § 48 Abs. 2 GmbHG entgegenstehende Satzungsregelungen überlagert (ausf. m.w.N. Heckschen/Strnad, GmbHR 2020, 807, 810). Eine eindeutige Meinung hat sich bislang nicht gebildet. Einerseits wird argumentiert, dass das Gesetz großzügig auszulegen sei, da es sonst bei vielen GmbH nicht helfe, weil diese eben zum Umlaufverfahren Satzungsregelungen enthalten, die genau oder sinngemäß den Wortlaut des § 48 Abs. 2 GmbHG wiedergeben. Die Neuregelung käme daher nur denjenigen zugute, die überhaupt keine Satzungsregelung und keine Vorkehrungen für derartige Pandemiesituationen geschaffen haben. Der Verfasser hat anderweitig schon darauf hingewiesen, dass es durchaus denkbar ist, dass der Gesetzgeber – möglicherweise aus verfassungsrechtlichen Gründen – bewusst nicht in bestehende Satzungen eingreifen wollte (Heckschen/Strnad, GmbHR 2020, 807, 810). Er hat sich solcher Eingriffe bei der Personengesellschaft gänzlich enthalten und hat anderweitig für Vereine und die Aktiengesellschaft nicht entgegenstehende Satzungsregelungen suspendiert, sondern dort Optionen geschaffen, wo keine Regelungen vorhanden waren (ausf. Kauffeld/Vollmer/Brugger, GmbHR 2020, 1257).

Für die Praxis ist die Entscheidung von großer Bedeutung und mahnt zur Vorsicht im Ausnutzen von schriftlichen Umlaufverfahren unter Berufung auf das COVMG jedenfalls in den Situationen, in denen Streit zwischen den Gesellschaftern besteht. Zunächst ist die Praxis gut beraten, wenn sie sich an der Entscheidung des LG Stuttgart orientiert und dann eben doch Präsenzversammlungen mit Bevollmächtigten durchführt und nicht entgegen den entsprechenden Satzungsregelungen darauf hofft, dass für ein Umlaufverfahren keine Einstimmigkeit erforderlich ist.

In der Praxis wurden im vergangenen Jahr präsenzlose Gesellschafterversammlungen trotz des Art. 2 § 2 COVMG ganz überwiegend nicht im schriftlichen Umlaufverfahren durchgeführt. Die Rechtsunsicherheiten waren den Beratern und den Unternehmen zu groß. Die Pandemie hat allerdings gezeigt, dass es nicht nur sinnvoll, sondern zwingend ist, die Formulierungen der Gesellschaftsverträge bei allen Gesellschaftsformen daraufhin zu überprüfen, inwieweit diese pandemietauglich sind. Darüber hinaus ist es wichtig zu prüfen, inwieweit Präsenzbeschränkungen dadurch erreicht werden können, dass Bevollmächtigte auftreten. Nicht selten lässt zwar die Satzung ausdrücklich entsprechend den Regelungen des GmbHG die Teilnahme von Bevollmächtigten zu, nimmt aber Einschränkungen vor (z.B. nur Mitgesellschafter, keine Ehegatten, nur zur Berufsverschwiegenheit Verpflichtete etc.).

Eine wichtige Aufgabe für die Gestaltungspraxis besteht auch darin, einen Gleichlauf zwischen Gesellschaftsverträgen und Vorsorgevollmachten zu schaffen. Werden Vollmachten über den Tod hinaus erstellt, sollte auch hier überprüft werden, inwieweit die transmortale Vollmacht noch die Wahrnehmung von Gesellschafterrechten zulässt. Gerade im Bereich des Gesellschaftsrechts sind transmortale Vollmachten sehr zu empfehlen, da sie häufig Probleme der Einberufung von Gesellschafterversammlungen nach dem Todesfall lösen können. Die Probleme beginnen damit, dass Gesellschafterlisten häufig nicht schnell berichtigt werden können, weil etwa Erbscheine nicht vorliegen oder die Erteilung mehrere Monate in Anspruch nimmt. Der Berater sollte daher dringend dafür sorgen, dass alle Gesellschafter Vorsorgevollmachten, und zwar auch transmortale Vorsorgevollmachten, errichtet haben. Können sie sich zur transmortalen Vollmacht nicht entschließen, so kann eine Lösung auch in einer postmortalen Vollmacht bestehen, die eben erst nach dem Todesfall in Kraft tritt. Für Personengesellschaften ist zu berücksichtigen, dass hier die Frage, ob auch Bevollmächtigte Gesellschafterrechte wahrnehmen können, strittig ist. Insoweit sollten die Gesellschaftsverträge ausdrückliche Regelungen enthalten.