KG 9 W 1093/20
Berücksichtigung materiell-rechtlicher Einwände in Notarkostensachen nach § 127 Abs. 1 GNotKG

30.12.2021

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

KG
12.01.2021
9 W 1093/20
DNotZ 2021, 543

Leitsatz | KG 9 W 1093/20

Die Geltendmachung materiell-rechtlicher Einwände, sei es im Wege der Aufrechnung oder der Arglisteinrede, ist im gerichtlichen Verfahren in Notarkostensachen nach § 127 GNotKG nicht statthaft.

Sachverhalt | KG 9 W 1093/20

Die Antragsteller sind Eigentümer eines Bebauungskomplexes in Berlin. Sie wandten sich an den Antragsgegner, um einvernehmlich eine Regelung für die Zuweisung einzelner Wohneinheiten zu vereinbaren, sollte es einmal zu einer Auseinandersetzung kommen. In einer E-Mail vom 28.06.2019 verfestigten die Antragsteller ihren Standpunkt, dass eine Wohnungseigentümergemeinschaft verhindert werden solle und  stellten klar, dass sie lediglich an einer Zuweisung der Eigentumsanteile interessiert seien. Ferner äußersten sie die Vermutung, dass dazu eine GbR erforderlich sei und baten zugleich den Antragsgegner, einen solchen Vertrag aufzusetzen.

Der Antragsgegner beurkundete eine Teilvereinbarung gem. § 3 WEG am 13.08.2019 zu seiner UR-Nr. 517/2019. Am 18.11.2019 erteilte er die im Fokus der Entscheidung stehende Kostenberechnung  Nummer 1900529 i.H.v. 34.843,06 €. Es wurde ein Geschäftswert i.H.v. 10.380.000,00 € unterstellt. Den Antragsstellern wurde eine vollstreckbare Ausfertigung zugestellt. Um eine Zwangsvollstreckung zu verhindern, zahlten sie zunächst den hälftigen Betrag. Zugleich stellten sie einen Nachprüfungsantrag vor dem Landgericht. Dies hob die Kostenberechnung auf.

Daraufhin wandte sich der Antragsgegner an das KG Berlin, den Beschluss des Landesgerichtes vom 01.10.2020 abzuändern und den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.

Die Antragsteller beantragten vor dem KG, die Beschwerde des Antragsgegner zurückzuweisen. In ihrem Antrag behaupteten sie, der Antragsteller hätte einen unrichtigen Geschäftswert angenommen. Außerdem entspräche seine Tätigkeit nicht den Interessen der Parteien. Für den Fall, dass die Beschwerde des Antragsgegners begründet sei, erklären sie vorläufig die Aufrechnung. Die Gegenforderung ergäbe sich aus einem Amtshaftungsanspruch.

Entscheidung | KG 9 W 1093/20

Die Beschwerde des Antragsgegner ist zulässig und begründet und die am 18.11.2019 geltend gemachten Gebühren sind von den Antragstellern zu entrichten. Das Kammergericht setzt sich in seiner Entscheidung zunächst mit den zwei erhobenen Einwänden auseinander: wurde der Geschäftswert zutreffend erhoben? Handelte der Antragsgegner getreu den Parteiinteressen oder liegt eine unrichtige Sachbehandlung i.S.v. § 21 Abs. 1 GNotKG?

Das KG geht davon aus, dass der Antragsgegner den Geschäftswert zutreffend ermittelte. Es kommt nach dem Gericht für die Wertermittlung auf den Zeitpunkt der Fälligkeit der Gebühr an, § 96 GNotKG. Die Wertsumme der Sache ergibt sich nach §§ 46, 47 GNotKG aus demjenigen Preis, welcher nach allgemeiner Verkehrsanschauung bei einer Veräußerung zu erzielen wäre. Hierbei kommt es auf eine möglichst präzise und zeitnahe Feststellung an. Gleichwohl muss die Darlegung einer hypothetische Verkaufssumme nicht die Anforderungen eines förmlichen Beweises erfüllen, §46 Abs. 4 GNotKG. Zur Wertbestimmung können der Wert des Grundstückes und des Gebäudes separat geschätzt und anschließend addiert werden. Hier griff der Antragsgegner nach Einschätzung des KG zutreffend auf den Bodenrichtwert i.S.d. § 193 Abs. 5 BauGB zurück und legte auch den Wert des Gebäudes mithilfe der Wohn-/Nutzfläche zutreffend fest. Das Gericht kommt sogar zu dem Ergebnis, dass der geschätzte Wert eher einer konservativen Einschätzung folge und tatsächlich durchaus höher liegen könne.

In einem Zweiten Schritt untersucht das Kammergericht die Behauptung einer unrichtigen Sachbehandlung. § 21 Abs .1 GNotKG setzt tatbestandlich einen offen zutage tretenden verstoß gegen eindeutig gesetzliche Normen oder offensichtliches Versehen des Notars voraus. Das wäre nach der Rspr. des BGH zu bejahen, wenn aus gleichermaßen geeigneten Alternativen vom Antragsgegner die teurere ausgewählt worden wäre (BGH, Beschluss v. 01.10.2020 - Z VB 67/19).

Dazu geht das Gericht zunächst auf die Behauptung der Antragsteller ein, man hätte zur Begründung von Wohnungseigentum auch auf die günstigere Gestaltung i.S.v. § 8 WEG zurückgreifen können. Allerdings lehnt das KG hier eine Vergleichbarkeit von § 3 WEG und § 8 WEG aufgrund deren Rechtsnatur kurz und bündig ab, sodass die Verfahren nicht austauschbar wären.

Anschließend eruiert das Gericht die Behauptung, demnach der Antragsgegner Maßnahmen getroffen hätte, welche von den Antragstellern überhaupt nicht gewünscht worden seien. Die Richer lehnen den Vorwurf als unzutreffend ab. Die Parteien konnten nicht substantiiert darlegen, inwiefern sie eine Vorratsteilung nach § 8 WEG in Auftrag gegeben hätten. Es ging ihnen lediglich darum, zu den einzelnen Wohnheimen „zugeordnet“ zu werden. Damit fehlte es in ihren Erläuterungen an konkreten Vorgaben zur rechtlichen Ausgestaltung.

Nachdem das KG Berlin zu dem Zwischenergebnis gelangte und die erhobenen Kosten für berechtigt erklärte, setzt es sich mit der Frage auseinander, ob in Notarkostensachen nach § 127 GNotKG materiell-rechtliche Einwände geltend gemacht werden können. Überwiegend wird dies von Rspr. und Literatur bei der Aufrechnung und Arglisteinreden gegenüber Amtshaftungsansprüchen bejaht.
Bemerkenswert ist, dass sich das KG Berlin dieser Auffassung nicht anschließt und seine bisherige Rspr. ändert. Es begründet diesen Kurswechsel anhand einer vertieften Auslegung des § 127 Abs. 1 GNotKG und geht dabei auf dessen Wortlaut, die Systematik, sowie historische und teleologische Erwägungen ein.

Vom Wortlaut her spräche gegen eine Anwendbarkeit materiell-rechtlicher Einwendungen der enumerative Charakter der Norm. Auffällig sei, dass die in § 127 Abs. 1 GNotKG genannten Einwände, sich spezifisch gegen die erhobenen Kosten wenden würden.

Aus systematischer Sicht würde diese Lesart anhand einer Vergleichbarkeit gegenüber dem Verfahren zur Festsetzung prozessualer Kosten nach § 104 ZPO unterstützt werden. In diesem Verfahren sei die Feststellung streitiger materiell-rechtlicher Tatsachen ausdrücklich nicht vorgesehen und aufgrund der Verfahrensinstrumente auch nicht praktikabel. Die Einwände könnten also nur berücksichtigt werden, wenn sie bereits als erwiesen anerkannt worden sind.

Diese Grundsätze werden vom KG auf das Verfahren des § 127 GNotKG übertragen. Die gerichtliche Überprüfung notarieller Kosten sei gleichermaßen an den Geboten von Effizienz von Praktikabilität ausgelegt. Diese Grundsätze seien insbesondere in diesem Verfahren vorherrschend, weil die Norm an sich Teil der Kostenstrukturrefom seien und damit das gesetzgeberische Ziel einer Vereinfachung des Kostenrechts verfolgten. Würde man die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Aufrechnung darin überprüfen müssen, würde das Ziel einer Entlastung der Gerichte verfehlt werden.

Dieser Standpunkt  wird von historischen Erwägungen unterstützt. Nach § 25 der Preußischen Gebührenordnung für Notare vom 25. Juli 1910 war die Einwendung der unrichtigen Sachbehandlung nicht zulässig. Diese landesrechtliche Vorschrift wurde von der Vorgängervorschrift des § 12 Abs. 1 GNotKG (der 1936 geschaffene § 156 KostO) fortgesetzt.

Am Ende der Entscheidung führt das KG Berlin teleologische Gesichtspunkte an und stützt sich dazu nochmals auf das Ziel einer Vereinfachung des Kostenrechts. Bei einer Berücksichtigung materiell-rechtlicher Einwendungen würde der Zweck, die Gerichte von der umfangreichen Kostenrechtsprechung zu befreien, vereitelt werden.

Praxishinweis | KG 9 W 1093/20

Durch das Urteil wird einer bislang wenig vertretenden Auffassung zu neuem Aufwind verholfen. Die Geltendmachung materiell-rechtlicher Einwendungen gegen Amtshaftungsansprüche in Notarkostenverfahren wird durch das KG Berlin ernstlich in Frage gestellt. Das Gericht legt Gebührenschuldnern nahe, ihre Einwendungen im Wege einer Vollstreckungsabwehrklage oder negativen Feststellungsklage geltend zu machen (siehe Rn. 37). Da es unter den Oberlandesgerichten zu der streitigen Frage keinen Konsens gibt, bedarf es zur Vereinheitlichung wohl einer endgültigen Entscheidung durch den BGH.