OLG München / OLG Dresden 32 U 6358/20 und 5 U 1782/20
Berechtigt Corona zur Minderung der Miete?

29.03.2021

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG München / OLG Dresden
17.02.2021
32 U 6358/20 und 5 U 1782/20
BeckRS 2021, 2593 und BeckRS 2021, 2461

Leitsatz | OLG München / OLG Dresden 32 U 6358/20 und 5 U 1782/20

Amtliche Leitsätze des OLG München (v. 17.02.2021)

  1. Die pandemiebedingte Betriebsuntersagung in dem Zeitraum vom 18.03.2020 bis zum 27.04.2020 hat nicht zu einem Mangel der Mietsache iSv § 536 Abs. 1 BGB geführt. Es lag auch kein Fall der Unmöglichkeit iSv § 275 BGB vor.
  2. Ein Anspruch nach § 313 Abs. 1 BGB auf Anpassung des Mietvertrages durch eine Herabsetzung oder Stundung der Miete ist in Ausnahmefällen trotz der grundsätzlich vorrangigen gesetzlichen Sonderregeln möglich. Bei der Prüfung der Zumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag sind sämtliche Umstände des Einzelfalles zu beachten.

 

Amtliche Leitsätze des OLG Dresden (v. 24.02.2021)

  1. Die durch die Corona-Pandemie verursachte staatliche Schließungsanordnung für ein im Rahmen des Mietzweckes betriebenes Geschäft begründet keinen zur Minderung der Miete führenden Mangel im Sinne von § 536 Abs. 1 BGB.
  2.  Es liegt aber eine Störung der Geschäftsgrundlage des Mietvertrages im Sinne einer Störung der großen Geschäftsgrundlage vor. Diese führt, wenn sie über einen Monat andauert, regelmäßig zur Anpassung des Mietvertrages gemäß § 313 Abs. 1 BGB dahin, dass die vertraglich vereinbarte Kaltmiete für den Zeitraum der Schließungsanordnung auf die Hälfte reduziert wird.
  3. Es bleibt offen, ob und ggf. inwieweit staatliche Zahlungen an Vermieter oder Mieter aus Anlass der Corona-Pandemie zu einer (weiteren) Anpassung der Kaltmiete gemäß § 313 Abs. 1 BGB führen sowie ob und ggf. inwieweit Zahlungen auf Betriebskosten anzupassen sind.

Sachverhalt | OLG München / OLG Dresden 32 U 6358/20 und 5 U 1782/20

Die den Entscheidungen des OLG München und des OLG Dresden zugrundeliegenden Sachverhalte sind sehr ähnlich gelagert. Die Beklagten beider Entscheidungen führten einen Gewerbebetrieb in den jeweiligen Geschäftsräumen der Kläger. Zu diesem Zwecke wurden Mietverträge zur Nutzung der Geschäftsräume abgeschlossen.

Aufgrund der Coronapandemie erließen sowohl die Bayrischen Staatsministerien für Gesundheit und Pflege, und für Familie, Arbeit und Soziales als auch das Sächsische Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt Allgemeinverfügungen zum Vollzug von Infektionsschutzmaßnahmen. Die Allgemeinverfügungen sahen jeweils die Schließung von Geschäften vor, es sei denn, sie fallen unter die Ausnahmeregelungen der jeweiligen Verfügung. Bei den Geschäften der Beklagten beider Entscheidungen handelte es sich um Textilwarengeschäfte, welche nicht unter die Ausnahmeregelungen fielen.

Daher mussten die Beklagten ihre Geschäftsräume schließen. Die Schließungen dauerten im Fall des OLG München vom 18.03.2020 bis zu 23.04.2020 an, während die Beklagte der Entscheidung des OLG Dresden vom 19.03.2020 bis 19.04.2020 schließen musste. Daraufhin zahlten beide Beklagte den Mietzins für den April 2020 nicht.

Sie sind der Auffassung, dass sie aufgrund der Coronapandemie in eine kaum noch tragbare wirtschaftliche Situation geraten sind. Daher seien sie zur Mietminderung berechtigt, weil in der zwanghaften Schließung aufgrund der Allgemeinverfügungen der jeweiligen Ministerien ein Mangel an der Mietsache nach § 536 I BGB gesehen wird. Hilfsweise sei die Pflicht zur Mietzinszahlungen aufgrund von Unmöglichkeit nach §§ 326 I, 275 I BGB bzw. aufgrund einer Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 I BGB weggefallen.

Die Kläger hingegen sahen das Verwendungsrisiko der Mietsache eindeutig bei den Mietern, weshalb diese nach wie vor nach § 535 II BGB zur Mietzinszahlung verpflichtet seien; für den Monat April 2020 auch noch zzgl. Zinsen.

Die Vorinstanzen beider Entscheidungen entschieden zugunsten der Kläger und verurteilten die Beklagten zur Mietzinszahlung nebst Zinsen für den Monat April 2020. Die coronabedingte Schließung der Geschäfte sei kein Mangel an der Mietsache nach § 536 I BGB. Außerdem liege keine Unmöglichkeit nach §§ 326 I, 275 I BGB vor, weil die Hauptleistungspflicht der Klägerin im Überlassen der Mietsache liege, welche unstreitig erfüllt sei.

Das LG München II schließt die Anwendung von § 313 I BGB von vornherein aus, weil diese Regelung nur zur Anwendung komme, wenn sich der Geschäftsbetrieb gar nicht mehr aufrechterhalten ließe und der Mieter dadurch in eine wirtschaftliche Notlage geriete. Das LG Chemnitz lässt eine Anwendung von § 313 I BGB offen, weil das Festhalten am Vertrag für den Mieter ohnehin nicht unzumutbar sei.

Entscheidung | OLG München / OLG Dresden 32 U 6358/20 und 5 U 1782/20

Trotz der ähnlichen Sachverhalte unterscheiden sich die Entscheidungen des OLG München und des OLG Dresden im Ergebnis. Zunächst decken sich die Entscheidungen mit ihren jeweiligen Vorinstanzen, denn es werden sowohl ein Mietmangel als auch die Unmöglichkeit der Hauptleistungspflicht abgelehnt.

Beide Entscheidungen betrachten den § 313 I BGB jedoch als anwendbar. Die Vorstellung, dass es während der Vertragszeit nicht zu einer weltweiten Pandemie kommt, die zur Schließung der Geschäfte führt, ist Teil der Geschäftsgrundlage. Art. 240 EGBGB entfaltet keine Sperrwirkung bezüglich der Anwendbarkeit des § 313 I BGB.

Die gesetzliche Risikoverteilung des Mietvertrags steht der Anwendung von § 313 I BGB nicht entgegen, denn das Risiko ein Geschäft in der Mietsache zu betreiben liegt nicht allein beim Mieter. Man geht von der gemeinsamen Vorstellung aus, das Öffnen eines Ladengeschäfts zu ermöglichen. Das vom Mieter zu tragende Verwendungsrisiko umfasst nicht auch das Risiko von Änderungen sog. der großen Geschäftsgrundlage, welche Kriege, Revolutionen, aber auch Katastrophen, wie eine weltweite Pandemie miteinschließt.

Beide Entscheidungen stimmen darin überein, dass der Vertrag der Parteien in dem Wissen um die pandemiebedingte Betriebsuntersagung mit einem anderen Inhalt geschlossen worden wäre. Nach § 313 I BGB werden aber nur erhebliche Grundlagenstörungen umfasst, dazu zählt die Coronapandemie.

Der wesentliche Unterschied der Entscheidungen liegt in dem Umgang mit dem Merkmal der Unzumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag.

Das OLG München ist der Auffassung, dass die Unzumutbarkeit für keine der Vertragsparteien vorliege. Der Staat hat grundsätzliche Möglichkeiten für Unterstützungsleistungen geschaffen. Die Beklagte trägt nicht vor, ob sie zum Beispiel Leistungen aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfond beantragt hat. Außerdem ist nicht ersichtlich, weshalb die Zahlung einer Monatsmiete zu einem untragbaren Ergebnis führen würde.

Das OLG Dresden hingegen stellte eine Unzumutbarkeit des Festhaltens am bisherigen Mietvertrag für die Mieterin fest. Es kommt hier zu einer Äquivalenzstörung zwischen der Leistung und der Gegenleistung. Da es sich bei einem Mietvertrag um ein Dauerschuldverhältnis handelt, wäre es unverhältnismäßig eine Äquivalenzstörung auf die gesamte Vertragssauer zu beziehen. Daher wird die Äquivalenzstörung nur innerhalb des Zeitraums für eine Mietzinszahlung betrachtet (hier ein Monat). Die Vertragsanpassung besteht dann aber auch nur für diesen Zeitraum. Aufgrund der staatlichen Schließungsanordnung musste der Betrieb des Mieters über einen Monat ruhen, weshalb, in Anbetracht der vertraglichen Risikoverteilung, der vertraglich vereinbarte Mietzweck nicht wahrgenommen werden konnte. Aufgrund dessen bejahte das OLG Dresden die Äquivalenzstörung für den Monat der Schließung.

Praxishinweis | OLG München / OLG Dresden 32 U 6358/20 und 5 U 1782/20

Einigkeit besteht in diesen Fällen darüber, dass die coronabedingte Schließung aufgrund einer Allgemeinverfügung keinen Mietmangel nach § 536 I BGB darstellt und dass es zu keiner Unmöglichkeit nach §§ 326 I, 275 I BGB kommt. So entschied auch das OLG Frankfurt in einem ähnlichen Fall.

Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass auch § 313 I BGB in diesen Fällen anwendbar ist. Das Zünglein an der Waage stellt jedoch die Frage über die Zumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag dar, welche immer innerhalb einer Einzelfallbetrachtung ermittelt werden muss. Deshalb ist davon auszugehen, dass es, vergleichbar mit dem OLG München und dem OLG Dresden, weiterhin zu unterschiedlichen Entscheidungen in ähnlichen Fällen kommen wird.